Sommer Roman-Paket Unterhaltungsromane und Erzählungen: In Paris und andernorts. Sandy Palmer
Читать онлайн книгу.seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen. Und es war überhaupt kein Trost für mich zu wissen, dass ich mit Anneliese gar nicht Ehebruch begehen konnte, weil ja keiner von uns beiden verheiratet war. Die genaue Übersetzung des griechischen Originals lautet nämlich so: ... hat sie in seinem Herzen schon verführt, oder noch genauer: ... vernascht (auch wenn dieser Ausdruck einem Evangelium vielleicht nicht gerade angemessen erscheint).
Also, im Klartext: Seit meiner Sünde mit Ella sah ich Anneliese mit anderen Augen an, nämlich, wie es Jesus ausdrückt, begehrlich; ich konnte mir nicht helfen. Ich stellte mir vor, wie es wäre, sie zu entkleiden, sie zu liebkosen, sie zu verführen, zu vernaschen und dabei dieselben Freuden zu erleben wie mit Ella und ihr dieselben Freuden zu vermitteln, wie ich sie Ella vermittelt hatte.
Anneliese selbst schien das übrigens zu merken. Und nachdem sie sich mehrere Male über meine „unanständigen Blicke“ beklagt hatte, machte sie eines Tages mit mir Schluss. Sie trat mit ernster Miene auf mich zu und bat mich mit leiser Stimme und höflichen Worten ohne weitere Erklärung, sie nicht länger als Freundin zu betrachten und ihr keine Gedichte mehr zu widmen.
Nun, ich trug's mit Fassung und beendete eben meine Karriere als Lyriker. Und merkwürdig: Von da an umschwärmten mich förmlich die Mädchen und streckten mir gewissermaßen die Hände entgegen, und ich hätte sie nur zu ergreifen brauchen, oder zumindest eine von ihnen, um ihre Besitzerinnen glücklich zu machen. Aber nein, dazu war ich zu blöd, genauer, mein Geist war durch die Fesseln, die die genossene katholische Erziehung um ihn gelegt hatte, gelähmt und ließ mich keine der ausgestreckten Hände ergreifen (was mich heute noch maßlos ärgert). Sogar die Hand, die eine hübsche Blondine auf einer dreitägigen Fußwallfahrt von Wien nach Mariazell nach mir ausstreckte, scheute ich mich zu ergreifen, ebenso wie ich mich scheute, das Angebot anzunehmen, ein Bikinihöschen abzustreifen und meinen Phallus das weiche Fleisch zwischen zwei äußerst wohlgerundeten Schenkeln teilen zu lassen.
Letzteres geschah an einem heißen Sommertag, als ich mich in meinem Heimatort mit vielen anderen am Ufer der Donau dem Badevergnügen hingab (ein städtisches Bad gab es damals noch nicht). Da machte sich eine mit einer Luftmatratze bewaffnete Bikinischönheit etwa meines Alters an mich heran und fragte, ob ich nicht Lust hätte, sie ein Stückchen flussabwärts zu steuern. Na, und ob ich Lust hatte. Also stiegen wir ins Wasser, sie legte sich auf die Luftmatratze, und ich bugsierte diese auftragsgemäß hinaus in die freie Strömung und dann, wie gewünscht, ein Stückchen flussabwärts; und dabei berührte ich, um steuern zu können, zum zweiten Mal in meinem Leben weibliche Schenkel und war aufs Neue fasziniert von deren Weichheit und Zartheit.
Und wie weit war „ein Stückchen flussabwärts“? Nun, jedenfalls so weit, dass wir erst hinter der Mündung eines Flussarmes wieder an Land gingen, in einem ausgedehnten und menschenleeren Auwald. Und was tat ich dort, fern von jedem menschlichen Auge oder Ohr? Nein, ich ergriff die ausgestreckte Hand nicht. Ich kam nicht auf die Idee, die Bikinischönheit von ihrem nassen Bikini zu befreien und mit ihr auf ihrer Luftmatratze ein lustvolles Fest der Liebe zu feiern. Sondern ich klemmte mir als Kavalier die Luftmatratze unter den Arm und geleitete die Bikinischönheit schnurstracks zurück (wobei wir noch einmal ins Wasser mussten, um den erwähnten Flussarm zu durchqueren). An unserem Badeplatz angelangt, bedankte sie sich höflich und zog sich still und bescheiden zurück. Doch später konnte ich beobachten, wie sie und ein anderer eng umschlungen in die Stadt zurückmarschierten. Ernüchtert, frustriert, beschämt und zugleich moralisch emporgehoben blickte ich den beiden nach. Nur, warum war sie selber so passiv gewesen? Es hätte wohl nur eines winzigen Anstoßes bedurft, und schon wären auf der Luftmatratze alle ihre Wünsche in Erfüllung gegangen, ungeachtet meiner moralischen Bedenken. Aber so waren die jungen Frauen damals. Auch die hübsche Blondine auf der Wallfahrt dachte nicht daran, mich mit ihrer ausgestreckten Hand wenigstens ganz leicht anzustupsen. Den Mut, unerfahrene junge Männer zu verführen, hatten in aller Regel offenbar nur ältere und entsprechend erfahrene Frauen wie Ella.
Noch etwas änderte sich als Folge meiner Sünde mit Ella. Meine Tante, plötzlich mit Ellas ständiger Anwesenheit konfrontiert, merkte rasch, woher der Wind wehte, und glaubte die Moral retten zu müssen. Und wie rettete sie diese? Sehr einfach, indem sie mich hinausschmiss. Nein, indem sie für mich einen Platz in einem Studentenheim suchte und fand und mich dorthin abkommandierte.
Mir selber war das alles andere als unangenehm, im Gegenteil. Nun wohnte ich nicht mehr bei einer moralinsauren alten Tante, sondern unter lauter Gleichaltrigen, leider nur unter männlichen Gleichaltrigen. Und noch bedauerlicher, der Gleichaltrige, mit dem ich ab sofort das Zimmer teilte, war zwar außerordentlich nett, aber noch frömmer als ich selbst.
Noch frömmer als ich? Gibt's das? Ja, das gibt's. Um ein Beispiel zu nennen: Ein persischer Mitbewohner hatte in seinem Zimmer ein Poster mit der Darstellung einer nackten Frau hängen. Als ich das meinem Zimmerkollegen erzählte, zeigte sich dieser aufs Höchste entsetzt und erklärte mir auf meine verwunderte Frage, für einen Christen sei es eine Sünde, ein solches Bild zu betrachten; und das war sogar mir neu. Übrigens wurde er später Ordenspriester.
Doch meine Zeit auf der Uni ging früher als gedacht zu Ende. Ich hatte soeben meine Dissertation abgeschlossen, da wurde ich von einem meiner Professoren, der dafür zuständig war, eingeladen, eine vakant gewordene Stelle der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am Thesaurus linguae Latinae in München anzutreten. Für die mir noch fehlenden Prüfungen sollte ich jeweils eigens nach Wien kommen.
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Dies geschah, wie schon erwähnt, im September 1967. Ich übersiedelte nach München und fand dort die Liebe meines Lebens. Und obwohl ihr Geist offenbar ähnlich wie der meine von den Fesseln katholischer Erziehung gelähmt war, ermöglichte uns nach allzu langem Darben Gott Bacchus eine Erfüllung aller unserer geheimen Wünsche und Sehnsüchte, obwohl wir noch nicht den Segen von Mutter Kirche empfangen hatten; denn natürlich betete ich täglich darum, dass Irmi meine Frau werden möge. Aber dann verstieß sie mich ohne Vorwarnung und ohne jede Begründung von heute auf morgen, stieß mich in einen Abgrund an Schmerz und Unglück.
Und siehe da, jetzt, nach so vielen Jahrzehnten, steht sie plötzlich neben mir und blickt mich unverwandt an, und ihre Augen glänzen verdächtig, und sofort ist das alte Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Seelenverwandtschaft, der Leidenschaft wieder da und macht meinen Kopf glühen und die Ohren dröhnen und mein Herz im Rhythmus eines Höllentanzes hämmern, und ich habe mit den Tränen zu kämpfen, und mich drängt es, ihr um den Hals zu fallen und sie an mich zu drücken und sie stürmisch zu küssen. Zugleich scheue ich eben davor zurück, und nicht nur, weil Yvonne, meine Liebste, in der Nähe steht (und mit einem wildfremden Mannsbild schäkert).
„Ich werd verrückt“, stammle ich. „Irmi? Meine Irmi?“
„Ach, Benedikt“, stammelt sie. „Du sprichst noch mit mir?“
„Aber wieso sollte ich nicht mit dir sprechen?“
„Weil ich ... Ach, du weißt schon. Bist du mir noch bös?“
„Ich ... dir? Nach so langer Zeit?“
„Du hast dich kaum verändert.“
„Aber geh.“
„Ich habe dich sofort erkannt. Also bist du mir nicht mehr bös?“
„Aber nein. Wo denkst du hin.“
„Bist du auch allein?“
„Ich?