Der Kaiser. Geoffrey Parker

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Der Kaiser - Geoffrey  Parker


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Aristoteles und Seneca, der Historiker Livius und Tacitus sowie des militärkundlichen Kompendiums des Vegetius auf den Lehrplan setzte. Außerdem unterstützte Adrian die Arbeit seiner humanistischen Zeitgenossen (mit deren Schriften er Karl ebenfalls vertraut machte), darunter Juan Luis Vives aus Spanien (der seinen Lebensmittelpunkt ab 1512 in den Niederlanden hatte), Erasmus von Rotterdam (der mit Karl selbst sowie mit etlichen seiner Ratgeber auffallend herzliche Briefwechsel führte) und Thomas Morus aus England (der den ersten Teil seiner Utopia in Antwerpen niederschrieb und das fertige Werk 1516 an der Löwener Universität veröffentlichte).26

      Von Karls Schulbüchern oder -heften hat sich nichts erhalten, aber ein wenig von der Pedanterie seines Lehrers wird in den Briefen deutlich, die Adrian seinem vormaligen Schüler schrieb, als er 1520 bis 1522 als dessen Statthalter in Spanien amtierte. Manchmal verfasste er dann einen von jenen besserwisserischen Briefen, denen viele ehemalige Lehrer einfach nicht widerstehen können: »Als wir [im Jahr 1520] in Santiago waren, sagte ich Eurer Hoheit ja bereits, dass Ihr die Liebe all Eurer Untertanen dort verloren hättet, aber Ihr glaubtet mir nicht; nun sehe ich jedoch, dass sich [meine Befürchtung] bewahrheitet hat«, tadelte er Karl im Januar 1521 nach Ausbruch des Comuneros-Aufstandes. Im Jahr darauf schrieb er: »Ich bin froh, dass Euch das, was Ihr von mir gehört und gelernt habt, nicht gleich wieder entfallen ist« – fügte dann jedoch spitz hinzu, dass »wir uns wohl, hätten andere die gleichen Wahrheiten mit gleicher Aufmerksamkeit beherzigt, heute nicht in der gegenwärtigen Lage voller Gefahren und Ungemach befänden«. Manchmal verwies Adrian auf Texte, die Karl und er im Unterricht durchgenommen hatten (»Aristoteles schreibt in seiner Politik, dass solche, die im Grenzgebiet zu unseren künftigen Kriegsgegnern Land besitzen, auf keinen Fall im Kriegsrat sitzen dürfen …«).27 Bei anderer Gelegenheit verteilte er Tadel (»in dieser Sache befehlen [Euer Majestät] mir stets, auf eine Weise zu handeln, die sich als unwirksam erweisen wird«) oder behandelte den Kaiser, als würde dieser noch immer die Schulbank drücken (»Um Eurer Majestät Ehre und Gewissen willen solltet Ihr die Versprechen halten, die Ihr den Cortes gegeben habt«; »Ich bitte Euer Majestät inständig, auf Euren Befehl Gerechtigkeit walten zu lassen … denn aus diesem Grund ist Euer Hoheit ja König«). Karl sollte, hieß es weiter, »seine Pflicht Gott gegenüber erfüllen, damit der ihn nicht in schlechten Zeiten verlasse oder mit Verachtung strafe«; und er sollte sich nicht »von anderen gängeln lassen, als ob Euer Hoheit ein Kind wäre, dem es an Verstand, Klugheit und Umsicht mangelt. Euer Majestät muss alles, was ich geschrieben habe, genau beachten.« »Glaubt mir, Euer Majestät, wenn Ihr nicht sorgsamer darangeht, diese Dinge zu verstehen, anstatt andere Eure Angelegenheiten für Euch regeln zu lassen, dann wird Spanien Euch niemals wirklich lieben oder Eurer königlichen Autorität und Person mit dem gebotenen Gehorsam begegnen.« Diese Haltung einer »liebevollen Strenge« behielt Adrian auch dann noch bei, als aus seinem früheren Zögling längst ein mächtiger Herrscher geworden war:

      »Ich flehe Euer Majestät an: Lasst nicht zu, dass all dieser Erfolg Euch eingebildet oder stolz werden lässt, sondern dankt viel eher Gott, unserem Herrn, der Euch solch reiche Früchte hat zuteilwerden lassen, ja erkennt, Euer Majestät, in aller Demut, dass Ihr verpflichtet seid, Gott dafür zu danken, und dass Ihr Euch nicht undankbar erzeigen dürft, damit Gott Euch nicht verwirft, wie er Saul verworfen hat, als dieser Gottes heilige Gebote missachtete.«28

      Manche Zeitgenossen warfen Adrian vor, seinen Schüler eher ver- als erzogen zu haben – aber diese eindringlichen Mahnungen sprechen doch eine andere Sprache.

      Ein Traumland wird erschaffen

      Trotz aller Umsicht seiner Lehrer und Erzieher wies Karls Erziehung doch erhebliche Lücken auf. Wie einer seiner frühen Biografen, Willem Snouckaert van Schouwenburg, behauptete, ließ Adrian seinen Schüler »in dessen Jugend jeden Tag von den siegreichen Schlachten Cäsars lesen und von Augustus, Karl dem Großen, Jason, Gideon, von den Helden des Altertums und den Herzögen Philipp und Karl von Burgund«; und die Auswahl von Büchern, die Karl 1517 aus seiner Brüsseler Palastbibliothek mit nach Spanien nahm, spiegelt diesen engen Fokus ebenfalls wider. Gerade einmal zehn Werke suchte er sich aus, alle in französischer Sprache geschrieben und zumeist illuminierte Handschriften von Chroniken und Ritterliteratur, darunter die prachtvoll illustrierte Kurzgefasste Chronik von Jerusalem und denen, die mit Gottfried von Bouillon das Heilige Land eroberten, die Karl bei jeder Lektüre an sein burgundisches Kreuzfahrererbe erinnert haben dürfte.29 In der Kultur, in der Karl aufwuchs, gehörten derartige Handschriften zum absoluten Kernbestand. Schon sein Vater hatte einige davon mitgenommen, als er 1501 und 1506 nach Spanien gereist war; und unter den beinahe 400 Büchern in der Bibliothek seiner Tante Margarete befanden sich nur zwölf gedruckte – alle anderen waren Handschriften, viele davon so reich illuminiert, dass sie eher in eine Kunst- und Wunderkammer zu gehören schienen denn in eine moderne Bibliothek. Die meisten der von Karl bevorzugten Werke hatten eine ganz bestimmte Zeit und einen ganz bestimmten Ort zum Gegenstand: den burgundischen Hof des 15. Jahrhunderts, den der große niederländische Historiker Johan Huizinga im Sinne eines »Traumlands« gedeutet hat, verzückt vom »Ausblick auf das geträumte Glück einer schöneren Vergangenheit«, die nun durch »die Illusion eines heroischen Wesens voller Würde und Ehre, Weisheit und Ritterlichkeit« wieder zum Leben erweckt werden sollte:

      »Wie wirkt nun [diese] Einstellung auf das Leben? Das Verlangen nach schönerem Leben einem geträumten Ideal gemäß? Sie wandelt die Formen des Lebens in Kunstformen. Aber es sind nicht nur die Kunstwerke als solche, in denen sie ihren Schönheitstraum zum Ausdruck bringt, sie will das Leben selbst mit Schönheit veredeln und erfüllt das gesellschaftliche Leben selbst mit Spiel und Formen. Gerade hier werden an die persönliche Lebenskunst die höchsten Anforderungen gestellt, Anforderungen, denen nur eine Elite nachstreben kann, in einem kunstvollen Lebensspiel …« 30

      So sei das Leben der Fürsten noch in seinen alltäglichsten und gewöhnlichsten Handlungen symbolisch überformt und überhöht worden. Ob Geburten, Heiraten oder Todesfälle – alles fand im Rahmen von feierlichen und erhabenen Zeremonien statt. Und auch die Emotionen, die mit diesen Ereignissen einhergingen, wurden verstärkt und dramatisiert.

      Nach den Worten von Georges Chastellain, dem Chronisten von Karls Großvater Karl dem Kühnen, war der Haushalt eines Fürsten »das Erste, was ins Auge fällt; es ist daher unerlässlich, ihn bestens einzurichten und zu führen«. Er beschreibt mit ermüdender Genauigkeit die komplexen Rituale, die bei keiner höfischen Zeremonie fehlen durften. Bei solchen Anlässen war Herzog Karl »als Fürst und Herrscher über alle stets prächtiger und reicher gekleidet als alle anderen«. In puncto Detailbesessenheit übertraf Chastellains Nachfolger Olivier de la Marche diesen freilich noch in seiner Beschreibung des Hofhalts des Herzogs Karl von Burgund. Alle nachfolgenden Autoren brauchten sich daran nur noch ein Beispiel zu nehmen.31 La Marche, der zugleich als Lehrer des Erzherzogs Philipp fungierte, vertrat die Werte von Rang und Würde auch in seinem berühmtesten Werk Le chevalier déliberé (»Der unverzagte Ritter«), einem melancholischen Versepos, dessen Held und Icherzähler ein Ritter »im Herbst seines Lebens« ist. Viele Schlachten hat er geschlagen, aber jetzt muss er sich auf sein letztes Turnier vorbereiten: den Kampf gegen den Tod (la Mort), hier eine weibliche Gestalt, die bereits Herzog Philipp den Guten von Burgund, dessen Sohn Karl den Kühnen und die Enkelin Maria auf dem Gewissen hat. Unser Held ist entschlossen, diese Tode zu rächen, bevor er sich zum eigenen Sterben in ein Kloster zurückziehen will, aber zunächst sucht er diejenigen auf, die ihm mit Rat zur Seite stehen können – sowohl in geistlicher Hinsicht (denn vor dem letzten Kampf will er sich mit Andacht und Frömmigkeit rüsten) als auch in praktischen Dingen (mit Ratschlägen wie: »Handle nie im Zorn!« oder »Denke stets an alles!«).32

      Le chevalier déliberé hat Karl V. nachhaltig beeindruckt. Einen Großteil der Ratschläge, die der Ritter im Gedicht erhält, hat er in den Instruktionen, die er für seinen Sohn und Erben Philipp 1543 eigenhändig niederschrieb, gewissermaßen »recycelt«; sieben Jahre darauf begann er gar, La Marches ganzes Epos vom Französischen ins Spanische zu übersetzen »unter gebührender Berücksichtigung nicht nur der Sprache, sondern auch der dichterischen Form und der genauen Bedeutung der Worte«; und als Karl sich 1556 nach Spanien zurückzog, hatte er zwei Exemplare des Werkes im Gepäck (das französische Originalmanuskript und seine


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