Der Kaiser. Geoffrey Parker
Читать онлайн книгу.Neffe wieder vor seiner Tante »an der Spitze der Ritter«, um noch einmal unter Protest darauf hinzuweisen, dass ein Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies nur von anderen Ordensmitgliedern gerichtet werden durfte. Damit provozierte er die Statthalterin zu einer weiteren Zornestirade. Margarete erinnerte Karl daran, dass er noch immer zu jung war, um als Großmeister des Ordens zu amtieren, und den Rittern beschied sie, »wenn sie keine Frau, sondern ein Mann wäre, hätten sie sich ihre kostbaren Statuten erst noch zu verdienen«. Schließlich entschärfte Maximilian die Situation, indem er Don Juan Manuel unter strenger Bewachung an seinen eigenen Hof überführen ließ, doch da hatte Margaretes Autorität bereits erheblichen Schaden genommen.62
In seinen »Erinnerungen«, die Karl viele Jahre später zu Papier brachte, erwähnt er all dies mit keiner Silbe. Immerhin hält er fest, dass während seines Zusammentreffens mit Maximilian und Heinrich im Oktober 1513 »die Mündigkeit des Erzherzogs [d. h. seiner selbst, Karls] besprochen und vereinbart wurde«. Zwar hat sich von dieser Vereinbarung keinerlei schriftlicher Beleg erhalten, aber da die drei Protagonisten fast eine ganze Woche miteinander verbrachten, werden sie eine derart delikate Entscheidung eben im persönlichen Gespräch gefällt haben. Was auch immer das Trio entschieden haben mag: Sechs Monate später teilte Margarete ihrem Vater mit, dass die Generalstaaten es abgelehnt hatten, die von ihr geforderten Steuern zu bewilligen – »mit der Begründung, dass die Unmündigkeit meines Herrn [d. h. Karls] bald enden werde«. Im Monat darauf fügte sie hinzu, dass »manche Leute sagen, die Unmündigkeit meines Herrn werde enden, sobald er verheiratet sei. Wenn das so ist, solltet Ihr mir auftragen, alles Nötige in die Wege zu leiten, damit Ihr nicht unversehens feststellen müsst, dass dieser Umstand unerwartete Folgen nach sich zieht.« Auch warnte Margarete ihren Vater, dass viele Angehörige der niederländischen Elite »über uns murren und meinem Herrn Dinge in den Kopf setzen, die weder Euch noch mir taugen«. Schlimmer noch, man benutzte die »Beschwerden und Auseinandersetzungen« als einen Vorwand, um »die Unmündigkeit meines Herrn zu beenden, ehe man sichs versieht … Wenn Ihr dies verhindert wollt«, so müsse er, Maximilian, unverzüglich in die Niederlande zurückkehren, »andernfalls werdet Ihr niemals rechtzeitig hier eintreffen«.63
Am Ende war es Maximilian selbst, der die Mündigsprechung seines Enkels herbeiführte, indem er verlangte, dass dieser »die Niederlande verlassen und zu uns [nach Innsbruck] kommen« solle, »damit wir alles in die Wege leiten können, ihm den Huldigungseid aller Länder und Herrschaftsgebiete unseres Hauses Österreich zuteilwerden zu lassen, um so seinen Erbanspruch zu festigen – und den seines Bruders –, wenn ich einmal nicht mehr bin« (ein Hinweis darauf, dass Maximilian noch immer von der Schaffung eines vereinigten »Austrasien« träumte: siehe Kap. 1). Er wies seine Tochter also an, im Dezember 1514 die Generalstaaten einzuberufen, damit die zur Finanzierung von Karls Reise nötigen Gelder bewilligt werden konnten.64 Als es so weit war, forderten jedoch die Stände von Brabant, dass Maximilian seinen Enkel – als Vorbedingung jeder weiteren Bewilligung – sogleich in die Mündigkeit entlassen »und seine Unmündigkeit beenden [solle], sodass die Regierung aller Länder und Herrschaftsgebiete des Hauses Burgund in seine Hände gelegt wird«, worauf Karl (der persönlich anwesend war) gnädig antwortete: »Edle Herren, ich danke Euch für die Ehre und die tiefe Zuneigung, die Ihr mir erweist. Seid Ihr gute und treue Untertanen, dann will ich Euch ein guter Herrscher sein.« Inzwischen versprachen Chièvres und seine Mitstreiter Maximilian eine Zahlung von 100 000 Gulden für seine Einwilligung. Der Kaiser, der stets knapp bei Kasse war, unterzeichnete sogleich ein Dokument, mit dem die Generalstaaten zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen wurden, bei der die Entlassung seines Enkels aus der Vormundschaft erörtert und beschlossen werden sollte.65
Am 5. Januar 1515 verlas in der großen Halle des Herzogspalastes zu Brüssel und im Beisein der versammelten Elite der burgundischen Niederlande Pfalzgraf Friedrich eine förmliche Erklärung in Maximilians Namen des Inhalts, dass Karl nun seinen Kinderschuhen entwachsen sei und die Volljährigkeit erreicht habe. Hierauf »brachten sie die Urkunden herbei«, auf denen Margaretes Autorität als Statthalterin beruhte, und »zerrissen sie vor aller Augen. Zugleich schlugen sie mit scharfen Hämmern deren Siegel in Stücke« – eine ziemlich drastische Weise, einen Machtwechsel zu markieren. Anschließend »erhoben [alle] ihre Hände, wie es der Brauch jener Länder ist, und schworen, Karl als ihren rechtmäßigen Herrn anzunehmen«.66
3Ein schwieriges Erbe (1515–1517)
Ein Prinz wird erwachsen
Am 8. Januar 1515, drei Tage, nachdem »es dem Kaiser, meinem Herrn und Großvater, gefallen hat, mich aus seiner Hut und Vormundschaft in die Mündigkeit zu entlassen und die Regierung unserer Länder und Herrschaften in den Niederlanden in unsere Hände zu legen«, wies Karl alle seine Amtleute an, dass »unsere Angelegenheiten fortan in unserem [eigenen] Namen geführt werden sollen«, und fügte hilfreicherweise gleich eine Liste bei, in der sämtliche »Titel, die wir von nun an zu führen gedenken«, aufgeführt waren:
»Von Gottes Gnaden Erbprinz von Spanien, von Sizilien und Neapel, von Jerusalem usw.; Erzherzog zu Österreich, Herzog zu Burgund, zu Lothringen, zu Brabant, zu Steiermark, zu Kärnten, zu Krain, zu Limburg, zu Luxemburg und zu Geldern; Graf zu Flandern, zu Habsburg, zu Tirol, zu Artois, zu Burgund und zu Hennegau; Landgraf im Elsass; Fürst zu Schwaben; Markgraf zu Burgau, zu Holland, zu Seeland, zu Pfirt, zu Kyburg, zu Namur und zu Zutphen; Herr zu Friesland und der Windischen Mark, zu Portenau, zu Salins und zu Mecheln.«1
Manche dieser Titel hatte Karl sich ein wenig vorschnell angeeignet – namentlich jene aus dem Elsass und den österreichischen Erblanden, über die noch immer sein Großvater Maximilian gebot, jene aus der Franche-Comté, die ein persönliches Lehen seiner Tante Margarete war, und den Titel eines Herrn von Friesland, das gegenwärtig noch unter der Verwaltung des Herzogs Georg von Sachsen stand. Doch schon im Mai 1515 verkaufte Georg Friesland an Karl: Dies war die erste wirkliche Erweiterung seines ererbten Besitzes.
Einem Chronisten zufolge brach im Anschluss an seine Mündigsprechung »mein Herr auf, um seine Herrschaftsgebiete in Besitz zu nehmen, und reiste von einer Stadt zur nächsten«, wobei er den Einwohnern jeweils schwor, die örtlichen Priviliegien zu achten, wofür diese ihm dann den Huldigungseid leisteten (siehe Karte 2). Seine neuen Untertanen gaben ihr Bestes, damit Karl sich willkommen fühlte. Bei seinem zeremoniellen Einzug in die Stadt Brügge als Graf von Flandern stellte eine erste Darbietung, die zur Aufführung kam, drei Engel dar, die ihrem neuen Landesherrn eine Krone, ein Wappen und den Stadtschlüssel überreichten, ganz so, wie die drei Weisen aus dem Morgenland dem Christuskind ihre Gaben dargebracht hatten. Weitere Szenen setzten Brügge mit Jerusalem gleich, verbildlichten die Abstammung des Fürsten von König David und spielten auf die zahlreichen Territorien in Spanien, Italien
Nach seiner Mündigsprechung im Januar 1515 brach Karl zu einer fünfmonatigen Rundreise durch die habsburgischen in Provinzen der westlichen Niederlande auf. In allen wichtigen Städten ließ er sich dabei in einem zeremoniellen Einzug als Herrscher empfangen und huldigen. Später sollte er auch alle anderen Provinzen besuchen, die Teil seines Erbes waren, dazu noch Utrecht (1528 erworben) und Geldern (1543 erobert).
Nach Friesland (1524 erworben), Drenthe und Overijssel (1528 erworben) sowie Groningen (1536 erworben) kam Karl jedoch nie.
und dem römisch-deutschen Reich an, die er schon bald erben sollte. Für einen kaum Fünfzehnjährigen muss das alles eine schwindelerregende Erfahrung gewesen sein – am Tag darauf verlangte Karl, die ganze Darbietung noch einmal zu sehen. Auch ließ er eine Prachthandschrift anfertigen, die auf 32 ganzseitigen, farbigen Illustrationen die Spektakel jenes Tages festhielt (Abb. 7). Derweil gaben die Brügger Stadtherren bei einem Drucker in Paris eine kürzere, mit einfachen Holzschnitten bebilderte und einem gereimten niederländischen Text versehene Fassung in Auftrag. Dies war der erste planmäßige Einsatz von Medien, um Karls Ruhm zu mehren.2
Der neue Herrscher und seine engsten Berater trafen nun einige wichtige Entscheidungen. Im Januar 1515 ordnete