Der Kaiser. Geoffrey Parker
Читать онлайн книгу.Maximilian vergeudete seine Zeit. Schon begannen ausländische Gesandte, Chièvres und Le Sauvage als Karls »Statthalter« oder als »die Regenten« zu bezeichnen, und eine Zeit lang schien den Habsburgern die Herrschaft über die Niederlande so gut wie entglitten. Die neue Vormachtstellung der »Statthalter« trat in der unterwürfigen Frankreichpolitik, die sie in Karls Namen verfolgten, unmittelbar zutage. Der plötzliche Tod Ludwigs XII. am 1. Januar 1515 hatte eine heikle Situation geschaffen. Da der französische König keinen männlichen Erben besaß, folgte ihm sein Vetter François, ein Zwanzigjähriger aus der Angoulêmer Nebenlinie des Hauses Valois, als Franz I. auf dem Thron nach. Bei einer Audienz zwei Tage nach seiner Thronbesteigung teilte Franz einem Abgesandten Karls mit, er wolle diesem »ein guter Verwandter, Freund und Herr sein, denn er ist mein Vasall«. Keinesfalls wolle er hingegen »von ihm gegängelt werden, wie der Kaiser und der König von Aragón [d. i. Ferdinand] den verstorbenen König gegängelt haben«. Karls Gesandter fühlte sich von dieser Spitze grundlos beleidigt und schoss zurück: Zwar wolle Karl mit Frankreich in Frieden leben, »wie es der König sein Vater getan hat, [aber] ich muss Euch doch sagen, Sire, dass Ihr wohl keinen Freund und Vasallen finden werdet, der Euch größeren Schaden zufügen könnte«.10 Karls Statthalter beeilten sich, dieser trotzigen Position den Stachel zu ziehen, und gaben Order, dass Karls Abgesandte bei den Krönungsfeierlichkeiten für Franz I. alle Register der Unterwürfigkeit ziehen sollten. Sie hatten sich dafür zu entschuldigen, dass ihr Fürst nicht persönlich an der Zeremonie teilnehmen konnte »wegen unseres übervollen Terminplans und des kürzlichen Antritts als Herr unserer niederländischen Provinzen«. Weiter sollten sie Karls große Freude darüber zum Ausdruck bringen, auf dem französischen Thron nunmehr einen »solch tapferen und tugendreichen Fürsten in der Blüte und vollen Kraft seines Alters« zu sehen. Sollte »während der Zeit meiner Unmündigkeit irgendetwas vorgefallen sein, das Missfallen erregt hätte«, waren die Gesandten gehalten, »in Anbetracht meines jungen Alters« um Vergebung nachzusuchen. Außerdem sollten sie die Hoffnung äußern, dass die beiden Herrscher, Franz und Karl, »gemeinsam große Dinge vollbringen mögen zu ihrem eigenen Nutzen, zum Wohl der Allgemeinheit und zur Stärkung unseres heiligen katholischen Glaubens«. Schließlich mussten sie Karls Wunsch bekräftigen, ein Bündnis mit der französischen Krone zu schließen, das durch seine Heirat mit der Prinzessin Renée besiegelt werden sollte; die zum damaligen Zeitpunkt Achtjährige war nicht nur eine Tochter des verstorbenen Königs, sondern auch Franz’ Schwägerin. Als Maximilian sich brieflich einschaltete, um den Gesandten eine stärker fordernde Haltung mit Blick auf Renées Mitgift aufzutragen, widersprachen Karl und seine »Statthalter« dem unverzüglich:
»Obwohl wir meinem Herrn und [Groß-]Vater durchaus zu Gefallen sein wollen, damit er keinen Grund zur Beschwerde habe und uns sage, wir hätten seine Anweisungen nicht befolgt … dürft Ihr doch dem König [von Frankreich] oder seinen Leuten keinen Grund oder Anlass zu der Vermutung geben, wir würden einen Bruch unseres Bündnisses wünschen oder riskieren.«11
Die »Statthalter« hatten gute Gründe, Frankreich zu besänftigen. Wie ein englischer Diplomat bemerkte, war der Kaiser inzwischen »kränklich, und der König von Aragón ist hochbetagt«. Wenn sie stürben, würde Karl ihre Titel und Territorien erben – sofern er seine Ansprüche durchsetzen konnte. Daher war es so wichtig, die Niederlande gegen jegliche Kriegsgefahr abzusichern. Der im März 1515 in Paris unterzeichnete Friedensvertrag erreichte dieses Ziel: Franz versprach, dass er Karls Besitz weder selbst angreifen noch einen Angriff darauf unterstützen werde (drei Wochen später untersagte er dem Herzog von Geldern, »den Ländern des Prinzen von Kastilien auch nur den geringsten Schaden anzutun«). Außerdem sagte er zu, Karls dynastische Ansprüche gegen alle Herausforderer zu verteidigen. Mit Blick auf Renée jedoch legte Franz fest, dass sie erst in ihrem zwölften Lebensjahr zu ihrem Bräutigam ziehen sollte (was bedeutete, dass Karl noch mindestens vier Jahre warten musste, bevor er einen rechtmäßigen Erben zeugen konnte) und dass sie alle Ansprüche auf das strategisch wichtige Herzogtum Bretagne aufgeben sollte (das Karl ja überhaupt erst dazu gebracht hatte, um ihre Hand anzuhalten). Stattdessen bestand ihre Mitgift aus Ländereien, die nach ihrem Tod an Frankreich zurückfallen würden. Außerdem sollte Karl für den Fall, dass er sein Heiratsversprechen bräche, sämtliche Territorien verlieren, die er als Lehen der französischen Krone hielt. »Mein Herr«, begann Karls kleinlaute Erklärung an die Adresse seines Großvaters Ferdinand von Aragón, »ich wünschte wahrlich, dieser Vertrag brächte mir mehr Ehre und Vorteil, als er es nun tut; aber ich habe genommen, was ich bekommen konnte, weil ich einsah, dass mir in der gegenwärtigen Situation ein guter Friede mehr wert ist als ein Krieg, wie gerecht er auch sein möge. Ich bitte Euch inständig, mein Herr, dass Ihr meine Lage bedenkt und mir all dies nicht übelnehmt.«12
Während seines ersten Jahres auf dem französischen Thron gelangen Franz noch andere denkwürdige Erfolge. Im Februar 1515 vermittelte er die heimliche Hochzeit zwischen der inzwischen neunzehnjährigen vormaligen »Prinzessin von Kastilien« (und Witwe Ludwigs XII.), Mary Tudor, und dem Herzog von Suffolk, den Heinrich VIII. entsandt hatte, um Mary nach England zurückzuholen. Der Komplizenschaft Franz’ I. war es zu verdanken, dass Suffolk nun prompt damit prahlen konnte, er habe seiner jungen Braut bereits »beigelegen« und sie trage »bereits ein Kind unter dem Herzen« – was natürlich ausschloss, dass sie mit Karl (oder irgendwem sonst) verheiratet werden konnte.13 Sodann ergriff Franz die Gelegenheit – da der Pariser Frieden Karl einen Angriff auf Frankreich oder auch nur die Unterstützung eines solchen verbot – und zog mit einer großen Streitmacht über die Alpen nach Italien, wo er im Bund mit der Republik Venedig am 13./14. September 1515 bei Marignano dem Heer des Herzogs von Mailand – das durch Truppen seiner Verbündeten Kaiser Maximilian, Ferdinand von Aragón und Papst Leo X. verstärkt wurde – eine vernichtende Niederlage zufügen konnte.
Bald besetzten französische Truppen sowohl das Herzogtum Mailand als auch die angrenzende Republik Genua und kurz darauf kapitulierte auch Papst Leo, überließ seinem früheren Feind die Herzogtümer Parma und Piacenza – Territorien, auf die sowohl der Heilige Stuhl als auch die Herzöge von Mailand Anspruch erhoben – und schlug in seiner Eigenschaft als Lehnsherr des Königreichs Neapel vor, Franz solle zu gegebener Zeit der Nachfolger Ferdinands von Aragón auf dem neapolitanischen Thron werden. Als der Katholische König dann am 23. Januar 1516 starb, war diese Zeit rasch gekommen.
Die spanische Erbfolge
Das Ableben Ferdinands von Aragón kam wenig überraschend. Mit 63 Jahren war er der älteste Monarch Europas und hatte doch (wie der englische Gesandte John Stile bemerkte) »die Tage seines Lebens mutwillig vermindert, indem er sich mit Jagd und Falkenbeize verausgabte bei Sonne wie bei Regen und damit mehr dem Ratschluss seiner Vögel zu folgen schien als dem seiner Ärzte«. Weiter berichtete Stile, wie unbeliebt Ferdinand in Kastilien geworden war, was sich nicht zuletzt daran gezeigt habe, dass nur ein einziger spanischer Adliger den Leichnam des Königs zum Begräbnis nach Granada begleitet habe. Dort sei dann »dem besagten König keine allzu große Trauerfeier zuteilgeworden, ja überhaupt wenig getrauert worden, weniger als um irgendeinen anderen Fürsten seit Menschengedenken«. Stile schloss mit der Bemerkung, dass Karl in Spanien zwar »wie aus einem Munde« unterstützt werde und »kein Einziger etwas Gegenteiliges äußert«, bei den Untertanen des verstorbenen Königs jedoch »nur wenig Zuneigung und Treue« zu finden sei. Daher sehe er, Stile, »Wechsel und Umbruch« voraus, wenn nicht der neue Herrscher so schnell wie möglich nach Spanien komme, um sein Erbe in Besitz zu nehmen.14
Stiles Analyse und Vorhersage lässt sich kaum etwas hinzufügen, denn Ferdinand hinterließ in der Tat eine hochkomplexe Erbsituation. Zunächst einmal gab es so etwas wie »Spanien« überhaupt nicht. Obwohl Ferdinands Heirat mit Isabella eine dynastische Verbindung zwischen den Kronen von Aragón und Kastilien mitsamt deren Nebenterritorien gestiftet hatte, waren doch die jeweiligen Institutionen, Gesetze, Münzwährungen und Rechtssysteme der einzelnen Bestandteile unangetastet geblieben. Die Befugnisse und Regierungsmethoden der Krone unterschieden sich von Gebiet zu Gebiet (Kastilien, Aragón, Katalogien, Valencia) und jedes Territorium unterhielt seine eigenen Zollschranken und Grenzposten. Auch in der Außenpolitik blieben ihre Ziele verschieden. Isabella und ihre Ratgeber hatten mit großem Eifer Krieg gegen das muslimische Nordafrika geführt, während Ferdinand zwar einem Kreuzzug