Der Kaiser. Geoffrey Parker

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Der Kaiser - Geoffrey  Parker


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rel="nofollow" href="#u41f2d9a4-c8fe-4615-9616-bca5c306af71">siehe Kap. 1). Eine Prozession von Rittern des Ordens vom Goldenen Vlies, die Ferdinands Herrschaftszeichen mit sich trugen, zog Karl voran in die Kathedrale ein. Dann nahmen die Ordensritter Aufstellung rund um Ferdinands Sarg, auf dem »eine goldene Krone und ein Schwert« lagen. Dreimal rief der Oberherold den Verstorbenen unter Nennung all seiner Titel aus, aber jedes Mal antwortete eine klagende Stimme aus der Tiefe des Kirchenschiffs: »Er ist tot.« Nach dem dritten Aufruf verkündete der Herold, dass nun Karl und Johanna »diese Reiche geerbt« hätten. Manrique »nahm die Krone vom Katafalk und ging zu Karl hinüber … und sprach: ›Sire, dies gehört Euch als dem König.‹ Dann nahm er gleichermaßen das Schwert, reichte es ihm und sprach: ›Da Ihr nun König seid, nehmt dieses Schwert, um gerecht zu richten.‹« Als der neue König sich daraufhin zu der in der Kathedrale versammelten Menschenmenge umwandte, ertönten Trompeten, und Chöre stimmten Lobgesänge zu seinen Ehren an. Eine Woche darauf unterzeichnete Karl eine Reihe von Briefen, in denen er versicherte, der Papst und der Kaiser hätten ihn zusammen mit vielen »klugen und weisen Edelleuten« und »etlichen Provinzen und Herrschaften« gedrängt, er solle »zusammen mit der Katholischen Königin, meiner Mutter, den Namen und Titel eines Königs annehmen. Und das tat ich.« Und dann fügte er – offenbar zum ersten Mal – die traditionelle Königsunterschrift an, die er über die nächsten vierzig Jahre für seine gesamte Korrespondenz in spanischer Sprache verwenden sollte: »Yo el Rey« – »Ich, der König«.31

      Cisneros und dem Madrider Regentschaftsrat blieb nichts anderes übrig, als diese Entwicklungen empört aus der Ferne mitzuverfolgen. Nur wenige Tage zuvor hatten sie einen Brief an Karl aufgesetzt, in dem sie darlegten, dass »manche Leute, wie uns zu Ohren gekommen ist, Euch – wohl aus einem übergroßen Eifer heraus, Euch zu Diensten zu sein, Hoheit – durch ihr Drängen dazu gebracht haben, den Titel ›König‹ schon jetzt anzunehmen«, was sie jedoch ablehnten: »Es scheint uns, dass Euer Hoheit dies nicht tun sollte, noch ist es auch im Sinne Gottes oder der Welt, so zu handeln, denn da in den Königreichen Eurer Hoheit Frieden herrscht … solange unsere liebe Frau Königin am Leben ist, besteht überhaupt kein Grund, dass Ihr Euch ›König‹ nennt.« Auch erinnerten sie Karl daran, dass »böse Menschen in diesen Königreichen sich zu allen Zeiten über ihre jeweiligen Herrscher beklagt und sich den potenziellen Nachfolgern angedient haben, um Unfrieden zu säen und das Königreich umso leichter tyrannisieren zu können«.

      »Wenn Euer Hoheit sich jetzt ›König‹ nennt, könnte dies Schwierigkeiten hervorrufen und den Interessen Eurer Hoheit ernstlich schaden, da es (wie zu erwarten stünde) den Anspruch und Titel unserer Herrin, der Königin, in Zweifel zöge … Die Unzufriedenen in diesen Königreichen, die Feinde des Friedens und der Eintracht, würden dies ausnutzen, indem manche – mit der Sprache der Loyalität maskiert – Eurer Hoheit zu dienen vorgäben und andere Eurer Mutter.«32

      Aber sie schrieben vergebens, und nachdem die Nachricht von der Brüsseler Krönungszeremonie nach Spanien gelangt war, hatten Cisneros und seine Räte auch kaum eine andere Wahl, als sich den neuen Realitäten zu beugen. Am 3. April 1516 genehmigten sie die Durchführung einer Zeremonie, bei der ganz offiziell »das Banner des Königs aufgepflanzt« wurde – die traditionelle kastilische Art, den Regierungsantritt eines neuen Monarchen zu feiern. Mehrere Städte proklamierten umgehend ihre Gefolgschaft: »Kastilien, Kastilien, Kastilien für Königin Johanna und König Karl, unsere erhabenen Herrscher«, während andere trödelten. In Zamora wurde das königliche Banner erst am 18. Mai gehisst, in Plasencia gar erst am 25. Juli. Der englische Gesandte John Stile notierte, dass viele Kastilier »großen Anstoß nehmen und verstimmt sind darüber, dass die Flamen ihren Prinzen zum König von Kastilien erklärt haben ohne [ihre] Einwilligung«.33

      Die ungewisse Lage brachte – im Zusammenspiel mit dem Wunsch, sich bei dem neuen Herrscher und seinen Beratern möglichst beliebt zu machen – etliche von Karls neu gewonnen Untertanen dazu, die Reise von Spanien nach Brüssel anzutreten. Im April 1516 kamen nach Auskunft des englischen Botschafters in den Niederlanden »tagtäglich so viele Spanier hier an, dass der Hof schon ganz voll ist von ihnen«. Drei Monate später »begingen sie«, wie Cisneros Agent in Brüssel schreibt, »das Jakobsfest auf spanische Art: 24 Ritter nahmen an der Vesper und der Messe teil«.34 Dieser Umstand signalisierte eine entscheidende Entwicklung, denn die besagten Ritter entstammten der Elite der spanischen Gesellschaft und standen rangmäßig deutlich über den Felipistas. Die Mitglieder einer anderen Gruppe von Neuankömmlingen, später als Fernandinos bezeichnet, hatten dem verstorbenen König gedient, jedoch ihre Posten verloren, als Cisneros die Macht übernahm. Einer von ihnen war Francisco de Los Cobos, der seit den 1490er-Jahren im kastilischen Sekretariat der Königin Isabella tätig gewesen und seit 1503 von Ferdinand mit Geldzuwendungen bedacht worden war. Er konnte sich einer gründlichen Vertrautheit mit den Feinheiten nicht nur der kastilischen (Steuer-)Verwaltung, sondern auch der amerikanischen Kolonien rühmen. Am 31. Oktober 1516 wies Karl Cisneros an, Los Cobos fortan ein Gehalt aus der kastilischen Staatskasse auszuzahlen, »denn er ist hergekommen, um uns zu dienen, und befindet sich nun seit einer Weile in unseren Diensten«. Sechs Wochen darauf leistete Los Cobos seinen Eid als königlicher Sekretär, und bis zu seinem Tod 31 Jahre später sollte er Tausende von Briefen öffnen, lesen und zusammenfassen, die an Karl adressiert waren und sich mit nahezu sämtlichen Aspekten der Regierung und seiner überseeischen Besitzungen befassten. Auch entwarf Los Cobos die Antwortschreiben, die Karl dann prüfte und unterschrieb. Als der Kaiser 1543 eigenhändig die vertraulichen Instruktionen für seinen Sohn niederschrieb, widmete er Los Cobos in seiner Beurteilung mehr Raum als irgendeinem anderen Minister – und erwähnte unter anderem auch die hartnäckige Rivalität zwischen Fernandinos wie Los Cobos, die erst vergleichsweise spät in Karls Dienste getreten waren, und Felipistas wie Juan de Zúñiga, die schon gut zehn Jahre zuvor aus Spanien geflohen waren.35

      Einer der wenigen Punkte, in denen die Anhänger beider Parteien übereinstimmten, war die von ihnen als dringend notwendig erachtete Rückkehr Karls nach Spanien. Bereits im März 1516 hatte Bischof Manrique gemeldet, es sei »in einer Sitzung des Rates, bei der alle sich zu Wort meldeten und abstimmten, beschlossen worden, dass der Prinz unser Herr nach Spanien aufbrechen sollte« – und zwar noch in diesem Sommer. Dennoch hegte Manrique aus demselben Grund dieselben Bedenken, die ein Jahrzehnt zuvor auch Karls Vater gegolten hatten (siehe S. 29): Zwar habe »der Prinz mit schönen Worten von seiner Entschlossenheit zur Abreise gesprochen«, bemerkte der Bischof, jedoch seien »die Menschen hierzulande überaus wankelmütig, und was sie heute beschließen, ist morgen vergessen«. Er fürchtete daher, »wenn sie nicht in diesem Sommer die Segel setzen, wird die Reise – da der Winter ja eine gefährliche Zeit ist für die Seefahrt – wohl bis zum nächsten Sommer aufgeschoben werden«. Seine Befürchtung sollte sich als Prophezeiung erweisen. Sechs Wochen später teilte Karl seinem Bruder Ferdinand zwar mit: »Ihr könnt Euch das Verlangen und den Eifer nicht vorstellen, die mich erfüllen«, nach Spanien zu kommen, und versprach ihm, dass »Ihr der Erste sein werdet, der den Platz oder Hafen erfährt, wo wir anlanden werden«. Vorerst jedoch, fügte Karl hinzu, »können wir nicht ganz sicher sein: Gott und das Wetter werden es entscheiden.« Im Oktober 1516 entschuldigte er sich abermals bei Ferdinand, dass »gewisse sehr dringliche Angelegenheiten sich eingestellt haben, sodass ich zum Schutz all der anderen Königreiche und Herrschaften, über welche die Katholische Königin – meine Mutter – und ich herrschen, meine Reise bis zum Frühjahr aufschieben muss«. Im März 1517 ließ Karl dann tatsächlich in Middelburg eine Flotte zusammenziehen – in demselben Hafen, von dem aus seine Eltern elf Jahre zuvor nach Spanien aufgebrochen waren.36

      Manrique vermutete, dass der eigentliche Hauptgrund für die Verzögerung die Notwendigkeit war, Karls burgundisches Erbe für die Zeit seiner Spanienreise gegen die Gefahr einer Invasion zu schützen, und der Bischof nannte auch gleich drei potenzielle Feinde: England, Frankreich und Geldern. Der Erste von ihnen sollte sich am einfachsten besänftigen lassen: Schon im April 1516 unterzeichneten Abgesandte Heinrichs VIII. in Brüssel einen Vertrag, mit dem bestehende Handelsstreitigkeiten beigelegt wurden; außerdem versprachen die Engländer Karl ihre Unterstützung, sollte irgendjemand während seiner Abwesenheit in die Niederlande einfallen. Heinrich sicherte Karl außerdem zu, in England willkommen zu sein, sollte seine Flotte auf dem Weg nach Spanien einen sicheren Hafen brauchen. Der Abschluss


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