Der Kaiser. Geoffrey Parker
Читать онлайн книгу.weitaus größeres Gewicht auf die Festigung seiner Herrschaft in Italien legte.15 1506/07 hatte er sogar ein ganzes Jahr in Neapel verbracht.
Ferdinands Abwesenheit aus Spanien war indes nicht freiwillig gewesen. Sein Titel eines Königs von Kastilien – aus dem Recht seiner Ehefrau Isabella – war mit deren Tod im Jahr 1504 erloschen, und obwohl er nach Isabellas letztem Willen so lange als Regent des Königreichs eingesetzt wurde, bis Johanna und Philipp zurückkehren würden, um ihr Erbe in Besitz zu nehmen, nahmen die Unstimmigkeiten in Fragen von Regierung und Patronage in der Folge beständig zu. 1505 verheiratete Ludwig XII. von Frankreich seine Nichte Germaine de Foix mit Ferdinand und überließ beider Nachkommen den französischen Anspruch auf Neapel – womit diesen Nachkommen dereinst auch Sizilien, Sardinien, Aragón sowie Ferdinands sämtliche anderen Besitztümer zufallen sollten. Diese Entwicklung beunruhigte, ja erboste Philipp, der im Jahr darauf mit einer Eskorte deutscher Söldner nach Spanien zurückkehrte, im Gepäck auch eine größere Summe Bargelds, die er zu Bestechungszwecken verwenden wollte. Dieses Zusammenspiel von Zuckerbrot und Peitsche überzeugte die meisten von Ferdinands Anhängern in Kastilien, zu seinem Rivalen überzulaufen, und als die beiden Monarchen dann am 27. Juni 1516 aufeinandertrafen, hatte der neue König ein gewaltiges, bewaffnetes Gefolge um sich, während sein Schwiegervater mehr oder minder allein dastand. Ferdinand unterzeichnete daraufhin eine Vereinbarung, der zufolge er Kastilien verlassen und seine Ansprüche daran aufgeben sollte (im Austausch für eine regelmäßige Rentenzahlung), sowie ein weiteres Dokument, in dem Johanna ihre sämtlichen Anrechte genommen wurden. Die Begründung dafür lautete, andernfalls sei »die völlige Zerstörung und der Verlust dieser Königreiche gewiss wegen ihrer Krankheit und Veranlagung, von denen hier aus Diskretion nicht weiter die Rede sein soll«.16 Später am selben Tag brachte der listige Ferdinand jedoch einen Kniff zum Einsatz, der seinem Enkel noch schlaflose Nächte bereiten sollte: Er schwor vor Notaren, dass er beiden Vereinbarungen mit Philipp nur unter Zwang zugestimmt hatte, da er »im Vertrauen auf sein Wort und Versprechen arglos« zu dem vereinbarten Treffen gegangen sei, nur um dort festzustellen, dass »seine bewaffnete Macht meine königliche Person offenkundig und unzweifelhaft in Gefahr brachte«. Er habe nur deshalb der Entrechtung Johannas zugestimmt und »die Regierung Kastiliens, das rechtmäßig mein Eigen ist«, abgetreten, weil er »von den besagten Gefahren und von der Angst dazu gezwungen wurde«. Folglich fehle den geschlossenen Vereinbarungen jede Verbindlichkeit.17 Einen Monat später traf sich Philipp, dem diese Entwicklungen gänzlich unbekannt waren, zu einem mehr als einstündigen Zwiegespräch mit seinem Schwiegervater, in dessen Verlauf Ferdinand behauptete, er habe Philipp »in allen Einzelheiten darüber instruiert und beraten, was er aus meiner Sicht zur guten Regierung und dauerhaften Befriedung dieser Königreiche tun muss, und auch über andere Angelegenheiten, die unseren Besitz und unsere Freunde betreffen … und in allen diesen Punkten verblieben wir in der größten Eintracht«.18 Unmittelbar darauf brach Ferdinand nach Aragón auf; am 4. September 1506 stach er mit Kurs auf Neapel in See. Philipp starb drei Wochen später.
Johanna, vom plötzlichen Tod ihres Mannes am Boden zerstört und zudem neuerlich schwanger, schien dem täglichen Regierungsgeschäft nicht mehr gewachsen. Also berief der Kardinal Francisco Jiménez de Cisneros, Erzbischof von Toledo und Primas von Spanien, ein Treffen der führenden Unterstützer Philipps wie Ferdinands ein und brachte sie dazu, eine förmliche Verpflichtung zu unterzeichnen. Darin verpflichteten sie sich, künftige Meinungsverschiedenheiten vor ein unabhängiges Schiedsgericht zu bringen, anstatt gleich zu den Waffen zu greifen – jedenfalls so lange, bis die Cortes des Königreichs wieder zusammengetreten wären und über das weitere Vorgehen entschieden hätten. Cisneros setzte außerdem einen Regentschaftsrat ein, mit dessen Hilfe er das Königreich regierte, bis Ferdinand 1507 nach Spanien zurückkehrte.
Fast den gesamten Rest seines Lebens verbrachte Ferdinand in Kastilien und traf dort zahlreiche Entscheidungen, die auch für Karl einschneidende Konsequenzen haben sollten. Auf außenpolitischer Bühne entsandte Ferdinand in den Jahren 1509/10 ein Expeditionsheer nach Nordafrika, das mehrere muslimische Hafenstädte einnahm, und im Jahr 1512 ein weiteres nach Navarra, das den südlichen Teil des Königreichs eroberte. Zwar riefen diese beiden Erfolge in Spanien ein positives Echo hervor; aber sie beschworen zugleich den nachhaltigen Zorn der osmanischen Sultane beziehungsweise der französischen Könige herauf. Um die Territorialgewinne seines Großvaters zu erhalten, musste Karl später immense Mengen an Menschen, Material und Geld aufwenden. Im Inneren trug Ferdinands Gegenwart dazu bei, nach dem Tod Philipps die öffentliche Ordnung zu sichern, und sorgte damit letztlich auch dafür, dass der Sohn des Verstorbenen sein kastilisches Erbe unbeschadet übernehmen konnte. Zwei innenpolitische Initiativen Ferdinands hatten indes direkte Auswirkungen auf den jungen Prinzen. Erstens ließ Ferdinand nach seiner Rückkehr all jene verfolgen, die »begierig waren, eine neue Herrschaft anbrechen zu sehen, die den Prinzen oder seinen Großvater, den Kaiser, nach Spanien bitten wollten« oder die »sich als ausschließliche Gefolgsleute des [verstorbenen] Königs Philipp zu erkennen gaben und König Ferdinand aus Kastilien vertreiben wollten«. Es dauerte nicht lange, da hatten sich die meisten der von Ferdinands Nachstellungen Betroffenen »entschlossen, das Königreich zu verlassen und in die Niederlande zu gehen«.19 Zweitens behandelte Ferdinand seine Tochter, die oft »Johanna die Wahnsinnige« genannt wird, überaus schlecht. Johanna war inzwischen aus eigenem Recht Königin von Kastilien sowie Ferdinands Erbin in Aragón, Neapel, Sardinien und Sizilien.
Nicht alle ihre Zeitgenossen hielten Johanna für wahnsinnig. Im Jahr 1505 meldete ein venezianischer Gesandter am spanischen Hof, Vincenzo Quirini, Maximilian habe einen mehrwöchigen Aufenthalt in den Niederlanden »zumeist mit der Königin«, also Johanna, verbracht, »wobei er sie fast ohne Unterlass durch Feste unterhielt«. Dabei versuchte er, zwischen ihr und ihrem Ehemann Frieden zu stiften, bevor die beiden die Rückreise nach Spanien antraten. Maximilian habe, heißt es bei Quirini weiter, »alles in seiner Macht Stehende versucht, sie [d. i. Johanna] glücklich zu machen, weil er weiß, dass all ihre Probleme von ihrer Depression herstammen (tuto el mal suo procedava da melanchonia)«. Nach des Gesandten Meinung hatte Maximilian damit Erfolg. Heinrich VII., der einige Wochen darauf mit Johanna zusammentraf, als ihr Schiff auf dem Weg nach Spanien von einem Sturm an die englische Küste getrieben worden war, hätte dem wohl zugestimmt: »Als ich sie sah«, berichtete er später dem spanischen Botschafter, »schien sie mir in guter Verfassung zu sein, und sie sprach auf eine so beherrschte und anmutige Weise, dass ihre Autorität nicht einen Augenblick lang infrage stand«. Und mehr noch: »Obgleich ihr Gemahl [Philipp] und seine Begleiter sie für wahnsinnig hielten, schien sie mir doch vollkommen bei Sinnen zu sein, und davon bin ich auch jetzt noch überzeugt.« Auch Ferdinand hegte in diesem Punkt offenbar Zweifel. Als Philipp und er wiederum zusammentrafen – einen Monat, nachdem sie Johanna für regierungsunfähig erklärt hatten –, drängte der König seinen Schwiegersohn, Johannas Verhalten zu dulden, »wie er selbst ja auch das Verhalten der Königin Isabella, Johannas Mutter, geduldet hatte, die in ihrer Jugend vor Eifersucht zu noch viel schlimmeren Exzessen getrieben worden war, als sie jetzt ihre Tochter an den Tag legte; aber mit seiner Hilfe war sie wieder Herrin ihrer Sinne und schließlich zu der Königin geworden, die alle kannten«.20
Bethany Aram hat nach umfassendem Studium der zeitgenössischen Quellen diesen Einschätzungen zugestimmt. Sie sieht Johannas vorrangiges Ziel darin, den umfangreichen Besitz ihres verstorbenen Mannes unversehrt für ihren Sohn Karl zu bewahren. Aus diesem Grund lehnte es die Königin strikt ab, noch einmal zu heiraten, und zog sich stattdessen in ein Kloster zurück, erst in der Nähe von Burgos und dann in Tordesillas, wobei sie den Leichnam Philipps jeweils mit sich führte. Ihrem Vater ließ sie bei der Regierung Kastiliens freie Hand und stellte ihm alle Ressourcen des Königreiches zur Verfügung – was dieser ausnutzte, um Johanna zu kontrollieren und sogar körperlich misshandeln zu lassen. Kurz nach Ferdinands Tod erinnerte sich Johannas vormaliger Kerkermeister in Tordesillas wehmütig daran, dass Johanna einmal aus Protest das Essen verweigerte und ihr Vater daraufhin »anordnete, dass sie ausgepeitscht werden solle, um ihr das Leben zu retten, damit sie nicht stürbe«.21
Für seine Doppelrolle als Regent von Kastilien und Vormund Johannas bis zu deren Tod (oder bis ihr Sohn Karl zwanzig Jahre alt sein würde) holte Ferdinand das Einverständnis gleich von zwei Seiten ein: zum einen von Maximilian (der bereits gedroht hatte, Karl nach Spanien zu bringen und