Der Kaiser. Geoffrey Parker

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Der Kaiser - Geoffrey  Parker


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»schrieb einen scharf formulierten Brief an den König, seinen Enkelsohn, in dem er diesen an sein Versprechen erinnerte«. Die erste Maiwoche verbrachte Maximilian selbst in Zeeland, um die Reisevorbereitungen persönlich zu überwachen. Dann traf er noch einmal in Lier mit Karl zusammen, der Stadt, in der Philipp und Johanna zwanzig Jahre zuvor geheiratet hatten, und obwohl manche eine gewisse Kühle zwischen dem Großvater und seinem Enkel bemerkt haben wollen, gab Karl anschließend zwei riesige Buntglasfenster in Auftrag, die an ihr Treffen erinnern sollten. Er sollte seinen Großvater nie wiedersehen.45

      Maximilians ständiges Nörgeln scheint seine Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn im Juni 1517 gab Karl den Generalstaaten bekannt, dass seine Abreise nach Spanien unmittelbar bevorstehe. Einem Augenzeugen zufolge brachen viele Delegierte in Tränen aus, als der Kanzler Jean Le Sauvage dem Auditorium versicherte, wie sehr ihr Herrscher sie liebe und wie schwer es ihm falle, sie zurückzulassen. »Und obgleich der Kanzler selbst ein starker Mann war, den nichts so leicht zu Tränen rührte«, konnte auch er sich dem Augenblick nicht entziehen, »da er überall umher die Leute weinen sah, gab vor, zu husten, und putzte sich dann mit dem Schnupftuch die Nase, alles um zu verbergen, dass ihm die Augen voller Tränen standen.« Als er seine Fassung zurückgewonnen hatte, gab Le Sauvage mehrere Versprechen in Karls Namen: dass dieser binnen vier Jahren zurückkehren werde, dass er für eine gute Regierung in seiner Abwesenheit Sorge tragen wolle und dass er seinen Bruder Ferdinand in die Niederlande schicken werde, damit immerhin ein Prinz von königlichem Geblüt bei ihnen wäre. Karl ließ auch seine Bitte um Geld wiederholen, ahnte indes, dass er es kaum rechtzeitig erhalten würde, und überzeugte stattdessen Heinrich VIII. davon, ihm 100 000 Gulden zu leihen, die zur Bezahlung der Schiffe und Mannschaften gedacht waren, die in Zeeland bereits versammelt waren, um Karl nach Spanien zu bringen.46

      Jetzt endlich konnten Karl und sein Gefolge nach Middelburg reisen, wo er seine Planungen für die »gute Regierung« abschloss, die er den Niederlanden in den kommenden Jahren zukommen lassen wollte. Zuerst ernannte er seinen engsten Vertrauten, den Grafen Heinrich von Nassau, zum obersten Befehlshaber aller Truppen in den Niederlanden mit beträchtlichen Entscheidungsbefugnissen, was ihren Einsatz anging. Dann erklärte Karl: »Wir haben beschlossen, dass wir dieses Mal keinen Regenten ernennen wollen … [stattdessen] richten wir einen Geheimen Rat ein«, der aus vierzehn prominenten Adligen und Ministern bestehen und die Staatsangelegenheiten regeln sollte. Eine ganze Reihe von Fragen aus den Bereichen Politik, Rechtsprechung und Patronage behielt Karl freilich weiterhin seiner persönlichen Entscheidung vor. Maximilian (der sich inzwischen wieder in Deutschland befand) hatte Karl zufolge versprochen, zurückzukehren, »sollte in den Niederlanden eine außergewöhnliche Lage eintreten … und dann wird er die Leitung des Rates übernehmen«. Obwohl Margaretes Name die Liste der Ratsmitglieder anführte, kamen ihr keine besonderen Befugnisse zu – abgesehen von der Aufsicht über den »Stempel (cachet), den wir angefertigt haben, um unseren Namen auf alle Briefe zu drucken, die mit der Zustimmung des Rates in unserem Namen ausgefertigt werden«. Denn obwohl nicht nur Chièvres, sondern auch Le Sauvage Karl nach Spanien begleiten würden, hatten sie offenbar nicht die Absicht, ihre Macht über die Niederlande allzu schnell aus der Hand zu geben.47

      Ein folgenreicher Liebesbrief

      Karl erließ nun eine Anordnung über den Hofstaat, den er mit sich nach Spanien nehmen wollte und der über 600 Personen umfasste – beinahe doppelt so viele, wie zehn Jahre zuvor im Gefolge seines Vaters mitgezogen waren. Dazu gehörte auch ein starkes iberisches Kontingent von achtzehn ranghohen Amtsträgern, von denen einige bereits prominent in Erscheinung getreten waren (Alonso Manrique, inzwischen Bischof von Córdoba, und Pedro Ruiz de la Mota, Bischof von Badajoz, ferner Juan de Zúñiga, Luis Cabeza de Vaca und Juan Manuel). Mehrere deutsche Fürsten standen ebenfalls auf der Liste, darunter Pfalzgraf Friedrich, der noch immer seine jährliche Zahlung von 5000 Gulden als Obersthofmeister erhielt.48

      Auch Karls ältere Schwester Eleonore begleitete ihn. Ursprünglich hatten die Klagen seiner niederländischen Untertanen darüber, dass Eleonores Abreise auch noch das letzte Kind Philipps des Schönen aus ihrer Mitte reißen würde (Isabella befand sich schon in Dänemark, Maria war auf dem Weg nach Ungarn), Karl dazu bewogen, den Verbleib der Schwester in Brüssel anzuordnen. Aber Eleonore sang im Garten des Palastes Protest- und Klagelieder »und ihre Zofen sangen den Refrain, bis der König, ihr Bruder, davon Notiz nahm. Und Seine Hoheit kam, um sie zu trösten, weil er sie sehr lieb hatte, und versprach ihr, dass er sie mit sich nach Spanien nehmen werde«.49 Mit diesen Protestliedern hatte es indes noch mehr auf sich. Karls Mündigsprechung hatte auch seine inzwischen neunzehnjährige Schwester Eleonore aus ihrer Mechelner Abgeschiedenheit befreit: Beide hatten sie ihren Lebensmittelpunkt nun im Coudenberg-Palast von Brüssel, wo sie in benachbarten Gemächern wohnten. Wenn Karl in seinem Herrschaftsgebiet umherreiste, begleitete Eleonore ihn und sein Gefolge, unter dem sich auch der »erste Prinz von Geblüt«, Pfalzgraf Friedrich, befand.

      Der 1482 geborene Friedrich war sechzehn Jahre älter als Eleonore. Er hatte bereits ihren Vater auf dessen erster Reise nach Spanien begleitet und danach an der Seite Maximilians in Italien gekämpft. Auch mit dem kleinen Karl blieb er stets in Kontakt: 1505 schickte er ihm ein Steckenpferd, dem bestimmt noch weitere Spielzeuge folgten. 1513 wurde er als einer von drei Kämmerern des Prinzen damit betraut, diesem ständige Gesellschaft zu leisten (siehe Kap. 2). Viele waren der Meinung, es sei Friedrich gewesen, der Karl von einer leichten Neigung zur Anorexie geheilt habe.50 Zwei Jahre später spielte er als Beauftragter Maximilians eine wichtige Rolle bei der Mündigsprechung seines Enkels, und über die nächsten zwei Jahre hinweg begleitete der Pfalzgraf das königliche Gefolge auf allen seinen Reisen. Gegen Ende des Jahres 1515, berichtet uns sein Biograf, wurde Friedrich Eleonores »Geliebter, während sie auf Bällen tanzten, während sie in dem Park spazieren gingen, der das königliche Schloss umgab, und während sie auf die Jagd gingen; und wenn sie einmal keine Worte wechseln konnten, dann verständigten sie sich mit Zeichen und Gesten«. Auf diese Weise gelang es Friedrich, »um die edle Dame Frau Eleonore von Österreich zu werben und ihr mitzuteilen, dass er sie ehelichen wolle.« Wen wundert es also, dass Eleonore Protestlieder sang, als zu fürchten stand, Friedrich werde womöglich ohne sie nach Spanien aufbrechen?51

      Doch Karl hatte auch seine eigenen, verborgenen Motive: Wenn er seine Meinung änderte und beschloss, seine Schwester doch mit nach Spanien zu nehmen, lag das nicht allein an ihrem Protest. Im März 1517 war beider Tante María gestorben und hatte König Manuel von Portugal als Witwer zurückgelassen, der nun im Alter von 48 Jahren eine neue Braut suchte. Karl bot ihm Eleonores Hand an. Das bedrohte natürlich ihre geheime Liebschaft mit dem Pfalzgrafen, und während Eleonore noch in Zeeland auf günstigen Wind zum Aufbruch wartete, versprach sie Friedrich, dass sie, »wenn sie das nächste Mal mit dem König in ihrer Kapelle allein sein werde«, Karl um seine Zustimmung zur Heirat mit dem Geliebten bitten wolle. Unglücklicherweise zweifelte Friedrich jedoch an ihrer Entschlossenheit und schrieb ihr deshalb einen leidenschaftlichen Liebesbrief, der folgendermaßen begann: »Meine Geliebte, Ihr könnt der Grund zu meinem Glück oder zu meinem Unglück sein … Ich bin bereit und verlange nicht mehr, als dass ich Euer sein will und Ihr mein sein sollt … Liebste, zürnt mir nicht, wenn ich Eure Seele mit so vielen lästigen Briefen beschwere.«52

      Eleonore sollte diese Liebeserklärung niemals lesen. Eine ihrer Hofdamen hatte beobachtet, wie Friedrichs »lästige Briefe« zugestellt worden waren, welche die Prinzessin sodann in ihrem Mieder versteckte, bis sie sie ungestört und in aller Heimlichkeit lesen konnte. Auf irgendeinem Weg fand Chièvres dies heraus und informierte Karl. Eleonore hatte gerade Friedrichs letzten, verzweifelten Brief erhalten und an dem üblichen Ort versteckt, als ihr Bruder in ihre Gemächer trat, um ihr wie an jedem Tag den Morgengruß zu entbieten:

      »›Wie befindet Ihr Euch?‹, fragte er, worauf sie antwortete: ›Mir geht es wohl, mein Herr‹ … ›Aber mir will scheinen‹, sprach der König, ›dass Euer Busen heute voller ist als gewöhnlich‹; und mit diesen Worten stieß er seine Hand hinein und zog den beschämenden Brief hervor. Eleonore errötete und bemühte sich, diesen Beweis ihrer heimlichen Liebe zurückzuerlangen, aber Karl setzte sich durch und sprach noch im Gehen: ›Nun werde ich


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