Der Kaiser. Geoffrey Parker

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Der Kaiser - Geoffrey  Parker


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wenn ich einmal sterbe, und er hat noch nicht gelernt, seine Angelegenheiten selbst zu dirigieren, wird er wieder einen Tutor brauchen, weil er in der Regierungsarbeit nicht recht unterwiesen wurde.«18

      Dennoch scheint die bis ins Detail reichende Lenkung durch Chièvres und vor ihm durch Margarete und Maximilian Karls Selbstvertrauen und Eigenständigkeit zumindest gedämpft zu haben. So erklärt sich vermutlich seine Abhängigkeit von deutlich älteren Männern – nicht nur von Chièvres und Adrian von Utrecht, die Altersgenossen seines Großvaters Maximilian waren, sondern auch von Pfalzgraf Friedrich und von Heinrich von Nassau, die immerhin doppelt so alt waren wie Karl. Sicherlich stellten all diese Männer – wie auch die anderen noch lebenden Ratgeber Philipps des Schönen – für Karl eine wichtige Verbindung zur Lebenswelt seines Vaters her, was auch einige oft übersehene politische Kontinuitäten erklären mag. Später erkannte Karl dann aber doch, wie gefährlich es sein konnte, in einzelne Minister allzu viel Vertrauen zu setzen. Die geheimen Instruktionen, die er 1543 für seinen Sohn Philipp niederschrieb – der fast in demselben Alter war wie damals Karl, als er zum ersten Mal nach Spanien kam –, enthielten jedenfalls eine ernste Mahnung vor exakt der Art von Abhängigkeit, die einst Karls Beziehung zu Chièvres gekennzeichnet hatte:

      »Besprecht Eure Angelegenheiten stets mit vielen, damit Ihr nicht an einen gebunden oder ihm verpflichtet seid, denn obwohl es Zeit sparen mag, liegt es doch nicht in Eurem Interesse, vor allem zu Anfang, denn man wird sofort sagen, Ihr würdest gelenkt – und das mag auch stimmen. Jeder, der solche Gunst von Euch erfährt, wird über die Maßen hochmütig werden und sich selbst derart überhöhen, dass es endlose Probleme nach sich ziehen wird; und zum Schluss werden all die anderen sich beschweren.«19

      Das sind in der Tat weise Worte. Allerdings fügte der Kaiser sie lediglich als einen Nachtrag auf einer Seite an, die mehr Korrekturen aufweist als irgendeine andere aus den Instruktionen – eine Kuriosität, die womöglich Karls Scham und Verlegenheit darüber widerspiegelt, dass sein eigenes Unvermögen, auf die beschriebene Weise zu handeln, letztlich Rebellion und Aufruhr nach sich gezogen hatte und beinahe sogar den Verlust seines gesamten spanischen Erbes (Abb. 9).

      TEIL II

      Spiel der Throne

      »Wenn man das Spiel der Throne spielt, gewinnt man oder man stirbt. Dazwischen gibt es nichts.«

      Cersei Lannister zu Eddard Stark, Game of Thrones, Staffel 1, Episode 7 (2011)

      4Vom König von Spanien zum rex Romanorum (1517–1519)

      Endlich Spanien!

      Einige Wochen nach dem Tod Ferdinands von Aragón im Januar 1516 meldete der englische Botschafter John Stile aus Madrid, dass, sollte Karl nicht bald in Spanien eintreffen, »sich hier in diesem Sommer ganz bestimmt zahlreiche Unannehmlichkeiten und Probleme einstellen werden«. Für eine Weile schien es, als hätte Stile maßlos übertrieben. Nicht nur sandte Kardinal Cisneros dem König einen steten Strom aufmunternder Nachrichten über die Lage in Kastilien; sondern in Aragón hatte der Justicia Mayor, der oberste Richter des Königreiches, Karl als rechtmäßigen Erben und als gesetzlichen Vormund seiner Mutter Johanna anerkannt, solange diese an »Krankheit, Geistesgestörtheit und Schwachsinn« leide. Der Vizekönig von Neapel meldete inzwischen, dass »das gesamte Königreich ebenso friedlich und gesetzestreu dem Prinzen und König, meinem Herrn, gehorcht, wie es dies zu Zeiten Seiner seligen Majestät getan hat«. Zwar hatten einige sizilianische Barone auf die Nachricht von Ferdinands Tod hin eine Rebellion angezettelt, doch waren Ruhe und Ordnung durch das entschiedene Eingreifen des Vizekönigs schon bald wiederhergestellt. Diese Flut guter und optimistischer Nachrichten ermutigte Karl, die Pläne seines Großvaters für einen erneuten Feldzug in Nordafrika wieder hervorzuholen: Im Mai 1517 wies er Cisneros von Brüssel aus an, einen Landungsangriff auf Algier zu unternehmen.1

      Zu jenem Zeitpunkt geriet die Lage in Kastilien bereits außer Kontrolle. Trotz der Unklarheit seiner eigenen Position war es Cisneros anfangs noch vergleichsweise gut gelungen, sich gegen Anfeindungen zu behaupten. Als eine Delegation von Granden bei ihm vorsprach und fragte, »mit welchem Recht Ihr eigentlich regiert«, »wies [der Kardinal] auf eine Terrasse, wo er – wie an vielen erhöht gelegenen Plätzen – eine große Zahl von Kanonen hatte aufstellen und bereit machen lassen, und sagte zu ihnen: ›Das sind die Vollmachten, die der König mir hinterlassen hat, und mit ihnen wie auch mit der Erlaubnis des Prinzen werde ich Kastilien regieren, bis Seine Hoheit hierherkommt oder etwas anderes anordnet.‹« Ein derart krudes Machtgebaren konnte nicht ewig gut gehen. Rückblickend murrte der Chronist Bartolomé Leonardo de Argensola, der Kardinal habe »die Dinge auf sehr herrische Art geregelt«. Insbesondere habe er »viele, die ihm gut gedient hatten, ihrer Ämter beraubt, anderen nahm er ihr Salär und hochgestellten Personen ihre Renten und Steuereinnahmen«. Viele der Betroffenen gingen »in die Niederlande, um bei dem Prinzen Zuflucht zu suchen«, was Cisneros’ Autorität untergrub, denn »an jenem Hof hörte man nichts als Beschwerden über die Lage in Kastilien«.2

      Aber auch viele von denen, die in Spanien blieben, beschwerten sich. Manche Adligen und Städte stellten sich der Politik Cisneros’ offen entgegen, und während der Kardinal in seinen Briefen an Karl weiterhin bemüht war, positive Akzente zu setzen – »alles ist friedlich und ruhig«, behauptete er im März 1517 wieder einmal –, drohten die führenden Städte Kastiliens, im Oktober die Cortes des Königreichs zusammentreten zu lassen, wenn Karl nicht bis dahin endlich eingetroffen war. Diese Frist hielt der junge König gerade noch ein, als er am 20. September 1517 zum ersten Mal einen Fuß auf spanischen Boden setzte.3

      Der neue Herrscher kam gut vorbereitet. Karl hatte Bücher gesponsert, die seine Legitimität untermauern sollten (darunter Neuausgaben der Acht Dekaden über die neue Welt des Pedro Mártir de Anglería und der Chronik Johanns II. über die Taten von Karls Urgroßvater); und er hatte sich Abschriften der täglichen Rechnungsführung besorgt, die den Haushalt seiner Mutter auf deren Reisen nach Spanien ein Jahrzehnt zuvor erfasst hatte – vermutlich, weil er abschätzen wollte, wie viel er selbst würde in etwa ausgeben müssen.4 Ein Darlehen von seinem Onkel Heinrich VIII. hatte Karl eine gut gefüllte Reisekasse von 40 000 Dukaten beschert – spanische Münzen, frisch in Antwerpen geprägt. Damit sollte Karl seinen Lebensunterhalt bestreiten, doch zunächst fand er nur wenig, was er hätte kaufen können: Die Lotsen seiner Flotte hatten sich im Landungsort geirrt, sodass Karl, Eleonore und ihr Gefolge in dem winzigen asturischen Hafenort Villaviciosa an Land gingen, wo es an Infrastruktur für ihr Gepäck und die mitgeführten Vorräte mangelte. Ein Mitglied der königlichen Entourage berichtete: »Für 200 Personen – Herren, Kavaliere und edle Damen – hatten wir kaum vierzig Pferde, und zu kaufen gab es auch keine, erstens, weil hier wegen der großen Berge und der Eigenart des Geländes selbst die hohen Herren zu Fuß gehen, und zweitens, weil die Hauptorte alle mit der Krankheit verseucht waren.«5 »Die Krankheit« – gemeint war die Beulenpest – sollte Karls ganzen ersten Besuch in Spanien überschatten, seine Entscheidungen beeinflussen und seine Untertanen entscheidend verdrießen.

      Laurent Vital, der mit seinem Herrn an Land ging, versuchte, alldem noch etwas Positives abzugewinnen: »Der König und sein Gefolge machten aus der Not eine Tugend«, behauptete er, »indem sie mit anpackten« bei allem, was zu tun war, »und vorgaben, in einer ländlichen Idylle gelandet zu sein, wenn sie Schmarren und Pfannkuchen aus einheimischen Eiern und Mehl verspeisten«. Aber das Rollenspiel bekam erste Risse, als »eine große Zahl von ihnen auf Stroh schlafen musste« – und spätestens nachdem sie alle Vorräte am Ort aufgegessen hatten, war es mit dem schönen Schein vorbei. So sah das königliche Gefolge sich zur Weiterreise gezwungen, aber weil sie nur wenige Ochsenkarren auftreiben konnten, in denen die Damen fuhren, sowie ein paar Packpferde und Maultiere, die Karl und einige andere ritten, mussten die anderen zu Fuß hinterher.6

      Nachdem sie den »schrecklichen und mühseligen Küstenpfad« bewältigt sowie sintflutartigem Regen und einem »kalten, finsteren Nebel« getrotzt hatten, erreichte die vollkommen durchnässte Schar schließlich den Hafen von San Vicente de la Barquera, wo zumindest etwas bessere Unterkünfte und frische


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