Der Kaiser. Geoffrey Parker
Читать онлайн книгу.Als Johanna eines Tages Denia zu sich rief und »sich bitter über mich beklagte, weil ich den Tod des Königs, ihres Herrn [d. h. Ferdinands], leugne, und darauf bestand, dass ich ihr sagen solle, ob er noch lebe, weil dies zu wissen für sie von der größter Bedeutung sei – da antwortete ich, dass ich ihr die Wahrheit gesagt hätte und dies auch immer tun würde. Wäre das nicht so, sagte ich, würde Euer Majestät [d. i. Karl] es ihr schon sagen.« Als die Nachricht vom Tod Maximilians eintraf, fügte Denia seinem Lügengebäude unverzüglich einen Anbau hinzu:
»Ich erzählte ihr bei dieser Gelegenheit, dass Euer Majestät nun Kaiser sei aufgrund der Abdankung des Kaisers [Maximilian] sowie einer neuen Wahl durch die Kurfürsten und dass Ihre Hoheit darum Gott danken solle. Sie antwortete: ›Ist das so, ist der Kaiser noch am Leben? Denn ich glaubte, er sei tot.‹ Ich aber versicherte ihr, er lebe noch.«14
Warum solche Lügen? Weshalb meinte Denia, er müsste die Königin, Karls Mutter, auf diese Weise verwirren und demütigen? Gustav Bergenroth, der als Erster Auszüge aus der herzlosen Korrespondenz zwischen Karl und Denia veröffentlicht hat, vermutete, die beiden hätten den Mythos von Johannas Wahnsinn aufrechterhalten wollen, um sie als regierungsunfähig dastehen zu lassen. Diese Erklärung lässt jedoch außer Acht, dass außerhalb der Schein- und Lügenwelt des Palastes niemand von der Existenz dieser Welt wusste. Es scheint daher plausibler, dass sie Johannas Glauben an das Weiterregieren ihres verstorbenen Vaters nutzten, um die Königin gefügiger zu machen. Denia selbst legt dies nahe:
»Ich habe der Königin, unserer Herrin, gesagt, dass der König, mein Herr und ihr Vater, am Leben sei, denn, wann immer etwas geschieht, das Ihrer Hoheit missfällt, sage ich, das hätte der König eben so befohlen und angeordnet; denn die Liebe, die sie für ihn hegt, macht es ihr leichter, diese Dinge zu ertragen, als wenn sie wüsste, dass er tot ist.«
Außerdem erlaubte die Täuschung Denia, Johanna einzureden, ihr Sohn »sei hauptsächlich deshalb nach Spanien gekommen, um für die Entschädigung Ihrer Hoheit zu sorgen«, aber dass »Ihr [d. i. Karl] bislang noch nicht erfolgreich gewesen wäret«, weil »König Ferdinand« sich geweigert habe.15
Diese strategischen Vorzüge erklären zweifellos, warum Karl die vielfache Täuschung seiner Mutter nicht nur tolerierte, sondern selbst aktiv daran beteiligt war. Als im Oktober 1518 die Pest Tordesillas bedrohte, erschien es ratsam, den Hof an einen sichereren Ort zu evakuieren. Falls Isabella sich weigere, den Palast zu verlassen, sollte Denia auf Karls Anweisung hin wie folgt vorgehen: »Da Ihre Hoheit den Tod fürchtet und insbesondere die Pest, müsst Ihr ihr erzählen, diese Pest sei so heftig, dass alle daran Erkrankten binnen zwei Tagen stürben oder sogar noch eher; … und zu diesem Zweck wäre es gut, wenn Ihr die Priester veranlassen könntet, mehrmals am Tag mit ihrem Kreuz am Palast vorbeizuziehen, so als wenn sie jemanden zu Grabe tragen würden.« Denia konnte sich Karls uneingeschränkter Unterstützung sicher sein: »Wie Ihr [d. i. Denia] sagt, wäre es zweifellos am besten, wenn niemand mit Ihrer Hoheit spräche jenseits dessen, was Ihr für angemessen erachtet. Es scheint mir das Beste, dass jedes Mal, wenn Ihre Hoheit nach irgendjemandem fragt, Ihr ihr sagt, dieser oder jener habe die Pest und sei deshalb aus der Stadt hinausgeschafft worden.« Auch gab er Anweisung, dass das Personal, das Johanna tagtäglich bediente, dem Marqués gehorchen solle, »als ob ich selbst und persönlich die Order gegeben hätte«. Nie scheint Karl es auch nur in Betracht gezogen zu haben, welchen Kummer die ständigen Lügen und die anhaltende Freiheitsberaubung seiner Mutter bereiten mussten.16
Auch seinen Bruder behandelte Karl schlecht. Noch kurz bevor er die Niederlande verließ, war Karl gemeldet worden, dass einige Personen aus dem Hofstaat des jungen Ferdinand ein Komplott schmiedeten, um ihren Herrn zum »Statthalter über jene Königreiche im Namen meiner Herrin, der Königin«, zu machen. Also sandte Karl einen Eilboten zu Cisneros und Adrian, der Befehle mit sich trug, mehr als dreißig Würdenträger seines Bruders zu entlassen und in die Verbannung zu schicken. Einem Augenzeugen zufolge »wurde dieser Plan an einem einzigen Tag umgesetzt, ein kühner Zug, der alle überrascht hat, da Seine Hoheit [d. i. Karl] gegenwärtig keinen anderen Erben oder Nachfolger hat als allein [Ferdinand]«.17
Spätere Nachforschungen deckten angeblich eine Verschwörung auf, um Ferdinand nach Aragón zu entführen, neben anderen Ränken, die schlicht zu »teuflisch« waren, um sie zu nennen. Aus der Rückschau bemerkte Prudencio de Sandoval, dass »alle oder zumindest die meisten derer, die [Ferdinand in Kastilien] gedient hatten, sich den Comuneros anschlossen, als diese zwei Jahre später rebellierten«. Doch lag dies zum jetzigen Zeitpunkt noch in der Zukunft, und fürs Erste wollte Karl nur eines: sich der Loyalität seines Bruders versichern. Zu diesem Zweck schrieb er ihm einen persönlich gehaltenen Brief, in dem er Ferdinand wissen ließ, dass dies »alles zu Eurem eigenen Wohlergehen geschieht, und niemals dürft Ihr die Liebe vergessen, die ich für Euch hege«. Karl versprach: »Ich werde einen Brief schreiben und dafür sorgen, dass Anweisungen dazu ergehen, wo Ihr Euch mir anschließen könnt. Bis dahin lasst es Euch wohlergehen und habt ein wenig Spaß.« Karl drängte außerdem Cisneros, er solle Ferdinand bewusst machen, dass »die Maßnahmen, die wir angeordnet haben, zu seinem eigenen Besten und Wohlergehen angeordnet wurden, weil die große Liebe, die ich für ihn empfinde, immer Vorrang hat. Er soll in mir einen Bruder und einen treu sorgenden Vater sehen.«18
Der Kardinal war nicht überzeugt. Weil er wusste, dass Karl seinen Bruder in die Niederlande schicken wollte, bat Cisneros inständig darum, dass »dies in einer Weise geschehe, die das Königreich zufriedenstellt, das heißt: Schickt ihn nicht arm und ohne Hoffnung davon.« Vielleicht, schlug der Kardinal vor, »könnte man ihm ja Eurer Hoheit Anteil an den Ländern in Aussicht stellen, die neu verteilt werden, wenn der Kaiser [Maximilian] stirbt«.19 Cisneros selbst starb, bevor er Karl persönlich begegnen konnte, was es diesem leicht machte, seinen Ratschlag zu ignorieren – einen Ratschlag, der ganz und gar unersetzlich war, hatte der Kardinal doch nicht nur eng mit Isabella wie mit Ferdinand zusammengearbeitet, sondern zudem gleich viermal als Statthalter von Kastilien amtiert (1506/07, 1510, 1512 und 1516/17). Cisneros besaß aus eigener Erfahrung eine profunde Kenntnis von den Stärken und die Schwächen jeder einzelnen Komponente des Königreichs, doch diese Kenntnis ging verloren, als er selbst für immer die Augen schloss. Der Tod des Kardinals bescherte dem jungen König zudem eine vermeintlich harmlose Aufgabe, hatte er doch nun den verwaisten Bischofsstuhl von Toledo neu zu besetzen, der 80 000 Dukaten im Jahr wert war. Karl beschloss, seinen früheren Pagen Guillaume de Croÿ, einen Neffen Chièvres’, der inzwischen neunzehn Jahre alt war und, bereits zum Priester geweiht, an der Universität Löwen studierte, als Cisneros’ Nachfolger zu nominieren. Damit beging der neue König von Spanien seinen ersten schweren Fehler.
Auf schwankendem Grund
Chièvres war stets bemüht, die Karriere seines Neffen voranzutreiben – vielleicht, weil er selbst keine Kinder hatte. So hatte er Karl bereits dazu gebracht, Guillaume zum Abt von zwei der reichsten Klöster der Niederlande zu ernennen, außerdem zum Erzbischof von Cambrai, zum Bischof von Coria (in Kastilien) und schließlich zum Kardinal. Nun bat Chièvres Karl also auch noch darum, er möge seinen Neffen zum Erzbischof von Toledo machen.20 Vital zufolge »wollte der König es zunächst weder gewähren noch verwehren, sondern sagte, er müsse darüber nachdenken«, weil auch andere ihr Interesse an dem Posten bekundet hatten. Karl »bat [deshalb] seinen Rat um eine Einschätzung, wem er den Posten am ehesten übertragen sollte, denn er wollte zunächst ihre Meinungen hören«. Wie Vital weiter ausführt, stürzte jedoch »die Vielzahl der Bewerber den König und seinen Rat in große Verwirrung«. Dies spiegelte die tiefen Gräben innerhalb des königlichen Rates wider. Erasmus sollte später behaupten, er habe Karls Einladung, ihn nach Spanien zu begleiten, vor allem deshalb abgelehnt, weil »ich den Hof in so viele Fraktionen zersplittert sah: in Sekten von Spaniern, Juden und Franzosen, in die Anhänger Chièvres’ und die des Kaisers [Maximilian], in Neapolitaner, Sizilianer und wer weiß was noch alles«. Bei der Wahl des neuen Erzbischofs von Toledo jedenfalls setzten sich, wie vielleicht zu erwarten war, die »Anhänger Chièvres’« durch.21
Schon zuvor hatte Karl Landesfremden zu kastilischen Bischofswürden verholfen – dem Italiener Luigi Marliano etwa, den er zum Bischof von Tui ernannte, oder eben Guillaume de Croÿ