Der Kaiser. Geoffrey Parker

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Der Kaiser - Geoffrey  Parker


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und langwierige Pokerpartie« mit immens hohen Einsätzen, deren Ausgang bis zur letzten Minute – dem abschließenden Wahlgang der Kurfürsten – ungewiss blieb. So richtig begann das Spiel im November 1516, als der Trierer Kurfürst dem französischen König Franz I. durch einen Gesandten mitteilen ließ, er sei bereit, bei der nächsten Wahl zum römisch-deutschen König für ihn zu stimmen, sobald Maximilian abdanke oder sterbe. Im Juni 1517 bekannte der brandenburgische Kurfürst auf ähnliche Weise Farbe: Er versprach Franz seine Stimme und bat sich im Gegenzug das Versprechen aus, dass sein Sohn die (zuvor Karl versprochene) Prinzessin Renée heiraten werde, dazu 150 000 Kronen in bar und eine regelmäßige Pension für sich selbst. Wie Robert Knecht bemerkt hat, »übersah Franz völlig, dass den deutschen Kurfürsten weniger an seinem Wahlerfolg gelegen war als vielmehr daran, eine möglichst heiß umkämpfte Wahl herbeizuführen«, die es ihnen erlauben würde, ihre Stimmen an den Meistbietenden zu verkaufen. »Dass [Franz] sich auf diese Weise instrumentalisieren ließ, spricht nicht gerade für seine politische Urteilskraft.«38

      Dennoch versetzte die Aussicht auf eine französische Kandidatur die Habsburger in Angst und Schrecken. Karl hörte gerüchteweise davon, während er in Zeeland auf günstigen Wind für die Überfahrt nach Spanien wartete, und erklärte prompt:

      »Seitdem wir vom Kaiser, unserem Großvater, Abschied genommen und seinen Segen empfangen haben, haben wir uns viele Gedanken über die Nachfolge im Kaisertum gemacht, und mehrmals haben wir die Angelegenheit auch mit unseren wichtigsten und verlässlichsten Ratgebern besprochen, die sich mit der Materie auskennen. Immer deutlicher haben wir erkannt, wie wichtig diese Sache für uns ist, und uns gefragt, wie wir die Königreiche, Dominien, Herrschaften und Untertanen des Kaisers und unserer selbst in Deutschland, Spanien und Italien sowie hier in den Niederlanden am besten und dauerhaftesten in Sicherheit, Frieden und Ruhe erhalten können, sodass niemand ihnen Schaden zufügen kann; und dass, falls irgendein Herrscher, so mächtig er auch sein mag, versuchen sollte, sie zu bedrängen, anzugreifen oder zu erobern, wir stark genug wären, Widerstand zu leisten.«

      Wenn dagegen irgendein anderer Fürst Kaiser werden sollte (und nicht er selbst), würde ihm dies nichts als »Ungemach und Spaltung, ja womöglich den völligen Ruin« bereiten. Also teilte er seinem Großvater mit, dass er bereit sei, bis zu 100 000 Gulden in bar unter denjenigen Kurfürsten aufzuteilen, die ihm ihre Stimme versprächen. Jährliche Pensionen sollten folgen, dazu die Aufnahme in den Orden vom Goldenen Vlies und noch andere bedeutende Vorteile. Drei Monate später erinnerte Karl Maximilian daran, wie absolut notwendig es war, »dass nach Eurem Tod das Reich nicht in die Hände des Königs von Frankreich falle«, weil dies »dem Haus Habsburg einen großen Schaden zufügen würde«. Er ermahnte seinen Großvater daher, bei seinen Verhandlungen »weder an Geldgeschenken noch an Pensionsversprechungen zu sparen noch an Pfründen oder irgendetwas anderem«.39

      Da war es schon fast zu spät. Im Oktober 1517, als Karl gerade in den asturischen Bergen vor Kälte schlotterte, verkaufte auch der Mainzer Kurfürst (ein Bruder des brandenburgischen) seine Wahlstimme an den König von Frankreich, und sechs Monate später tat es ihm der pfälzische Kurfürst gleich. Damit hatte Franz die Mehrheit, die er brauchte, um sich die Wahl zu sichern. Jetzt war es an Maximilian, seinem Enkel die Dringlichkeit der Lage vor Augen zu führen: Wie sollten sie diese Vorleistungen ihres Konkurrenten noch überbieten? Aber Karl widersprach nur trotzig, dass »es nicht nötig sein sollte, das Reich zu kaufen«, da dank seiner habsburgischen Wurzeln »die ganze deutsche Nation uns sehr viel günstiger gesinnt sein wird als dem König von Frankreich«. Im April 1518 sandte Chièvres, der inzwischen sowohl die spanische als auch die niederländische Staatskasse hütete, zähneknirschend Wechselbriefe über die bereits versprochenen 100 000 Gulden nach Deutschland, warnte jedoch sogleich: »Dies ist alles, was Seine Majestät zum gegenwärtigen Zeitpunkt erübrigen kann«, und fügte noch hochmütig hinzu: »Manchmal muss man sich mit dem zufrieden geben, was eben möglich ist, und die verbleibenden Lücken noch auf andere Weise stopfen.« Gegen solche Argumente war Maximilian immun: »Wenn Ihr wirklich diese Krone anstrebt«, ließ er seinen Enkel wissen, »so dürft Ihr kein Mittel ungebraucht lassen.« Sodann lieferte er Karl eine lange Liste von »Mitteln«, die wohl noch gebraucht würden, darunter nicht nur Geld, sondern auch die Verheiratung von Karls Schwester Catalina – versehen mit einer stattlichen Mitgift – mit dem jungen Markgrafen von Brandenburg (um dessen Heirat mit Renée de France zu verhindern). Aber vor allem sollte Karl »alle Entscheidungen mir überlassen«, schrieb Maximilian, denn »Ihr seid zu weit entfernt, als dass wir Euch alles sagen könnten oder fragen könnten, was Ihr braucht: Bis wir Eure Antwort erhalten, könnten die Dinge schon ganz anders aussehen.«40

      Für den Fall, dass sein Enkel den Ernst der Lage noch immer verkannte, brachte der Kaiser eine Woche darauf einen durch und durch passiv-aggressiven Brief auf den Weg (eine Kommunikationsstrategie, die Karl später vervollkommnen sollte). Sofern der Enkel nicht die verlangten Summen zahle und dem Großvater die volle Verfügungsgewalt übertrage, so warnte Maximilian,

      »sehen wir keine Möglichkeit, diese Angelegenheit so zu betreiben, wie es unser beider Wunsch und Ehrbedürfnis entspricht; und wenn es dabei irgendeinen Fehler oder eine Nachlässigkeit geben sollte, wären wir doch sehr verärgert darüber, dass wir uns ein Leben lang die größte Mühe gegeben und keine Beschwernis gescheut haben, um Ruf und Ansehen unseres Haus und unserer Nachkommenschaft zu mehren und zu erhöhen, und dass Ihr dann mit Eurer Pflichtvergessenheit das alles zum Einsturz gebracht und all unsere Königreiche, Dominien und Herrschaften riskiert, ja letztlich unsere ganze Erbfolge aufs Spiel gesetzt hättet.«

      »Nehmt Euch diese Angelegenheit zu Herzen zum Wohle unseres ganzen Hauses, so wie wir selbst es tun«, mahnte Maximilian seinen Enkel noch in einer eigenhändigen Nachschrift.41 Einige Tage später sandte Jakob Villinger, Maximilians Generalschatzmeister, ein ähnlich vorwurfsvolles Schreiben an Chièvres. Wenn Karl »das Reich wirklich will«, insistiert Villinger da, müsse er umgehend weitere 100 000 Gulden nach Deutschland schicken und Maximilian bei der Verwendung des Geldes vollkommen freie Hand lassen. »Ihr wisst ja bereits, wie bedeutsam diese Angelegenheit ist«, fuhr er unnachgiebig fort, »aber ich will Euer Gedächtnis auffrischen.« Karls Wahl werde es dem Haus Habsburg ermöglichen,

      »unsere Feinde und Neider zu unterwerfen, während das Gegenteil uns in solch vollkommenes Elend und Wirrsal stürzen würde, dass wir es ewig zu bereuen hätten. Wir dürfen nicht vergessen, dass jeder kleine Konflikt, jede noch so geringe Konfrontation, ganz egal, wo sie sich ereignen mögen, uns leicht dieselbe Summe kosten könnten wie diese Angelegenheit – wenn nicht sogar mehr. Zudem wird, wie Ihr ja wisst, der Gewinn der Kaiserkrone viele der Probleme lösen, die uns andernfalls drohen.«

      »Hört auf das, was ich Euch gerade gesagt habe«, schloss Villinger seinen Brief recht barsch, »oder wir sind verloren. Verschlaft nicht diese Gelegenheit! … Denkt nicht daran, die Dinge noch weiter hinauszuschieben!«42

      Nachdem er diese ungewohnte verbale Abreibung zur Kenntnis genommen hatte, zeichnete Chièvres den Brief demütig ab – »Empfangen zu Saragossa den 10. Juni« – und machte sich daran, mehr Geld zur Zahlung nach Deutschland aufzutreiben. Auch überwand er seine Feindschaft mit der Erzherzogin Margarete und legte Karl nahe, ihr zumindest einige der Zuständigkeiten zurückzuübertragen, die man ihr bei seiner Mündigsprechung genommen hatte. So wurde sie nun in Karls Worten »Superintendentin all unserer Finanzen in den Niederlanden« und erhielt die alleinige Autorität, offizielle Dokumente im Namen ihres Neffen zu unterzeichnen (die daraufhin zu befolgen waren, »als wenn wir die besagten Dokumente mit unserer eigenen Hand unterzeichnet hätten«, so Karl); dazu kamen umfassende Patronagerechte.43

      Karl bekräftigte nun, er wolle »römischer König werden, koste es, was es wolle, ohne jeden finanziellen Aufwand zu scheuen«, und Maximilian, der zuversichtlich darauf vertraute, sein Enkel werde schon für alle nur denkbaren Versprechungen des Großvaters bürgen, berief für Juli 1518 einen Reichstag nach Augsburg ein.44 Während der folgenden drei Monate stand die Stadt am Lech im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit. Albrecht Dürer, der berühmteste Künstler Europas, reiste an, um die Angehörigen der deutschen Elite zu porträtieren; Martin Luther traf ein, um einem päpstlichen Legaten gegenüber die Feinheiten seiner Kritik an gewissen Praktiken der Kirche


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