Der Kaiser. Geoffrey Parker
Читать онлайн книгу.Dennoch kostete es Karl mehrere Wochen, den Fehler zu beheben. Zevenbergen hatte bereits seinen Unmut über die Trägheit »jener Leute in Spanien« zum Ausdruck gebracht, die mit der Umsetzung von Karls politischen Entscheidungen befasst waren, und hatte behauptet, dass »der König, wenn ihm die Angelegenheiten des Reiches wirklich am Herzen lägen, eine größere Sorgfalt an den Tag legen würde«. Ein anderer erfahrener Ratgeber Margaretes, Jean Marnix, beschwerte sich, er finde »die Briefe Seiner Majestät recht seltsam und schlecht durchdacht«. Heinrich von Nassau wurde sogar noch unverblümter. Als er im März 1519 den Befehl erhielt, in Deutschland Truppen auszuheben, die jedoch nur einen Monat lang Dienst tun sollten, teilte er Margarete mit, dies sei ein sinnloses Unterfangen, da die Wahl ja erst im Juni stattfinden werde. Vielmehr sei er »der Ansicht, dass ihre Verträge für drei Monate ausgestellt werden sollten« – und teilte der Statthalterin kühl mit, dass er die Umsetzung in diesem Sinne bereits in die Wege geleitet habe. Vielleicht weil er eine kritische Antwort erwartete, fügte Heinrich noch hinzu: »Madame, Ihr werdet die nötigen Anweisungen so erteilen, wie Ihr es für richtig haltet; ich an des Königs Stelle jedoch« – eine wenig subtile Erinnerung daran, dass Karl ihn »mon Henry« nannte – »würde mich mit solchen Dingen nicht zu eingehend beschäftigen. Das Einzige, was Seine Majestät verärgern könnte, sind Nachlässigkeit und Täuschung.«68 Ein erfolgreicher Wahlausgang, hieß das wohl, werde am Ende alle Abweichungen von den königlichen Befehlen entschuldigen.
Heinrich hatte recht. Karl war letztlich erfolgreich darin, im Reich Truppen aufzustellen, was Franz nicht gelang, und über das habsburgische Kreditnetz flossen regelmäßige Geldzahlungen an die Kurfürsten, die aus Frankreich ausblieben. So bewahrheitete sich schlussendlich die unterwürfige Prophezeiung, die Erasmus von Rotterdam im Jahr 1516 gewagt hatte:
»Ihr, edler Prinz Karl, könnt Euch glücklicher schätzen als Alexander [der Große] und werdet, wie wir hoffen, ihn auch an Weisheit übertreffen. Er nämlich hatte ein riesiges Reich an sich gebracht, jedoch nicht ohne Blutvergießen, noch sollte dies Reich überdauern. Euch aber wurde ein prachtvolles Reich schon von Geburt zuteil, und Ihr seid bestimmt, ein noch größeres zu erben, sodass Ihr – anders als [Alexander], der große Mühen auf seine Eroberungen verwenden musste – vielleicht Euch bemühen müsst, die freiwillige Weitergabe mancher Gebiete anzustreben, statt noch weitere hinzuzugewinnen. Dem Himmel schuldet Ihr es, dass Euer Reich Euch ganz ohne Blutvergießen zugefallen ist und niemand dafür leiden musste; Eure Weisheit muss nun Sorge dafür tragen, dass Ihr es ohne Blutvergießen auch erhaltet und in Frieden bewahrt.«69
In der Tat hatte Karl sich im »Spiel der Throne« als der große Gewinner erwiesen: König von Kastilien, Aragón, Neapel und Sizilien war er geworden, jetzt auch noch römisch-deutscher König – und all das »ganz ohne Blutvergießen«. Ende Juli 1519 gingen die Glückwünsche Franz’ I. bei ihm ein, und die beiden Monarchen erneuerten ihr Gelübde, auch künftig den Frieden zu halten. Damit konnte der venezianische Botschafter Francesco Corner festhalten, »dass alle Fürsten der Christenheit dem König nun ihre Glückwünsche haben zukommen lassen, entweder direkt oder über ihre Botschafter«.70
Was sollte als Nächstes kommen? Sobald in Barcelona Gewissheit über den Wahlausgang bestand, begriff Corner, was Karl nun brauchen würde: eine Flotte, die groß genug war, damit er samt Gefolge aus Spanien aufbrechen konnte. Obwohl »er sämtliche Einkünfte und die von den kastilischen Cortes bewilligten Steuern verpfändet« und auch »die von diesem Königreich [Aragón] gewährten Subsidien ausgegeben« hatte, waren allerdings »die Angehörigen seines Hofstaats seit nun sechs Monaten nicht mehr bezahlt worden«. Um seinen neuen Thron besteigen zu können, brauchte Karl mehr Geld, und er brauchte es dringend. Mit einer gewissen Vorahnung fragte sich Corner, wie, wo und wann Karl dieses Geld auftreiben sollte, ohne dabei (wie sein englischer Botschafterkollege John Stile es drei Jahre zuvor formuliert hatte) in »zahlreiche Unannehmlichkeiten und Probleme« zu geraten.71
5Vom Frieden über Aufruhr zum Krieg (1519–1521)
In Windeseile nach England
Karls Wahl zum römisch-deutschen König sollte Verschiebungen im europäischen Gleichgewicht nach sich ziehen. Der Sieg Franz’ I. über die Eidgenossen in der Schlacht bei Marignano 1515 sowie die darauf folgende Besetzung von Mailand und Genua durch seine Truppen hatten aus dem französischen König den mächtigsten Herrscher der Christenheit gemacht – und auch den am meisten gefürchteten. Ein englischer Diplomat schrieb damals, was viele dachten: »Die große Erhöhung der Franzosen kann keinem Christenherrscher von Nutzen sein, das liegt an ihrem übermäßigen Ehrgeiz und ihrer unersättlichen Begierde.« Ein anderer behauptete, der »größte, vornehmste und beinahe einzige Grund« aller Probleme in Europa seien »der arrogante und überhebliche Stolz sowie der unersättliche Appetit der Könige von Frankreich«, die es darauf abgesehen hätten, die »Monarchen der [ganzen] Christenheit« zu werden. Für einen französischen Diplomaten hingegen stellte sich die Sache so dar, dass vielmehr Karl als »Kaiser die anderen Könige der Christenheit geringschätzen wird, weil er sich selbst für den größten [unter ihnen] hält«.1
Derartige Befürchtungen waren nicht unbegründet. Einige Wochen vor der Wahl hatte einer von Margaretes Gesandten in Deutschland vorhergesagt, dass zwar das Reich »sich für Seine Majestät als ein teuer erworbenes Gut (une chière mechandise) erweisen« werde, Karl nach seiner Krönung jedoch »der ganzen Christenheit Vorschriften machen« könne. Der Großkanzler Gattinara pflichtete bei. Sobald die Nachricht von Karls Wahlerfolg ihn erreichte, teilte er dem künftigen König und Kaiser sowie den Mitgliedern des Rates mit, »dass der Titel des ›Reichs‹ [imperium] zur Aneignung des ganzen Erdballs berechtigt«. Derlei Ansichten kamen dann – wenig überraschend – auch in der kurzen Dankesrede zum Vorschein, die Karl vor jener deutschen Delegation hielt, die ihm die Nachricht von seiner Wahl überbracht hatte: Nach einer anfänglich großen Freude habe er sich doch Sorgen gemacht, dass »die Entfernung, die Deutschland von seinen spanischen Königreichen trennt, es verhindern würde, dass er Deutschland so regelmäßig besuchen könnte, wie das Reich und die damit verbundenen Verantwortlichkeiten es womöglich erfordern«. Nachdem er »immer und immer wieder neu bedacht hatte, ob er die Wahl nun annehmen oder ablehnen solle«, habe er jedoch erkannt, dass im Fall eines türkischen Angriffs die Ressourcen »des Reiches von dem größten Wert für die Sicherheit Österreichs« sein konnten – aber auch für die Sicherheit »der Niederlande, die an das Reich grenzen, sowie als eine Basis, um sein Herzogtum Burgund zurückzugewinnen«. Das war eine klare Kampfansage an Franz I. Und zu guter Letzt: Wenn er, Karl, die Kaiserwürde ablehne, »wird der König von Frankreich sie mit Sicherheit erringen« – und daraufhin vollkommen unerträglich werden.2
Überlegungen wie diese ließen erkennen, wie sehr die politische Landschaft Europas sich verändert hatte. Noch eine Generation zuvor hatten fünf Großmächte – England, Frankreich, Spanien, Burgund und das Heilige Römische Reich – um die europäische Vormachtstellung konkurriert. Inzwischen herrschte über die drei letzteren Reiche ein und derselbe Mann. Ein englischer Diplomat legte die möglichen Konsequenzen für seinen Herrn mit vorbildlicher Klarheit dar: Heinrich und Karl – »die die Natur in Blutsverwandtschaft verbunden hat ganz wie die alte Freundschaft, die zwischen Euren beiden Häusern so lange schon bestanden hat« – könnten entweder entschiedene Verbündete werden und würden dann »unweigerlich … die ganze Christenheit in beste Ordnung und Frieden bringen, was Euch beiden zu großer Ehre gereichen würde«. Oder aber »die drei mächtigen jungen Herren« – gemeint waren Heinrich (geboren 1491), Franz (geboren 1494) und Karl (geboren 1500) – würden in Streit geraten, und dann »würde die Christenheit in Stücke gerissen und einem endlosen Krieg anheimfallen, wodurch all jenen, die es rechtzeitig hätten verhindern können, großer Schaden … und auch große Schuld zuteilwürde«.3
Eine Zeit lang blieben die »drei mächtigen jungen Herren« der Gefahren gewahr, die von »einem endlosen Krieg« ausgingen, und hielten sich an die Friedensabkommen, die sie bereits geschlossen hatten. Als Karl im September 1518 vom Tod der Tochter Franz’ I. erfuhr, die seine Verlobte war, sandte er seinem »guten Vater« unverzüglich ein Kondolenzschreiben und versprach, stattdessen ihre Schwester zu