Der Kaiser. Geoffrey Parker
Читать онлайн книгу.Franz den höchst selbstbewussten Heinrich bei einem spontanen Ringkampf beschämte, indem er ihn kurzerhand zu Boden warf; teils auch, weil Chièvres und Wolsey bereits geheime Absprachen über eine erneute Zusammenkunft ihrer beiden Herren getroffen hatten. Diese setzten unmittelbar im Anschluss an das große englisch-französische Spektakel ihre eigene politische »Unterredung« (das von einem venezianischen Diplomaten gebrauchte Wort: abochamento) fort. Am 14. Juli 1520 unternahmen Heinrich und Karl also einen gemeinsamen Ausritt in der Nähe von Calais und »unterhielten sich lange Zeit zu zweit, wobei der König von England beinahe in das Ohr des Kaisers hineinsprach«. Dann »umarmten sie einander überaus herzlich, wobei sie ihre Hüte in Händen hielten«, und nahmen Abschied.21
Die beiden Monarchen hatten allen Grund, geheimniskrämerisch und herzlich zugleich zu sein: Immerhin hatten sie gerade vereinbart, einen ständigen Botschafter an den Hof des jeweils anderen zu entsenden. Ferner wollten sie binnen zwei Jahren ein weiteres Treffen zur Abstimmung ihrer jeweiligen Außenpolitik abhalten und bis dahin kein weiteres Bündnis mit Frankreich eingehen. Vor allem aber wollten sie »einander beistehen, sollte eines ihrer Reiche von einem äußeren Feind angegriffen werden«. Heinrich war damit zu einem Hauptakteur auf dem internationalen Parkett herangewachsen, und Karl hatte einen entscheidenden Vorteil gegenüber seinem ärgsten Rivalen im nördlichen Europa erlangt.22
Spanien brennt
Im südlichen Europa dagegen hatte Karls Position sich bedrohlich verschlechtert. Zwar hatte sein Aufenthalt in Spanien gerade einmal dreißig Monate angedauert, doch waren während dieser Zeit zwei große Rebellionen losgebrochen: eine in Valencia (der Aufstand der Germanías) und eine in Kastilien (der Aufstand der Comunidades oder Comuneros). Kleinere Aufstände gab es auch auf Mallorca und Sizilien. Wie brachte ein Herrscher, auf den die Menschen noch 1517 voller Vorfreude gewartet hatten, es fertig, in so kurzer Zeit so viele seiner Untertanen gegen sich aufzubringen?
Wahrscheinlich hätte kein Herrscher all die Erwartungen befriedigen und Spannungen beseitigen können, mit denen Karl sich 1517 in Spanien konfrontiert sah. Es begann schon damit, dass seine Ratgeber untereinander heillos zerstritten waren. Viele burgundische Gefolgsleute seines Vaters Philipp, die nach dessen plötzlichem Tod gezwungen gewesen waren, Spanien schmachvoll und mittellos zu verlassen (siehe Kap. 1), sehnten sich nun danach, Rache zu nehmen und die erlittenen Verluste wettzumachen. Die Felipistas – Spanier, die König Philipp und seinem Erben treu geblieben waren, wie etwa Juan de Zúñiga und Pedro Ruiz de la Mota – lechzten ebenfalls nach Rache: Rache an denen, die in Diensten Ferdinands von Aragón auf ihrem Posten geblieben waren. Hasserfüllt sahen sie, mit welchen Gunstbeweisen Karl in den Jahren nach 1516 Fernandinos wie Los Cobos bedachte, die nach zehn Jahren in Amt und Würden nach Brüssel kamen und dort mit ihrem Reichtum und ihren Erfahrungen protzten. Daneben gab es auch innerhalb Kastiliens verschiedene Akteure, deren Ziele und Wünsche sich unmöglich vereinbaren ließen. So erfreute sich beispielsweise die Stadt Burgos enger und herzlicher Beziehungen in die Niederlande, und die Kaufleute der Stadt verdienten ein Vermögen am Export kastilischer Wolle, die an die Tuchhersteller Flanderns ging. Entsprechend war man in Burgos überhaupt nicht mit einem Gesetz aus dem Jahr 1462 einverstanden, das vorschrieb, ein Drittel der Wollproduktion müsse in Kastilien verbleiben und an einheimische Tuchhersteller verkauft werden. Die kastilischen Tuchhersteller, deren Metropole die Stadt Segovia war, lehnten jenes Gesetz ebenfalls ab, allerdings weil ein bloßes Drittel der Wolle für ihren Lebensunterhalt viel zu wenig sei, wie sie erbost vorbrachten. Kein König der Welt hätte Burgos und Segovia zugleich genügen können. Derartige unversöhnliche Rivalitäten gab es noch weitere unter Karls kastilischen Untertanen, und Missernten sowie eine schwere Pestepidemie in den Jahren 1517–1519 konnten diese Ausgangslage nur verschärfen.
Weiter östlich im Königreich Valencia verschlimmerten Starkregen und Überschwemmungen, die ganze Ernten hinwegspülten und ebenfalls eine Pestepidemie nach sich zogen, ebenfalls bestehende Streitigkeiten. Vor allem die Zünfte in den Städten beklagten sich über die »Tyrannenherrschaft« der Stadtoberen, »von denen manche derart überheblich sind, dass sie uns wie ihre Gefangenen behandeln«. Außerdem litt das Königreich unter den regelmäßigen Überfällen muslimischer Korsaren, weshalb die Zunftmitglieder in den größeren Städten sich auch bewaffnet hatten. Die Bedrohung durch die Korsaren erlebte Karl im Mai 1519 kurz nach seiner Ankunft in Barcelona persönlich mit, als ein Geschwader Galeeren nordafrikanischer Herkunft »gleich vor den Augen Seiner Majestät und des Hofes vorüberfuhr« und sich in südlicher Richtung entfernte. Dies war der erste direkte Kontakt des jungen Herrschers mit der militärischen Stärke – insbesondere zur See – der islamischen Welt, und er gab sogleich den Befehl, die Bürgerwehr von Valencia zu mobilisieren. Als diese Order jedoch dort einging, »waren keine der hohen Herren mehr in der Stadt: Alle hatten sie wegen der Pest die Stadt verlassen«. Deshalb »übernahmen die einfachen Leute in der Stadt das Kommando« und begannen, sich zum Krieg zu rüsten. Der detaillierten Chronik des Germanías-Aufstandes zufolge, die Martí de Viciana, ein Augenzeuge der Geschehnisse, zusammengestellt hat, erblickten die Anführer der Zünfte sofort die Gelegenheit, »das Volk von Valencia aus seiner Knechtschaft zu befreien«, denn »im Augenblick haben wir einen neuen Knabenkönig, der von seinen Ministern beherrscht wird; und weil er noch nicht lange auf dem Thron sitzt, hört er jeden an, um zu erfahren, wo etwa Unrecht begangen wird und wer die Opfer sind, damit er seinen Getreuen Genugtuung verschaffen kann«.23 Obwohl die Zunftleute recht damit hatten, dass der »Knabenkönig« noch »von seinen Ministern beherrscht« wurde, begriffen sie nicht, dass diese Minister Fremde waren und ihre Ratschläge deshalb geflissentlich ignorieren würden. Sie erkannten ihren Fehler im Mai 1520, als Karl einen kastilischen Adligen zu seinem Vizekönig in Valencia ernannte (und nicht einen Valencianer, wie es die örtliche Tradition verlangte). Daraufhin randalierten die guten Bürger von Valencia in den Straßen und schrien: »Lang lebe der König! Tod dem Vizekönig!« Karl reagierte darauf mit widersprüchlichen Anweisungen an diverse Verantwortliche, sodass der Aufstand rasch um sich griff.24
Auch die ersten Geschichtsschreiber, die sich mit dem Comuneros-Aufstand in Kastilien befassten, sahen Karls allzu große Abhängigkeit von auswärtigen Ratgebern als einen entscheidenden Katalysator der allgemeinen Unzufriedenheit. Juan de Maldonado, der 1545 schrieb, schob die Schuld an der Revolte vor allem der Tatsache zu, dass »die meisten Granden sehr gekränkt waren, als der König sie nach seiner Rückkehr nach Spanien kaum je über wichtige Belange in Kenntnis setzte und sie auch nicht um ihren Rat fragte; und als er sich wiederum zum Aufbruch rüstete, hatte er nicht den geringsten Teil der Regierungsgeschäfte ihnen anvertraut«. Drei Jahre beschwerte sich die Elite laut Pedro Mexía, »dass der König distanziert und unnahbar erschien und es nicht so einfach war, mit ihm zu sprechen, wie sie sich das gewünscht hätten«. Glaubt man Alonso de Santa Cruz, der seine Gedanken 1552 notierte, dann »brachte es [Chièvres] fertig, den König dermaßen abzuschotten, dass nur wenige überhaupt ein Wort mit ihm wechseln konnten – also hassten die Spanier ihn, weil sie ihn für abweisend und schlecht erzogen hielten … Kurz gesagt: Alle hassten den König«.25
Obgleich die drei zitierten Chronisten allesamt das Trauma des Comuneros-Aufstandes durchlebt hatten, war doch keiner von ihnen direkt daran beteiligt gewesen: Ihre Berichte von Karls Verantwortlichkeit und von seinen Reaktionen stammen deshalb sozusagen aus zweiter Hand. Viele Protagonisten der Geschehnisse teilten ihre Einschätzung allerdings, so auch Adrian von Utrecht, der als Karls Statthalter in Kastilien seinem König mehr als hundert Briefe voller Beschwerden schrieb.26 »Man sagt hier, die Niederländer hätten alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest gewesen sei«, informierte er Karl im Juni 1520. Einige Monate später fügte er hinzu, jedermann in Spanien glaube, »dass Euer Hoheit den Belangen dieser Königreiche keinerlei Beachtung schenkt und alles nur von anderen betrieben wird, als wäre Euer Hoheit ein Kind ohne Vernunft, Besonnenheit und Mitgefühl«. Im Januar 1521 warnte er: »Glaubt mir, Majestät: Wenn Ihr nicht langsam ein wenig mehr Aufmerksamkeit darauf verwendet, die Dinge zu verstehen, und wenn Ihr nicht aufhört, alles stets an andere zu delegieren, wird Spanien Euch niemals wirklich lieben oder Eurer königlichen Hoheit und Autorität gehorchen, wie es sich geziemt.«27
Adrian formulierte noch zwei weitere Hauptbeschwerdepunkte.