Der Kaiser. Geoffrey Parker

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Der Kaiser - Geoffrey  Parker


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Aragonier betrachteten Karl lediglich als Prinzen, und deshalb öffneten die Vertreter der Obrigkeit seine Verordnungen, Edikte und Vollmachten nicht etwa, sondern bewahrten sie verschlossen auf, bis er als König auch tatsächlich anerkannt sein würde. Verordnungen, die er als König (und nicht als Prinz) erließ, wurden gar zurückgesandt. … Da das Erbfolgerecht die Vererbung über eine weibliche Linie ausschloss, behandelten sie den Treueeid sowohl Johanna als auch Karl gegenüber als vorläufig.«30

      Auf seiner langsamen Reise in Richtung der aragonischen Grenze bestellte Karl im März 1518 seinen Onkel Alfonso zu sich, um ihm Gefolgschaft zu schwören; der jedoch war noch immer verletzt von der unfeinen Behandlung, die ihm in der Angelegenheit des Toledaner Bischofsstuhls zuteilgeworden war, und blieb dem befohlenen Treffpunkt fern. Eine ganze Woche lang wartete die königliche Reisegesellschaft mit wachsender Ungeduld, dann traf ein Brief ein, in dem die bereits in Saragossa versammelten Delegierten mitteilten, bevor sie einen Eid auf Karl ablegen könnten, müssten sie zunächst einen Eid auf Johanna leisten – und zwar in deren persönlicher Gegenwart. Obgleich die Cortes schließlich einsahen, dass sie damit Unmögliches forderten – und nach einiger Zurückhaltung Karls eigenen Schwur akzeptierten, sämtliche Gesetze des Königreiches achten zu wollen –, weigerten sie sich auch weiterhin, Karl als »König« anzusprechen, solange seine Mutter noch lebte. Als Karl diese Weigerung überwunden hatte, verlangten sie noch, mit seiner Zustimmung den Infanten Ferdinand als »Kronprinzen« anerkennen zu dürfen. In den Straßen von Saragossa kam es zu Handgemengen zwischen kastilischen und aragonischen Höflingen, und obwohl es Karl gelang, die beiden verfeindeten Lager innerhalb seines Gefolges wieder zu versöhnen, zogen sich die Verhandlungen mit den Cortes über den ganzen Rest des Jahres hin.

      Der langwierige Machtkampf von Saragossa erlaubte es den Diplomaten, die an Karls Hof akkreditiert waren, zum ersten Mal, die Entscheidungsprozesse im neuen Habsburgerstaat ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen. Der venezianische Gesandte Francesco Corner bemerkte wiederholt, Chièvres sei an Karls Hof so etwas wie ein »zweiter König«, während Mártir anfing, den leitenden Minister als »den Geißbock« zu bezeichnen (ein Wortspiel auf Grundlage des französischen Worts chèvre, »Ziege«), und außerdem – mit einer hemmungslosen Paarung zweier Metaphern – behauptete, Chièvres sei »die Kette, die [Karl] hinter Schloss und Riegel bringt«. Der französische Botschafter echote, es seien »nur wenige Personen an der Führung der Geschäfte dieses jungen Fürsten beteiligt«, und fügte hinzu, dass der Einfluss Chièvres’ ungebrochen sei. Wo er recht hatte, hatte er recht: Gegen Ende des Jahres 1518 schuf Karl eigens für Chièvres den Titel eines Markgrafen von Aarschot und machte ihn zudem zum Grafen von Beaumont und Herrn von Heverlee – untrügliche Zeichen seiner anhaltenden Gunst.31

      Viele hielten den Großkanzler Le Sauvage für genauso einflussreich wie Chièvres; allerdings starb er im Juni 1518. Manche rechneten auch damit, dass Mercurino Arborio de Gattinara, der vier Monate nach Le Sauvages Tod das Großkanzleramt übernahm, Chièvres herausfordern werde; aber stattdessen entwickelte er sich zu dessen wichtigstem Unterstützer. Der gebürtige Italiener Gattinara hatte nach einer juristischen Ausbildung als Diplomat in Maximilians Dienst gestanden; Margarete von Österreich stand er als ein vertraulicher Berater zur Seite. Nach Aussage des englischen Botschafters war »Meister Mercurius« bei seiner Ankunft an Karls Hof »ein Mann von sechzig Jahren, sehr gravitätisch und hochgelehrt, ein guter Lateiner«. Ein venezianischer Gesandter ging sogar noch weiter: Der neue Kanzler sei »klug, sehr gebildet (sagt man), gerecht, und er versteht Latein, Spanisch, Französisch und Deutsch« – von seiner italienischen Muttersprache einmal abgesehen –, »und wegen seiner vielen Sprachen heißt ihn jedermann hier willkommen«. Letzteres war eine kaum verhüllte Kritik an Karls anderen, zumeist nur einsprachigen Ministern und Räten.32 Gattinara hatte im Dezember 1516 am Hof bereits für einiges Aufsehen gesorgt. Grund war ein recht kurioses Manuskript, das »dem göttlichen Karl dem Größten, dem katholischen König«, gewidmet war und den Titel trug: Oratio supplicatoria somnium interserens de novissima orbis monarchia et futuro Christianorum triumpho« – »Flehende Ansprache, darin enthalten ein Traum von der letzten Weltmonarchie und dem künftigen Triumph der Christenheit«. Gattinara versprach, in diesem Traktat zugleich »die Mittel zur Erreichung« dieses Ziels zu liefern. Obwohl die Denkschrift in lateinischer Sprache verfasst war – was sie als Lektüre für ihren erklärten Adressaten denkbar ungeeignet erscheinen ließ –, traf Gattinara alle Vorkehrungen und schickte sie seinem Landsmann Luigi Marliano, Karls Leibarzt und Ratgeber, zu in der Hoffnung, dass sie auf diesem Weg »die Ohren eines gewissen Jünglings erreichen möge«. Der Inhalt von Gattinaras Traktat ist schnell umrissen: Nach der eingehenden Wiedergabe eines Traumes, in dem Karl als der Messias auftritt, der Italien befrieden, die Kirche reformieren, die Christenheit einen und letztlich den Weltfrieden bringen soll, kam Gattinara auf die überlegenen Ressourcen zu sprechen, die dem tatsächlichen Karl in Europa und in Amerika zur Erreichung dieser Ziele zur Verfügung standen, und verglich sie mit denen anderer christlicher Herrscher. Damit wollte er aufzeigen, wie aus dem Traum Wirklichkeit werden konnte – ein Vorhaben, dem Gattinara den ganzen Rest seines Lebens widmen sollte.33

      Auch einige Spanier stießen zu Karls Beraterstab. Francisco de Los Cobos entwarf nun die meisten der offiziellen Schreiben, die mit Kastilien zu tun hatten (einschließlich jener, in denen der Marqués von Denia angewiesen wurde, Königin Johanna in ihrer Scheinwelt gefangen zu halten). Und zu Beginn des Jahres 1519 rief Karl, in Vorbereitung auf ein geplantes Treffen mit Franz I., bei dem die beiden Könige einige noch ausstehende Fragen klären wollten, »vier oder fünf der ranghöchsten Kirchenmänner von Kastilien und Aragón zusammen, um mit ihnen über seinen Anspruch auf das Königreich Neapel zu diskutieren« (die hochwürdigen Herren empfahlen ihm, keinerlei Zugeständnisse zu machen – ein Ratschlag, den Karl nur zu gern befolgte).34 Jedoch teilten so gut wie alle der am politischen Entscheidungsprozess Beteiligten den »burgundischen Wertekanon« von Männern wie Karl, Chièvres und Gattinara.

      Schließlich verließ Karl Saragossa und zog mitsamt seinem Gefolge nach Barcelona, wo er noch eine weitere Versammlung beunruhigter Untertanen – katalanischer diesmal – von seinem Thronanspruch zu überzeugen und zur Bewilligung von Steuergeldern zu bewegen hoffte. Bis zu seiner Ankunft in Katalonien sollte der hoffnungsvolle Thronerbe allerdings zwei weitere Familienmitglieder verlieren: seine Schwester Eleonore sowie seinen einzig verbliebenen Großelternteil. Im Oktober 1518 sandte er nämlich Eleonore, von Geburt an seine ständige Begleiterin und treue Gefährtin, fort zu ihrem zukünftigen Ehemann, König Manuel von Portugal. Und wie schon das Exil des jungen Ferdinand, so wurde auch Eleonores Abreise »vom ganzen Hof und dem ganzen Königreich missbilligt«.35 Vier Monate darauf, er befand sich bereits in der Gegend von Barcelona, erfuhr Karl vom Tod seines Großvaters Maximilian. Das war ein Einschnitt, der sowohl sein persönliches Leben als auch das europäische Gleichgewicht nachhaltig beeinflussen sollte.

      »Kauf dir einen Kaiser«36

      Maximilian hatte erstmals 1513 mit dem Gedanken gespielt, die Kaiserkrone für Karl zu sichern. Pfalzgraf Friedrich, sein »Vetter« und Vertrauter, erinnerte sich später an die genauen Worte des Kaisers:

      »Ihr seht, dass ich mein Herzblut, mein Geld und meine Jugend für das Reich aufgewandt habe, und nichts habe ich dafür bekommen. Wenn wir es nur einmal versuchen wollen, so hätte ich gern, dass jener junge Herr, mein Enkelsohn Karl, zum Kaiser gewählt würde, denn wie Ihr seht, gibt es außer ihm keinen anderen, der die Fähigkeiten oder die Kraft hätte, den Ruf des Reiches zu erhalten. Wenn die Kurfürsten einverstanden sind, würde ich dieses Amt am liebsten niederlegen.«

      Nach der Reichsverfassung erforderte ein solcher Regierungswechsel das zustimmende Votum von mindestens vier der sieben Kurfürsten – zu ihnen zählten die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, der Pfalzgraf bei Rhein, der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von Sachsen sowie der König von Böhmen –, die bei einer außerordentlichen Wahlversammlung den neuen »König der Römer« bestimmen mussten, den der Papst dann später zum »römischen Kaiser« krönte. Kurz nach seiner Unterredung mit Friedrich traf Maximilian sich mit vieren der Kurfürsten (darunter auch jener von der Pfalz, Friedrichs älterer Bruder), um das Terrain zu sondieren, stieß jedoch auf unverblümte Ablehnung: »Keiner von uns will, das Ihr Eure


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