Der dicke Mann. Wolfgang Armin Strauch

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Der dicke Mann - Wolfgang Armin Strauch


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ließ Mazur den Geschäftsführer aus dem Bett holen und befragte ihn zu den Besuchern des vergangenen Abends.

      „Gestern hatten wir volles Haus. Wegen des Feiertags waren sogar die Stühle an der Theke besetzt. Mir ist nichts Besonderes aufgefallen.“

      Mazur zeigte ihm das Foto der Toten.

      „Das ist Frau Klimek. Sie hat wie immer mit ihrer Enkelin am Zweiertisch gesessen.“

      Mazur fragte erstaunt: „Sie können sich aber gut an sie erinnern?“

      „Ja. Sie trifft sich alle 14 Tage mit dem Mädchen. Meistens essen sie ein Stück Wallnusstorte und trinken Kaffee. Gestern blieben sie nicht so lange wie üblich da. Circa 21: 45 Uhr sind sie gegangen. Außer bei der Bestellung habe ich mit ihr nicht gesprochen. Es tut mir leid. Sie war eine so nette Frau.“

      Mazur ließ sich Namen von einigen Stammgästen geben.

      Tadeusz Klimek stand ganz oben auf der Liste der Verdächtigen. Da er zum festgelegten Termin nicht kam, suchte ihn Mazur am späten Nachmittag in seiner Wohnung auf. Als er öffnete, wies der Kriminalist den richterlichen Durchsuchungsbefehl für das Zimmer seiner Schwester vor. Während seine Mitarbeiter die Durchsuchung vornahmen, sprach er mit dem Wohnungsinhaber, der immer noch alkoholisiert war.

      „Sie ist also tot. Wie ist es denn passiert?“

      Klimek holte tief Luft, bevor er weitersprach. Kann Mord passieren? Es war diese fehlende Anteilnahme, die Mazur irritierte. Da ist gerade die Schwester gestorben und er sprach von ihr wie von einer Sache.

      Der Kriminalist fragte, ob er in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches bemerkt hätte oder neue Bekannte im Umfeld aufgetaucht wären. Klimek wusste nichts und kannte niemanden. Sie bewohnten zwar eine Wohnung, hätten aber kaum Kontakt.

      Mazur fragte nach der Enkelin, die mit dem Opfer zusammen war.

      Klimek sagte ärgerlich: „Das ist nicht ihre Enkelin, sondern meine.“

      Dass sich die beiden regelmäßig getroffen hatten, wusste er nicht. Es hätte ihn auch nicht interessiert. Trotz mehrerer Rückfragen gab er dem Kriminalisten keine Adresse. Mürrisch saß er auf einem alten Ledersessel und ignorierte alle weiteren Fragen. Stattdessen öffnete er ein Schubfach und nahm eine Wodkaflasche heraus. Er füllte sein Glas und schüttete den Schnaps in einem Zug herunter. Dann lallte er nur noch.

      Mazur gab auf. Hier war nichts mehr zu holen. Seine Kollegen waren erfolgreicher. Sie hatten im Zimmer eine Akte mit den Rentenunterlagen, persönlichen Belegen und einem Testament gefunden. Sie hatte das Haus von ihrer Tante geerbt und Alina Klimek, also die Enkelin ihres Bruders, zur Alleinerbin erklärt.

      Ein Ordner war mit Zeitungsausschnitten über das KZ Auschwitz gefüllt. Ein Beleg wies sie als ehemalige Insassin des KZs aus. In einem Schulheft gab es eine umfangreiche Namensliste. Bei einzelnen Personen war eine Adresse eingetragen. Andere waren mit einem Kreuz markiert. Dahinter standen teilweise Ort, Datum und der Name des Friedhofs. Eine weitere Übersicht umfasste Anschriften von Organisationen, die sich um Naziopfer kümmerten.

      Allmählich bekam das Opfer ein Gesicht. Auch von der Enkelin, Alina Klimek, fand sich in den Unterlagen eine Adresse. Mazur ließ alles einpacken und fuhr mit dem Dienstwagen zu einem Studentenwohnheim, in dem sie wohnen sollte, traf sie aber nicht an. Eine Mitbewohnerin meinte, dass sie an einem Projekt arbeitete und sicher nicht vor 20: 00 Uhr zu Hause sein würde.

      In der Dienststelle berichtete er seinem Chef über den Stand der Dinge:

      „Wenn es der Bruder war, könnten wir den Fall schnell abschließen. Aber es gibt weder Zeugen noch Beweise. Der Mann war so betrunken, dass er keine Auskunft geben konnte.“

      „Ein Verdacht reicht nicht für eine Anklage. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie mehr Hilfe brauchen. Am Montag steht die ganze Besatzung wieder zur Verfügung.“

      Mazur schrieb einige Berichte. Dann fuhr er mit seinem Motorrad zur Adresse von Alina Klimek. Er klingelte. Die junge Frau, sah mit ihren 21 Jahren wie ein Schulmädchen aus. Er hatte zwar seinen Dienstausweis aus der Tasche gezogen, doch sie achtete nicht darauf.

      „Mein Name ist Andrzej Mazur. Ich komme von der Miliz. Es geht um Jadwiga Klimek.“

      „Kommen Sie herein. Sie müssen die Unordnung entschuldigen. Ich bin gerade erst gekommen. Was ist mit Jadwiga? Hatte sie einen Unfall?“

      Die Stimme der jungen Frau zitterte.

      Mazur setzte sich auf einen wackligen Stuhl. Sie setzte sich auf das Bett.

      Es war seine erste Todesnachricht. Langsam und stockend berichtete er über das Vorgefallene, ließ aber jene Details weg, die die Brutalität des Mordes illustrierten. Alina Klimek rang mit den Tränen. Sie ergriff das Kopfkissen und hielt es vor ihr Gesicht, um ihren Schmerz laut klagend darin zu versenken. Rinnsale salziger Tropfen nässten den Stoff ihrer Bluse, der mit bunten Frühlingsblumen bedruckt war.

      Mazur war sich nicht sicher. Dann aber setzte er sich doch auf das Bett und schloss das tief getroffene Mädchen in seine Arme ein. Dankbar nahm sie das Angebot an.

      Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, fragte er: „Wann haben Sie Frau Klimek das letzte Mal getroffen?“

      „Gestern waren wir im Café ‚Elena‘. Gegen 21: 30 Uhr sind wir gegangen. Vor dem Aufgang zum Wawel verabschiedeten wir uns. Es war vielleicht kurz vor 22: 00 Uhr. Ich hatte einen Termin als Garderobendienst bei einer Veranstaltung. Jadwiga wollte nach Hause.“

      Ihre Stimme stockte. Offenbar wurde ihr bewusst, dass danach der Mord geschehen war.

      „War sie an diesem Tag anders als sonst? Hat sie irgendetwas erwähnt, dass Ihnen ungewöhnlich vorkam?“

      „Nein. Eigentlich nicht. Sie hat sich wieder über meinen Großvater aufgeregt, der täglich betrunken ist. Deswegen hatte sie bereits mit dem Gedanken gespielt, ihn aus der Wohnung zu werfen.“

      „Haben Sie mit ihrem Großvater keinen Kontakt?“

      „Nein. Schon seit Monaten nicht. Jadwiga hatte ihn gebeten, mir Sachen von meiner Mutter zu geben. Er meinte, dass sie das nichts angehe. Ich habe ihn dann selbst aufgesucht und danach gefragt. Da hat er mir die Tür vor der Nase zugeschlagen.“

      „Worum ging es dabei?“

      „Ich habe von Mutter weder ein Bild oder sonst irgendwelche persönlichen Sachen. Selbst meine Geburtsurkunde rückt er nicht heraus. Jadwiga meinte, dass er Post bekommen hat, die mich betrifft.“

      Alina Klimek erregte sich dabei so sehr, dass der Kriminalist sie kaum beruhigen konnte. Er bat sie, am nächsten Tag in die Dienststelle zu kommen. Seine Visitenkarte ergänzte er mit der persönlichen Telefonnummer.

      „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, können Sie mich jederzeit erreichen.“

      Mazur stieg auf das Motorrad. Er war ein anderer. Die junge Frau hatte in ihm ungewohnte Gefühle ausgelöst. War es nur der Beschützerinstinkt? Er wusste es nicht. Beim Studium hatte man davor gewarnt, Fälle zu dicht an sich herankommen zu lassen. Sie war eine Zeugin. Da verbot sich jede Nähe, wenn man objektiv bleiben wollte. Trotz Müdigkeit fand er keinen Schlaf.

      Am nächsten Tag rief der Nachbar des Opfers an. Er berichtete über Krach in der Wohnung. Als Mazur mit dem Streifenwagen vor dem Haus ankam, wartete der Anrufer schon.

      „Es ist jetzt zwar wieder still, aber nach dem Mord wollte ich sichergehen.“

      Mazur bedankte sich bei ihm. Gemeinsam mit seinem Kollegen Krawczyk betrat er das Haus. Trotz heftigen Klopfens öffnete niemand. Er ließ die Tür aufbrechen. Klimek lag im Wohnzimmer. Der herbeigerufene Arzt stellte den Tod fest. Fremdeinwirkung schloss er aus. Bei dem großen Alkoholkonsum sei ein solches Ende vorauszusehen.

      Sicherheitshalber veranlasste Mazur eine Obduktion.

      Es war schon 10: 30 Uhr. Er überlegte, ob er nun wirklich zu Alina Klimek fahren sollte, um ihr die Nachricht zu überbringen. Noch an der Tür zögerte er. Von drinnen hörte er Klaviermusik. Er klingelte.


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