Die Giftmischerin. Bettina Szrama
Читать онлайн книгу.ausgelegten Stufen zu den Rängen hinauf. Die kleinen Füße versanken in dem weichen dunkelroten Flor und vermischten sich im Licht der Foyerbeleuchtung mit dem Rot ihrer Wangen, während ihre Augen neugierig die festlichen Roben der Besucher betrachteten. Dabei senkte sie bei jedem bewundernden Blick der anwesenden Herren verlegen die Lider. Insgeheim jedoch genoss sie die Aufmerksamkeit, die ihr, je näher sie dem Saal kam, zuteilwurde.
»Ich bin so aufgeregt«, flüsterte sie der Freundin zu, die beruhigend ihre Hand drückte.
»Keine Angst, Gesche«, antwortete Marie und schaute sich suchend um. »Dein Herr Vater wird dich schon nicht aus den Augen lassen.« Es sollte ein belustigender Hinweis darauf sein, dass Gesche mit ihren 21 Jahren keinen Schritt ohne die strenge Aufsicht der Eltern unternahm. »Wo ist dein Bruder, Gesche?«, fragte sie, während sie nach dem feschen Husaren unter den Theatergästen Ausschau hielt. Schon geraume Zeit betete sie Gesches Bruder heimlich an und hätte es sich gewünscht, dass er um sie freite.
»Sein Regiment, bei dem er sich hat einschreiben lassen, ist gestern nach Paris abgerückt. Mach dir keine Hoffnungen, liebe Marie. Mein Bruder Christoph genießt das Abenteuer. Er wird nie ein biederer Ehemann werden. Verschwende deine Aufmerksamkeit besser an die vielen unverheirateten Herren hier in der Komödie. Ist es nicht wunderschön? Hier finden wir bestimmt einen wohlhabenden Ehemann.«
»Für dich, Gesche hält sich hier sicher ein Freier verborgen. Woher sollten sonst die Karten für die teure Loge herkommen? Oder dein wunderschönes Kleid.«
Sie blickte ein wenig neidvoll auf Gesche und dann seufzend an sich herunter. »Heute schauen alle Menschen nur auf dich. Genieße es, Gesche. Ich bin gegen dich nur ein schwarzes, unbedeutendes Schäfchen.«
»Deine Worte machen mich traurig, Marie«, antwortete Gesche betrübt und blieb am Treppenabsatz stehen. »Wir ergänzen uns doch wie Geschwister.« Sie sah der dunkelhaarigen Marie herausfordernd in die rehbraunen Augen und strich ihr eine Locke aus der Stirn. »Du bist doch das Gegenstück zu mir, dunkel und feurig, wie eine rote Rose. Nein, nein, die Blicke der schneidigen Herren gelten eher dir als mir. Wenn sie mich ansehen, dann schauen sie nur wegen des aufwendigen Kleides. Es ist aber auch zu schön«, sinnierte sie und drehte sich kokett vor der goldenen Spiegelwand. Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben trug sie kein Schultertuch aus Leinen, und sie betrachtete entzückt ihre runden Schultern, die sich im gedämpften Licht von der rot-goldenen Samttapete des Foyers weiß wie Alabaster abhoben. Die blonden Locken hatte ihr die Mutter in kleinen Löckchen kunstvoll zu einer kleinen Krone aufgetürmt und mit einem zum Kleid passenden Diamanthaarband festgesteckt. Zu dem lang fließenden Kleid aus romantischer zartroter Seide und heller Spitze trug sie elegante lange Handschuhe, die bis zum Ellbogen reichten. Dazu hatte sie die Taille zum ersten Mal geschnürt, was ihre kleinen weißen Brüste geheimnisvoll hervorhob.
»Du bist wunderschön, Gesche«, gestand ihr Marie neidlos zu. »Wenn man bedenkt, dass dieses Kleid einst für eine andere Trägerin genäht wurde und nun deinen herrlichen Körper schmückt. Du bist ein Glückspilz, man kann dir nur gratulieren, Gesche.«
»Wenn ich nur wüsste, wer mir dieses Kleinod geschenkt hat.« Gesche betrachtete ungeduldig drei Herren an der Getränketafel, die lautstark den hauseigenen Wein lobten. »Christoph kann es nicht gewesen sein. So viel Groten besitzt er nicht.«
»Das Kleid ist mindestens mehrere Reichstaler wert. So etwas kann nur ein wohlhabender Freier«, antwortete ihr Marie und zupfte an dem in Falten gelegten Überwurf aus kostbarem Atlas. »Aber wer?«, sinnierte Gesche. »Vater sagte, das Kleid hatte einst eine reiche Dame bei ihm in Auftrag gegeben.«
»Und dann nicht abgeholt …«, grinste Marie und zog Gesche vom Spiegel weg zu den Eingängen. Die hohen, mit Gold beschlagenen Türen standen offen, und vor jedem Eingang empfing ein junger Lakai in einer blauen Livree die Herrschaften. Gesche staunte und hielt, unschlüssig, zu welcher Tür sie sich wenden sollte, Marie am Arm zurück. »Welche Loge ist es?«, fragte sie ängstlich.
Marie wusste, es war ihr peinlich, ohne die Brille nichts auf dem Billett erkennen zu können.
Im gleichen Augenblick trat einer der französischen Lakaien auf sie zu, verbeugte sich bis zur Erde und fragte: »Darf ich die Damen zu ihrem Platz geleiten?«
Doch ein junger Herr im Zylinder, mit Haaren so schwarz und wild wie sein Anzug, schälte sich aus der Gruppe an der Getränketafel und kam ihm zuvor.
»Ich sehe, die Damen sind unschlüssig …?«, fragte der rasch Herbeigeeilte höflich und trennte die Freundinnen, indem er mit einer galanten Verbeugung jeweils einen zarten Kuss auf die dargebotenen Fingerspitzen hauchte.
»Peter Kassow ist mein Name. Darf ich mir erlauben, die jungen Damen in meine Loge zu bitten?« Er verbeugte sich abermals artig, während er die Hacken ein wenig zusammenstieß und Gesches Figur mit einem feurigen Blick aus seinen tiefschwarzen Augen umfasste.
Gesche kämpfte erneut gegen ihre Verlegenheit, und flinker als Marie antwortete sie: »Es ist uns eine Ehre, mein Herr.« Keusch senkte sie dabei den Blick zu Boden, als sie bemerkte, dass Kassow ihr die größere Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ.
»Sind die Damen das erste Mal in der Komödie?«, fragte er neugierig und hakte sich bei beiden unter. Gleich darauf promenierte er zwischen ihren raschelnden Gewändern.
Gesche nickte, und von seiner lockeren Art angetan, fragte sie neugierig: »Sind Sie Russe, Herr Kassow?«
»Sogar ein waschechter, mein Fräulein«, antwortete Kassow und zwirbelte sein schwarzes Oberlippenbärtchen, als sie vor der letzten Tür stehen blieben.
Die Augen auf ihr Dekolleté gerichtet, in freudiger Erwartung auf ein zartes Liebesabenteuer, schnitt er nun ein Thema an, das zurzeit in den Salons heftig diskutiert wurde und ihm die Bewunderung der Damen einbrachte.
»Seitdem Großbritannien und mein Mütterlein Russland vorhaben, die Schweiz und Holland aus der Gewalt Napoleons zu befreien, gilt für einen Weinhändler wie mich nur eines: schnellstens meine Geschäfte mit England zu retten, bevor der Wahnsinnige«, hier kam er Gesches Ohr sehr nahe, »was mir aus vertrauter Quelle zugetragen wurde, gemeinsam mit den Spaniern und den Briten den Krieg zur See eröffnet.«
»Mein Herr, Sie sind wohl kein Freund unseres französischen Kaisers Napoleon?«
Mehr überrascht als erschrocken schaute Gesche auf den hochgewachsenen blonden Herrn, der leise hinter sie getreten war und sich ohne Aufforderung am Gespräch beteiligte.
»Ein so mächtiger Herrscher, der uns eine ganz neue Welt mit außergewöhnlichen Bildungs-, Verwaltungs- und Finanzreformen verspricht. Meine Damen, wollen Sie einen solchen Propheten des Fortschritts wegen ein paar kleiner kriegerischer Auseinandersetzungen von unserem Herrn Kassow denunzieren lassen?«, versuchte er den Russen vor den Damen auszustechen, um die Aufmerksamkeit des schönen Geschlechts auf sich zu lenken.
»Kleine Kriege? Aber Herr Miltenberg, was soll das, in der Gegenwart zweier so schöner, sanfter Geschöpfe die Gefahr zu beschönigen? Glauben Sie, die Damen sind nicht informiert?«, rechtfertigte sich Kassow ob der Störung und zwinkerte Gesche zu.
Gerard Miltenberg überhörte den Einwurf. Auch er hatte nur Augen für die schöne Gesche. Aufmerksam beugte er sich über die dargebotene Hand, während Kassow seine Meinung vor den Damen erneut verteidigte.
»Stellen Sie sich nur vor, dieser verrückte Korse hat die Sklaverei wieder eingeführt. Oder denken Sie an die unlängst standrechtliche Erschießung des Herzogs von Enghien im März 1804, was das für uns Deutsche für Folgen haben wird. Zu allem Unglück hat der Wahnsinnige sich jetzt auch noch zum Kaiser krönen lassen.«
Gerhard Miltenbergs Gesicht überzog ein gelangweiltes Lächeln. Gesche mit den Augen heftige Avancen machend, versuchte er, dem Gespräch ein Ende zu setzen.
»Gehen Sie zu Ihrem Mütterchen Russland zurück, Kassow! Es wird Sie bald nötiger brauchen als Ihre englischen Geschäfte.«
Kassow wendete sich ihm jetzt mit hochrotem Gesicht zu und musterte ihn ärgerlich aus schmalen Augenschlitzen. Brachte Miltenberg sein Mütterchen Russland mit ins