Die Giftmischerin. Bettina Szrama

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Die Giftmischerin - Bettina Szrama


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»Darf ich keine Wünsche hegen, liebe Mutter?«, fragte sie plötzlich und nahm Margarethe den Kamm, mit dem sie ihr langes Haar glatt strich, aus der Hand.

      Margarethe schüttelte den Kopf. »Eine Frau hat ihrem Mann zu gehorchen. Du wirst ihn schon lieben, mein Kind, es sind deine eigenen Worte, erinnerst du dich …«, fügte sie etwas sanfter hinzu. »Bedenke, er ist ein sehr wohlhabender und schöner Mann. Schon das sind Gründe genug. Er wird dir die Welt zu Füßen legen, wenn du es nur verstehst, ihn an dich zu binden.«

      »Aber wie ist sie, die Liebe zwischen Mann und Frau, Mutter?« Gesche erinnerte sich an die tragische und zarte Liebe zwischen ihren Lieblingsfiguren Ferdinand und Luise. Seitdem träumte sie von ebenso romantischen Gefühlen. »Wird er zärtlich zu mir sein, Mutter?«

      »Als Ehefrau hast du deinem Mann Kinder zu gebären, Gesche. Einzig und allein deswegen wirst du diese Nacht bei deinem Gatten liegen. Allein deine jungfräuliche Tugendhaftigkeit ist entscheidend für dein weiteres Leben mit ihm als seine Ehefrau und Mutter seiner Kinder.«

      Gesche sah, wie sie sich mühte, die schwere Bettpfanne unter das Laken zu schieben, mit einem verschmitzten Lächeln auf dem zu früh gealterten Gesicht. Noch nie war es ihr so deutlich geworden, wie rissig ihre Lippen vom ewigen Nadelhalten waren und wie sehr das Wollnähen ihre einst so klaren braunen Augen vorzeitig getrübt hatte. Sie spürte, dass die Mutter ihrer Frage auswich, und umfasste die über das Bett gebeugte Gestalt mit einem langen, nachdenklichen Blick.

      Ihr Kopf lag auf dem seidenen Kissen, zwischen Spitzen­volants und Daunenkissen, umgeben von der Flut ihrer blonden Haare. Leise hatten die Mutter und die Mägde den Raum verlassen, nicht ohne noch vorher die Bettpfanne zu entfernen und die Kerzen auf den silbernen Leuchtern an den Wänden auszulöschen. Nun blickte sie mit klopfendem Herzen hinauf zu den Schnitzereien am Baldachin.

      Jedes Geräusch, selbst das leise Piepsen einer verirrten Maus, verursachte ihr plötzlich Qualen banger Erwartung. Mit einem Mal war der Lärm der rauschenden Festlichkeit verklungen, und es herrschte wieder Stille im Haus. Eine lähmende Stille, die ihr große Angst einjagte. Die meisten Gäste waren spät wieder abgefahren oder schliefen, vom Wein berauscht, in den Zimmern. Eben noch von Vater und Mutter behütet wie ein Kleinod, spürte sie sich plötzlich in der Einsamkeit ausgestoßen wie ein Kuckuck aus dem warmen Nest. Schließlich wurde es ihr kalt, und sie zog die Bettdecke hinauf bis an das Kinn. Der seidene Stoff wärmte nicht, er fühlte sich kühl an, wie ein Totenlaken. Um sich abzulenken, versuchte sie, sich die letzten Stunden ins Gedächtnis zu rufen. Leichtfüßig wiegte sie sich noch einmal in den Armen der Offiziere unter den bewundernden Blicken der Zuschauer. Bei dem Gedanken an die vielen Geschenke, die sie bekommen hatte, begannen ihre Augen erneut zu glänzen. Marie, die den ganzen Tag nicht von ihrer Seite gewichen war, hatte sie zum Dank einen wertvollen goldenen Ring geschenkt, von denen sie nun im Überfluss hatte. Zu dumm nur, dass Marie ihr unter Tränen die Großzügigkeit mit einem Gegengeschenk vergalt, einer kleinen goldenen Mundtasse. Als sich später beim Vergleich der köstlichen Metalle herausstellte, dass der Ring eine falsche, wertlose Komposition war, verließ Marie die Festlichkeit wütend und enttäuscht. Bei dem Gedanken, dies könnte ein böses Omen für ihre Zukunft bedeuten, fror sie noch stärker. Wehmütig dachte sie an den Vater. Oh ja, den Vater hatte sie zu Recht stolz und glücklich gemacht. Richtig traurig war es ihr beim Abschied zumute gewesen, und sie wäre am liebsten wieder mit ihm nach Hause gegangen. Wie ihr so in diesem Moment die Tränen über die Wangen liefen, raschelte es hinter dem schweren Türvorhang und Gerhard trat in das Zimmer. Er stand im Halbdunkel, und sie vernahm vorerst nur seine schweren Schritte. Mehrmals verhielt er im Schritt, und es war wieder still. Dann hörte sie, wie er eine Schranktür öffnete und wie sein Kehlkopf glucksend auf und nieder hüpfte.

      Ihre Finger verkrampften sich in der Bettdecke. Der Vater trank nie. Er ehrte Gottes Gebote. Dass Gerhard dem Wein reichlich zusprach, davon redete die ganze Stadt. Der Geruch wurde stärker und kitzelte ihre Nase. Gerhard stand vor dem Bett. Er hielt eine silberne Lampe in der Hand. Das Licht flackerte leicht, als er sich zu ihr auf den Bettrand setzte. Sie sah, dass auch seine Hände leicht zitterten. In dem seidenen Nachthemd, mit der nackten Brust, kam er ihr fremd vor, und der ungewohnte Anblick entlockte ihr ein schwaches Lächeln. Ängstlich und zugleich in neugieriger Erwartung auf das, was nun kommen würde, wich sie ein Stück vor ihm zurück. Das schummrige Licht verhinderte, dass sie in seine Augen sehen konnte, trotzdem spürte sie seinen Blick, wie er eindringlich prüfend über die Bettdecke glitt und an den Formen ihres Körpers hängen blieb.

      »Du bist so wunderschön«, hörte sie seine Stimme. Sie klang rau und ging in ein Keuchen über. »Schön wie eine seltene Blume, die man nicht pflücken sollte, um ihren Liebreiz nicht zu zerstören.«

      Er schmeichelte ihr, während seine Hand langsam, erst sanft, dann fest knetend, die Formen ihres Körpers nachzuzeichnen begann, seine Hand verhielt einen Moment auf ihrem Schoß. Dann setzte er die Lampe auf dem Nachttisch ab. Plötzlich ging sein Atem schneller, wurde hastiger und überschlug sich. Dann vermischte sich der Geruch des Alkohols mit seinem Schweiß. Sein Gesicht war dicht über ihr. »Hast du Angst?«, fragte er mit heiserer Stimme.

      Sie nickte.

      »Musst du nicht haben«, keuchte er. »Ich tu dir nicht weh.«

      Plötzlich spürte sie, wie seine Hand nach der Decke fasste. Fast brutal riss er sie mit einer einzigen Bewegung zur Seite. Im gleichen Augenblick warf er sich auf sie. Der schwere Körper wollte sie erdrücken, und sie bekam keine Luft. Plötzlich waren seine Finger überall. In roher Begierde kneteten und quetschten sie, verursachten Schmerzen.

      Verwirrt schloss sie die Augen und dachte an Christoph, an Viktor, an seine Küsse und an den Vater, der ihr zum Abschied noch einmal ans Herz gelegt hatte: »Liebe deinen Mann und ehre deinen Schwiegervater!«

      Dann war es plötzlich ganz still. Der schwere Körper war von ihr heruntergerollt und lag nun neben ihr im Bett. Angespannt lauschte sie in die Dunkelheit. Sie spürte nichts mehr. Alles war vorbei. Gestorben war die Illusion von den romantischen Gefühlen zwischen Mann und Weib, dem zärtlichen Werben um die Geliebte, von dem sie heimlich so viel in den Romanen gelesen hatte. Zerbrochen an roher Begehrlichkeit.

      Vorsichtig begann sie, ihre Beine zu bewegen. Erst die Zehen, dann den Fuß, dann das Bein. Der Schmerz kam wieder. Es war ein schmerzhaftes Ziehen, irgendwo im Schoß. Erschrocken richtete sie sich auf. Mit zitternden Fingern griff sie nach dem Leuchter und hielt die Lampe so, dass der Lichtschein zwischen die geöffneten Schenkel fiel. Auf dem Laken aus weißem Batist ein roter Blutfleck. Neugierig zog sie die Beine an und rieb mit dem Hacken darauf umher. Hartnäckig blieb der Fleck. Das beunruhigte sie nicht, die Mutter hatte sie vorbereitet. Dann leuchtete sie hinüber zu ihrem Ehemann. Gerhard lag auf dem Rücken und hielt das Gesicht unter dem Arm verborgen. Seine Atemzüge hörten sich ruhig und gleichmäßig an. Trotzdem war sie sich nicht sicher, ob er schlief, und so wagte sie sich noch ein Stück weiter. Was sie dann sah, entlockte ihr einen unterdrückten Schreckenslaut, und sie wünschte sich, ihrer Neugierde niemals nachgegeben zu haben. Rasch betete sie mit geschlossenen Augen, in der Hoffnung, dass Gott sie nicht dafür bestrafte, was sie eben so leichtsinnigerweise in Augenschein genommen hatte. Gerhards Betttuch war verrutscht und gab einen Teil der entblößten Hüften frei. Auch wenn ihr Glaube und die Schamhaftigkeit ihr strengstens geboten, den Blick von dem männlichen Schoß abzuwenden, heftete sie jetzt den Blick wie gebannt auf Gerhards Unterbauch. Ein kleiner nierenförmiger Knoten, in der Nähe der Leiste, groß wie eine Erbse unter der weißen Haut, zog sie magisch an. Gleichzeitig fürchtete sie sich vor der Mutter, die in ihrem Geiste gebietend den Finger erhob. Doch wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, leuchtete sie weiter suchend die kräftigen Oberschenkel hinab, bis ihr an der weißen Innenhaut eine ähnliche Geschwulst auffiel. Sie hatte sich geöffnet und nässte. Der üble Geruch reizte ihre feine Nase. Erschrocken, die Hand vor der Nase, richtete sie das Glas der Lampe nun auf Gerhards Unterarme. Das weiße Fleisch vom Handknöchel bis zum Ellenbogen war übersät von seltsamen blauroten Flecken.

      Trotz des Ekels, den sie nun vor der seltsamen Krankheit empfand, war sie doch nun Miltenbergs Ehefrau, bis der Tod sie schied. So war es nicht verwunderlich, dass sie sich plötzlich ernsthaft um ihn Sorgen machte und ihn sogleich sanft an der Schulter rüttelte. »Mein Ehemann, mon


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