Herrenfahrrad "Partizan". Dragan Aleksić
Читать онлайн книгу.Sie nahm ihren Regenschirm mit und ging heiter und entschlossenen Schrittes die Hauptstraße Stradun hinunter. Gerade, als sie beim Goldschmied „Vido“ ankam, hörte es auf zu regnen. Sie klappte ihren Regenschirm zusammen und betrat den Laden. Der Besitzer freute sich über ihren Besuch. Er schaute sie erstaunt an.
Die Frau legte ihre Hände auf den Glastisch und streckte ihre Finger aus. Sie sagte: „Den alten Ehering gibt es nicht mehr. Ich brauche eine neuen. Mach mir einen.“
„Was für einen möchtest du?“, fragte Vido.
„Du bist doch der Goldschmied. Mach mir einen Ehering, den du an mir gerne sehen möchtest.“
„Eheringe stellt man paarweise her. Für wen soll ich den zweiten machen?“
„Für dich selbst.“
Ein Jahr später bekamen sie eine Tochter.
Die neunzehnjährige Tochter machte einen Abstecher zur Bibliothek, um ihre Mutter zu besuchen. Ich war zufällig dort, nachdem ich einen ruhigen Nachmittagsspaziergang durch die leeren Straßen Dubrovniks unternommen hatte. Nachdem die Tochter gegangen war, sagte ich zu der Frau: „Haben die jungen Männer Glück mit ihr oder nicht?“
Die Frau lächelte. Ich fuhr fort: „Sie ist eine wunderschöne junge Frau. Manchmal bringt Schönheit kein Glück.“
„Ja“, sagte die Frau und dachte kurz nach, „Sie sind nicht von hier?“
„Nein. Ich bin weit weg von zu Hause ... Sie sind ebenfalls eine wunderschöne Frau, Ihre Tochter hat das von Ihnen.“
„Setzen Sie sich.“
Ich setzte mich, trank den Kaffee, den sie mir brachte, und hörte mir ihre Geschichte an. Bevor ich wegging, sagte ich, dass ich gerne im Geschäft ihres Mannes einen Ring für meine Frau kaufen würde. Vielleicht einen, der ihrem Ring ähnlich war. Etwas derart Schönes hatte ich noch nie gesehen. Sie lächelte und sagte, ich sollte unbedingt den Laden ihres Ehemannes besuchen.
Am nächsten Vormittag kaufte ich beim Goldschmied „Vido“ einen sehr schönen Ring für meine Frau. Ich lud ihn auf einen Kaffee in der Gegend ein. Er freute sich über die Einladung. Wir tranken einen Kaffee und dann noch einen Schnaps. Wir unterhielten uns gut. Er wollte bezahlen, aber das ließ ich nicht zu. Während ich seine Hand festhielt, um ihn daran zu hindern, das Geld aus der bereit gehaltenen Geldtasche zu nehmen, sagte ich zu ihm: „Erlauben Sie mir, Sie einzuladen. Ich habe einen wunderbaren Ring für meine Frau gekauft. Sie sind ein Künstler.“
Vido ließ sich umstimmen, aber beim Abschied schlug er vor, dass wir uns später in einem Restaurant treffen sollten, wo er gerne mit seiner Frau hinging, und dort einen guten Wein trinken sollten. Diesmal würde er mich einladen. Ich kannte das Restaurant. Auf dem Weg zum Hotel „Argentina“, wo ich einige Tage zuvor abgestiegen war, kam ich immer dort vorbei. Ich nahm seine Einladung an.
Am Abend im Restaurant unterhielt ich mich sehr angeregt mit dem Goldschmied und seiner Frau, bei einem guten Wein. Später stieß die wunderschöne Tochter zu uns. Ich sagte: „Ihre Tochter ist so schön wie der Ring, den ich heute Morgen für meine Frau gekauft habe.“
„Darauf trinken wir noch ein wenig Wein“, sagte der stolze Vido erheitert.
Am nächsten Tag klopfte jemand an die Tür meines Hotelzimmers. Ich machte auf und erblickte die schöne Tochter. Erstaunt stellte ich fest, dass nur eine einzige junge Frau so schön gewesen war, nämlich diejenige, die ich eines Nachts vor der Kirche kurz vor der Weihnachtsmesse, vor vielen Jahren, gefragt hatte, ob sie mich heiraten würde, und sie hatte „Ja“ geantwortet.
„Ich habe drei Vorschläge“, sagte die schöne junge Frau. „Erstens, wir können baden gehen. Zweitens, wir können auf der Terrasse einen Kaffee trinken. Drittens, wir können hier Liebe machen, in deinem Zimmer.“
„Das dritte kannst du gleich vergessen“, sagte ich lächelnd. Ich näherte mich der jungen Frau und küsste sie auf die Stirn. „Gehen wir auf die Terrasse, trinken einen Kaffee und schauen wir hinaus aufs Meer.“
Volksdeutsches Herz
Anfang November des Jahres neunzehnhundertvierundvierzig waren in der Stadt mehrere unregelmäßige Gewehrsalven zu hören, vom Fluss Nera her. Das sind die Partisanen, hieß es, die Maisfresser, so wurden sie von der lokalen Bevölkerung genannt, weil sie nie kämpften, sondern sich in den Maisfeldern und Wäldchen in der Umgebung versteckten, und außerdem waren sie erst dann zu Partisanen geworden, nachdem die Stadt schon befreit war, nachdem die russischen Soldaten in Richtung Deutschland durchmarschiert waren. Im Zuge dessen waren am Kanal bei der Mühle, in der Nähe der ersten Brücke, etwa dreißig Deutsche erschossen worden. Darunter befand sich auch ein junger katholischer Priester.
Die Deutschen stammten alle aus Karlsdorf, einem großen Dorf von Donauschwaben, etwa vierzig Kilometer entfernt. Diejenigen, die geschossen hatten, sagten auf dem Rückweg: „Das war für unsere Leute, die bei den Drei Kreuzen umgelegt wurden. Ja, das war für die Sache bei den Drei Kreuzen, für die hundertfünfzig von uns, die sie vor einem Jahr erschossen haben, verflucht sei ihre Schwabenmutter. Verflucht sei ihre volksdeutsche Mutter, sie gehören alle umgebracht, vertrieben, ihr Samen gehört vergraben. Kein einziger Schwabe soll je wieder im Banat umherstolzieren. Ihr Hitler soll sie ficken! Hoch lebe Genosse Tito! Hoch lebe Genosse Stalin!“
Da lagen sie, die Leichen kräftiger, gesunder Bauern, Tischler, Schneider, Schmiede, eines Arztes und fünf Frauen – sie alle hatten ihr Land, ihre Häuser, ihr Vieh nicht verlassen können, um sich den anderen Donauschwaben anzuschließen, die im September nach Deutschland, in ihre ursprüngliche Heimat, geflüchtet waren. Die Leichen lagen auf einem Haufen in einer Grube, und einige Zigeuner schleppten auf Befehl der Partisanen nasse Kieselsteine herbei, ausgebuddelt aus dem Fluss Nera.
Ein dreizehnjähriger Junge wurde nicht erschossen, man ließ ihn nach Hause gehen. Sein Vater flüsterte ihm auf Deutsch zu: „Hans, sie lassen dich gehen, geh nach Hause. Hinter dem Feld drüben sind die Eisenbahnschienen, wenn du ihnen folgst, bist du in ein paar Stunden in unserem Dorf.“ Der Junge schaute seinen Vater erschrocken an: „Und du? Ohne dich gehe ich nicht.“ Der Vater gab dem Jungen einen Kuss auf die Wange, dann auf den blonden Hinterkopf, und sagte: „Mein Sohn, geh nach Hause. Pass auf deine Mutter und deine Schwestern auf. Du bist jetzt der älteste Sonnleitner. Geh schon, beeil dich, bevor sie es sich noch anders überlegen.“
Der Vater streichelte seinem Sohn über den Kopf, drückte ihm fest auf die Schulter, dann versetzte er ihm einen leichten Stoß in den Rücken: „Geh schon, und dreh dich nicht um ...“
Der Junge ging los, er drehte sich nicht um. Er gehorchte seinem Vater.
Der Deutsche nickte zu dem Partisanen, der ihn aufgefordert hatte, seinen Sohn nach Hause zu schicken: „Du bist ein guter Mann. Ich danke dir. Du hast meinen Sohn gerettet.“
Der Partisane sagte leise: „Du hast lange auf ihn gewartet. Du hast drei Töchter, sie sind älter als der Kleine.“
„So ist es“, sagte der Gefangene überrascht. „Woher kennst du mich?“
Der Partisane schaute den Deutschen an: „Ich weiß nicht, ob dein Kleiner Haus und Hof retten kann, die Zeiten sind schlimm, aber seinen Nachnamen wird er retten ... vor einigen Jahren war ich in deinem Dorf, auf der Durchreise. Es war im Winter. Kein Schnee, aber Frost. Ich hatte einen Platten am Fahrrad. Keine Hilfe, ich kannte niemanden dort. Du hattest mich gesehen und nahmst mich mit nach Hause. Vor deinem Haus hast du meinen Reifen geflickt. Du brachtest eine Flasche Wein aus dem Keller, damit ich vom Sandwein koste. Dem Kleinen sagtest du, er soll mir ein Glas aus der Küche bringen. Als ich weiterfuhr, gabst du mir die Flasche mit, damit der Wein mich unterwegs wärmte.“
*
Im Jahr 1970 ist der fünfundzwanzigjährige Slobodan Dakić einer von den vielen jugoslawischen Gastarbeitern in Westdeutschland. Er arbeitet bei Siemens und ist mit seiner Arbeit und seinem Gehalt zufrieden. Er wohnt in einer kleinen Wohnung mit zwei anderen Maurern und einem Schlosser. Sein Plan ist es, drei, vier Jahre zu arbeiten,