Wertschätzende Organisationsentwicklung. David Schneider
Читать онлайн книгу.und Muster in uns.
Das Hinterfragen der eigenen Gedanken und Werte hat einen wesentlichen Anteil an der erfolgreichen Gestaltung von zukunftsfähigen Organisationsmodellen. Hierarchische Formen werden zunehmend abgelöst von autonomen und eigenständigen Systemen. Diese erfordern das Erkennen sowie Ablegen von alten Denkmustern. Durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung verbessern wir nicht nur unsere Selbsteinschätzung, sondern erhöhen auch das Verständnis für Kollegen, Vorgesetzte und Mitarbeiter.
Über erfolgreiche Entwicklungsschritte entscheidet langfristig kein bestimmtes Tool, sondern die Haltung desjenigen, der davon Gebrauch macht. Eine Führungskraft, welche im Inneren humanistisch überzeugt ist, handelt aus sich heraus ganz automatisch wertschätzend und dialogisch. Sie findet schneller einen wirklichen Zugang zu Mitarbeitern und kann organisationale Veränderungen passgenauer realisieren.
Liegt der innere Fokus der Führungskraft wiederum auf einem rationalen, ergebnisorientierten Wirtschaftsdenken, werden Werkzeuge der Unternehmensentwicklung voraussichtlich für die immer wieder gleichen Profitabsichten angestoßen. Entwickeln die Mitarbeiter den Wunsch nach mehr Sinn ihrer Arbeit, kann diese Art der Führung zwischenmenschliche Hindernisse entstehen lassen und im schlimmsten Fall wichtige Erkenntnisse verhindern. Daraus könnte eine verminderte Produktivität resultieren, sodass dann auch an Wirtschaftlichkeit orientierte Führungskräfte ihre Herangehensweisen neu justieren. Dieser Umweg lässt sich aber durch eine reflektierte Haltung sparen.
Da unsere Haltung in unserer persönlichen und individuellen Vergangenheit ihren Ursprung findet, beschäftigen sich allen voran Entwicklungspsychologen mit der Haltungsentwicklung. Auf den folgenden Seiten erläutern wir zwei wesentliche Haltungs-Modelle, welche auf den Erkenntnissen unterschiedlicher entwicklungspsychologischer Thesen fußen. Mit diesen Grundlagen möchten wir Ihnen vor allem Denkanstöße geben, um Ihre eigene Haltung zu hinterfragen und diese besser einordnen zu können.
Wesentliche Bausteine
Spiral Dynamics: Die Spirale der Entwicklung, des Management-Beraters Don Beck geht auf das erkenntnistheoretische Modell von dem Professor für Psychologie Clare W. Graves (*1914 bis †1986) zurück (Beck, 2007). Jede der neun Stufen beinhaltet typische Denk- und Verhaltensmuster, welche sich sowohl auf individueller Ebene als auch in ganzen Gesellschaften wiederfinden.
Beck geht davon aus, dass wir die nächste Stufe nur beschreiten können, wenn wir die aktuelle Stufe schon leben und dort an die Grenzen unserer Denk- und Handlungsmuster gelangen. Die „aus der Not heraus“ entstehenden Wandlungsprozesse führen zum Einnehmen von neuen Perspektiven, mit deren Hilfe die „alten“ Probleme lösbar werden. Die Flächen innerhalb des Modells werden immer breiter, da jede weitere Stufe die Erfahrungen und Möglichkeiten der vorherigen vereint.
Uns dient die Spirale der Entwicklung (Spiral Dynamics) vor allem dazu, die Erkenntnis über die schrittweise Entwicklung von Organisationskulturen voranzutreiben. Während die ersten Stufen voraussichtlich noch Formulierungen nutzen wie „Um Geld zu verdienen, nehmen wir jeden Kunden an“ oder „Die machen wir fertig“, stehen in den mittleren und weiteren Stufen vielmehr Zusammenarbeit und Werte im Vordergrund.
Haltungen nach Permantier: Er beschreibt sechs aufeinander aufauende Haltungen, welche uns Impulse geben können für den eigenen Entwicklungsprozess (Permantier, 2019).
1 1. Selbstorientiert-Impulsiv #KampfDiese Haltung kennen wir von Momenten, in denen wir sehr wütend sind. Dann sind wir sehr stark auf uns fixiert und egoistische Monologe sind die Folge. Empathie ist fehl am Platz. Das Zurückgreifen auf alte „Überlebens“ -Muster verhindert das Einbeziehen des Gegenübers. In der heutigen Gesellschaft ist ein Rückfall in solch eine Haltung nicht selten von unbewusster Angst begleitet.
2 2. Gemeinschaftsbestimmt-Konformistisch #StammesdenkenRegeln spielen eine große Rolle. Die Gemeinschaft ist zwar gewollt, dient jedoch vielmehr den eigenen Bedürfnissen der Sicherheit und der Zugehörigkeit. Ein Wir-Gefühl bleibt ungenutzt. Glaube ist ein Grundbestandteil dieser Haltung − ob an Gott oder an das, was der Chef sagt. Was von „oben“ kommt, ist Gesetz und wird mit verallgemeinerten Floskeln aufrechterhalten und vermittelt. „Man soll …“ und „Man darf nicht …“ sind typische Phrasen.
3 3. Rationalistisch-Funktional #Logik&EffizienzAuf dieser Ebene versuchen wir Auswertbarkeit und rationale Vergleichbarkeit zu erlangen. Fair sollte die Welt sein. Wir bewerten allerdings fortlaufend andere Menschen und Fehler sind verpönt, auch die eigenen. Wir handeln und entscheiden dadurch eher fremdbestimmt.
4 4. Eigenbestimmt-Souverän #Ichbin’s!Der Blick wandert wieder auf uns selbst, auf unsere Ziele und Wünsche. Wir wollen besonders sein − einzigartig. Es zählt die eigene Erfolgsstory, welche gerne regelmäßig inszeniert wird. Selbstoptimierung gilt als Must-have. Wir leben von der Anerkennung und genießen die Aufmerksamkeit für unsere Erfolge. Durch die stark ausgeprägte Ich-Fixierung bleiben tiefe emotionale Beziehungen noch auf der Strecke.
5 5. Relativierend-Individualistisch #EmpathieIn dieser Haltung öffnen wir uns gegenüber der Außenwelt. Das Denken erweitert sich und meist wird auch die Sprache vielfältiger. Wir hinterfragen uns vermehrt und die eigene Reflexion bringt viele neue Erkenntnisse mit sich. Bisher durchlaufene Haltungen werden uns bewusst und eine Vereinigung wird angestrebt. Die eigene Souveränität bleibt erhalten, aber wir erlauben uns eine höhere Vielfalt in uns selbst und in anderen.
6 6. Systemisch-Autonom #LiebendeNeugierWir werden fähig, die unterschiedlichsten Blickwinkel einzunehmen. Vielfalt und Unterschiedlichkeit empfinden wir als Bereicherung. Selbstverantwortliches Denken und Handeln stehen im Fokus. Globale und ganzheitliche Ziele treten in den Vordergrund. Wir selbst werden komplexer und sehen die vielfältige Außenwelt als Bereicherung an.
Gedankenanstöße:
Multiperspektivität. Wenn wir das Modell von Permantier betrachten, wird deutlich, dass eine systemisch-autonome Haltung erstrebenswert scheint. Multiperspektivität und das Bewusst-Werden über gemeinsame Verbindungen schaffen einen positiven Kern und erleichtern es Teams, selbstorganisiert und selbstbestimmt zu handeln. Menschen und Gemeinschaften mit solchen Eigenschaften können zusammen einen hochmotivie-renden Teamgeist entwickeln. Werden Werte und Ziele der einzelnen Menschen berücksichtigt und wertgeschätzt, entfalten sich Potenziale, welche Energien freisetzen und weitere Entwicklungen positiv beschleunigen.
Das Einnehmen einer solchen Haltung bedingt jedoch das Anerkennen der anderen, vorhergehenden Haltungen. Wir können uns nur mit der Zeit in eine solche erwünschte Haltung entwickeln, geboren werden wir aber alle mit einfachen Instinkten. In Organisationen werden immer Menschen mit unterschiedlichen Vorerfahrungen und Einstellungen zusammenkommen. Wir können nicht von jedem eine solche Entwicklung erwarten. Was wir aber können, ist diese Entwicklung zu fördern.
Grundbedürfnisse gehen vor. Je nach Lebensbereich kann sich unsere Haltung differenziert entfalten. Unterschiedliche Rollen und Umfelder können eine Haltung variieren oder rückentwickeln. Der eigene Joballtag mag hoch reflektiert sein, während mit dem Lebensgefährten regelmäßig in steinzeitlichen Auseinandersetzungen gestritten wird. Jeder Haltung liegen (Grund-)Bedürfnisse zugrunde und wenn diese fehlen, kann uns dies zurückwerfen. Wer hungert, braucht zuerst Nahrung, bevor er zum Empath werden kann.
Veränderung beginnt in uns. Permantier wählt hier bewusst eine zweiteilige Benennung der Haltungen: Systemisch-Autonom ermöglicht die Verbindung von Teamwork (systemisch) und selbstbestimmtem Entscheiden (autonom). Beide Seiten vereinigen sich in dieser Haltung. Die unvoreingenommene Wahrnehmung von Meinungen und Gefühlen der Mitarbeiter setzt die eigene Auseinandersetzung mit sich selbst voraus. Unreflektierte blinde Flecken in uns können es uns erschweren, wirklich offen zu sein. Ebenso machen wir ehrliche Wertschätzung nur langfristig spürbar, wenn wir uns selbst wertschätzen. Wie schon Michael Jackson formulierte, Veränderung beginnt immer in uns selbst.