Der Fall Jesus. Lee Strobel

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Der Fall Jesus - Lee Strobel


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gab noch ein paar Aspekte der Evangelien, die für mich unklar waren. Ich wollte vor allem das literarische Genre besser verstehen, das sie repräsentierten.

      „Wenn ich in eine Buchhandlung gehe, finde ich dort etwas völlig anderes als in den Evangelien“, sagte ich. „Wenn heutzutage jemand eine Biografie schreibt, beschäftigt er sich intensiv mit dem Leben eines Menschen. Aber schauen Sie sich das Markus-Evangelium an – er schreibt nichts über die Geburt Jesu oder seine Jugendzeit. Stattdessen konzentriert er sich auf einen Zeitraum von drei Jahren und verwendet fast die Hälfte seines Evangeliums darauf, die letzten Lebenstage Jesu zu schildern. Wie erklären Sie sich das?“

      Blomberg hob zwei Finger. „Es gibt zwei Begründungen“, erwiderte er. „Eine literarische und eine theologische.

      Die literarische Begründung ist, dass man in der Antike Biografien auf diese Weise schrieb. Damals hatte man nicht wie heute das Gefühl, dass es wichtig sein könnte, gleichermaßen auf alle Perioden im Leben eines Menschen einzugehen, seine Geschichte in chronologischer Reihenfolge zu erzählen oder jemanden wörtlich zu zitieren, statt nur sinngemäß wiederzugeben, was er gesagt hatte. Im Altgriechischen und Hebräischen gibt es nicht einmal ein Symbol für direkte Rede.

      Man sah damals nur einen Grund für die Aufzeichnung von Geschichte: Man konnte etwas von den Menschen lernen, deren Leben beschrieben wurde. Deshalb gingen die Biografen vor allem auf die Lebensabschnitte ausführlich ein, die Vorbildcharakter hatten, besonders anschaulich waren, anderen Menschen helfen oder einer Epoche Sinn geben konnten.“

      „Und wie lautet die theologische Begründung?“, fragte ich.

      „Sie folgt aus dem Punkt, den ich gerade genannt habe. Christen glauben, dass das Leben und die Wunder Jesu zwar ganz toll waren, dass sie aber bedeutungslos sind, wenn Tod und Auferstehung Jesu nicht geschichtlich belegt sind und dadurch Sühne oder Vergebung für die Verfehlungen der Menschen nicht möglich ist.

      Aus diesem Grund widmet wohl auch Markus, der Autor des ältesten Evangeliums, annähernd die Hälfte seines Berichtes der letzten Lebenswoche Jesu, die in Tod und Auferstehung gipfelt.

      Wenn man die Bedeutung der Auferstehung bedenkt“, schloss er, „passt das perfekt zum antiken Geschichts- und Literaturverständnis.“

      Das Geheimnis von Q

      „Was genau ist ‚Q‘?“, fragte ich Blomberg.

      „Genau genommen nur eine Hypothese“, antwortete er und lehnte sich wieder gemütlich in seinem Stuhl zurück. „Mit wenigen Ausnahmen besteht sie einfach aus Reden und Lehren Jesu, die in einem unabhängigen, separaten Dokument zusammengefasst gewesen sein könnten. Wissen Sie, es war damals gängige Praxis, die Reden geachteter Lehrer zu sammeln, so wie wir heute die besten Songs eines Musikers in einem ‚Best of‘-Album zusammenstellen. Die Quelle ‚Q‘ könnte so etwas gewesen sein. Zumindest sieht so die Theorie aus.“

      Doch wenn Q schon vor Matthäus und Lukas existiert hatte, würde sie frühes Material über Jesus enthalten. Vielleicht, dachte ich, wirft das ein neues Licht auf Jesus.

      „Noch eine Frage“, sagte ich. „Was für ein Bild von Jesus bekommt man, wenn man das Material von Q isoliert betrachtet?“

      Blomberg strich über seinen Bart und starrte einen Moment lang an die Decke, während er über die Frage nachdachte. „Nun, Sie müssen berücksichtigen, dass Q eine Sammlung von Zitaten Jesu war und ihr deshalb das narrative Material fehlt, das uns ein vollständigeres Bild von Jesus geben könnte“, erwiderte er. Er sprach langsam und wählte jedes Wort sorgfältig.

      „Doch trotzdem sind sehr starke Behauptungen Jesu dort aufgezeichnet, etwa, dass er die personifizierte Weisheit sei und derjenige, durch den Gott die Menschen richten werde, je nachdem, ob sie sich zu ihm bekennen oder ihn ablehnen würden. Der Autor eines wichtigen wissenschaftlichen Werkes zog vor Kurzem den Schluss, dass man dasselbe Bild von Jesus wie in den Evangelien findet, wenn man die Zitate aus Q isoliert betrachtet: Man findet jemanden, der sehr kühne Behauptungen über sich selbst aufstellt.“

      Ich wollte es noch genauer wissen. „Würde man ihn auch als einen Wundertäter sehen?“, fragte ich weiter.

      „Auch hier gilt wieder“, antwortete er, „dass man nicht viele Wundererzählungen an sich findet, weil sie eher narrativ sind und Q eben überwiegend eine Liste aus Zitaten ist.“

      Er hielt inne, griff über seinen Schreibtisch, nahm eine in Leder gebundene Bibel in die Hand und blätterte durch ihre abgegriffenen Seiten.

      „Aber im Lukas-Evangelium, Kapitel 7, Verse 18 bis 23 und im Matthäus-Evangelium, Kapitel 11, Verse 2 bis 6 heißt es, dass Johannes der Täufer seine Boten sandte, um Jesus zu fragen, ob er wirklich der Christus war, der Messias, auf den sie warteten. Jesus antwortete ihnen in etwa: ‚Sagt ihm, dass er auf meine Wunder achten soll. Sagt ihm, was ihr gesehen habt: Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Tauben hören, den Armen wird die gute Nachricht gepredigt.‘

      Selbst in Q findet man also ein klares Bewusstsein der Wunder Jesu“, schloss er.

      Als Blomberg Matthäus erwähnte, erinnerte mich das an eine andere Frage. Wie passten die Evangelien zusammen?

      „Warum“, fragte ich, „sollte Matthäus – von dem behauptet wird, dass er Augenzeuge war – Teile eines Evangeliums von Markus, der kein Augenzeuge war, in sein Evangelium integrieren? Wenn das Evangelium von Matthäus wirklich von einem Augenzeugen geschrieben wurde, dann sollte man doch annehmen, dass er sich auf seine eigenen Beobachtungen verlassen würde.“

      Blomberg lächelte. „Das macht nur Sinn, wenn man davon ausgeht, dass Markus auf die Erinnerungen von Petrus zurückgreift“, sagte er. „Wie Sie selbst gesagt haben, gehörte Petrus zum inneren Kreis um Jesus und konnte auf diese Weise Dinge sehen und hören, die den anderen Jüngern verschlossen blieben. Also würde es auch für Matthäus Sinn machen, sich auf Petrus’ Version der Ereignisse zu verlassen, wie sie durch Markus überliefert wird.“

      Ja, dachte ich bei mir, das machte Sinn. Aus meinen Jahren als Zeitungsreporter fiel mir sogar eine Analogie ein. Ich erinnerte mich, wie ich einmal zusammen mit vielen anderen Journalisten den berühmt-berüchtigten politischen Patriarchen von Chicago, den verstorbenen Bürgermeister Richard J. Daley, umringt und mit Fragen zu einem Polizeiskandal bombardiert hatte. Er hatte ein paar Bemerkungen gemacht, bevor er in seine Limousine flüchtete.

      Obwohl ich Augenzeuge des Geschehens war, wandte ich mich sofort an einen Radioreporter, der näher bei Daley gestanden hatte, und bat ihn, sein Band zurückzuspulen, damit wir noch einmal hören konnten, was Daley gesagt hatte. Nur so konnte ich sichergehen, dass ich seine Worte korrekt aufgeschrieben hatte.

      Und das, so grübelte ich, war vermutlich genau das, was Matthäus mit Markus getan hatte. Obwohl er seine eigenen Erinnerungen als Jünger Jesu hatte, veranlasste ihn sein Wunsch nach korrekter Darstellung der Ereignisse dazu, auf Material zurückzugreifen, das direkt von Petrus aus dem inneren Kreis um Jesus kam.

      Die besondere Perspektive bei Johannes


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