APEX. Ramez Naam

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APEX - Ramez  Naam


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ihres eigenen Willens in die Prozessoren des Gehirns ihrer Tochter, reißt Teile des Bewusstseins ihrer Tochter heraus, die im Laufe ihres kurzen Lebens in ihrem Nanitennetz herangewachsen waren und nutzt sie zu ihren eigenen Zwecken.

      Um einen Agenten freizulassen. Einen Agenten der Rache. Einen Agenten der Wiederherstellung. Einen Avatar. Einen Vorboten. Einen Überbringer der Apokalypse.

      Und als die Erinnerung auf sie hereinbricht, kann Su-Yong den bitteren Geschmack der Wahrheit kosten. Das ist kein bloßer Albtraum. Nur die Realität schmeckt so bitter.

      Sie hat die ultimative Bestie des Krieges losgelassen. Und sie hat ihre eigene Tochter für diesen Zweck missbraucht.

      In der Stille ihres eigenen Geistes schreit Su-Yong Shu einen Schrei der Verzweiflung für die Welt. Einen Schrei der Verzweiflung für sich selbst. Den Schrei einer Mutter, die ihrer Tochter etwas Schreckliches angetan hat. Dem Wesen, das sie auf dieser Welt am meisten liebt. Einen Schrei wie sie ihn niemals zuvor geschrien hatte.

      In einer Kammer, die an ihr Quantencluster angrenzt, öffnet eine zweiundvierzig jährige indische Frau, die die letzten drei Jahre im Koma gelegen hatte, plötzlich ihre Augen und ihren Mund. Sie spannt jeden Muskel in ihrem Körper an, lehnt sich gegen jede Fessel und die medizinischen Monitore auf und stößt ebenfalls einen Schrei aus.

       17| SENATOR, WIR WURDEN ANGEGRIFFEN

      

       Montag, 05.11.2040

      »Senator Kim, wir wurden angegriffen.«

      Pryce beobachtete von der Seite aus die Konferenz, die John Stockton mit seinem Rivalen bei der Präsidentschaftswahl abhielt. Sie konnte Senator Stanley Kim und seinen Kampagnenmanager Michael Brooks auf dem Bildschirm erkennen. Hier im Weißen Haus saß General Gordon Reid, der Direktor der NSA mit dem zerklüfteten Gesicht, neben Stockton. Wie üblich in voller Uniform.

      Auf dem Bildschirm legte Stanley Kim in Chicago seine Stirn in Falten.

      »Wovon sprechen Sie da?«, fragte der Senator.

      »General?«, fragte Stockton und drehte sich zu dem Direktor der NSA.

      General Reid räusperte sich. »Senator Kim, Mister Brooks, die Informationen, die Sie gleich erhalten werden, unterliegen der höchsten Geheimhaltungsstufe. Der Präsident hat sich entschieden, es dem amerikanischen Volk nicht bekannt zu machen. Jedoch hat er mich dazu befugt, diese Informationen unter der Voraussetzung, dass Sie sie nicht weitergeben, mit Ihnen zu teilen.«

      »Ich werde täglich von der CIA unterrichtet, General«, antwortete Kim.

      »Dies unterliegt einer strengeren Geheimhaltung«, sagte Reid.

      »In Ordnung.« Kim nickte. »Ich habe verstanden. Ich werde es nicht weitergeben.«

      Sein Kampagnenmanager meldete sich zu Wort. »Ich schließe mich dem an.«

      Der Direktor der NSA nickte. »Gut. Wir haben Hinweise gefunden, dass das Haus-Sicherheitssystem von Direktor Barnes von einem chinesischen Militärangriff durchdrungen wurde. Genauer, von einer Intrusivsoftware des chinesischen Militärs, die von einer IP-Adresse in China gelauncht wurde. Obwohl sie beides versucht haben, zu vertuschen. Die Attacke ließ sein Haus blind und stumm werden. Die Schlösser, Alarmsysteme und Abwehrmaßnahmen wurden nur ein paar Stunden vor der Veröffentlichung des Videos mit seinem augenscheinlichen Tod ausgeschalten.«

      Was allerdings Holtzmans Tod nicht erklärte, dachte sich Pryce. Oder den Warren Beckers.

      Stanley Kim runzelte die Stirn. »Und warum erzählen Sie mir das?«

      »Senator«, sagte Stockton, »die Chinesen stecken hinter Max’ Tod. Sie haben das Haussystem ausgeschalten, haben ihn in ihre Gewalt gebracht und ihn dazu benutzt, Zweifel und Chaos zu säen. Das meine ich damit, wenn ich sage, wir wurden angegriffen.«

      »Ich weiß, wir haben unsere Differenzen«, fuhr Stockton fort. »Aber ich glaube auch, dass Sie ebenso ein Patriot sind, wie ich es bin. Ich werde der Welt nicht unterbreiten, dass die Chinesen dahinterstecken, denn damit würden wir einen Vorteil verspielen. Aber ich will unser Volk wissen lassen, dass das Video, das sie gesehen haben, ein Schwindel war. Ein Betrug. Und dass es sich nicht um einen Mann gehandelt hat, der frei aus sich heraus gesprochen hat.«

      Auf dem Bildschirm schüttelte Stanley Kim den Kopf.

      Stockton drängte weiter: »Ich bitte Sie – als Patriot, wie ich einer bin – öffentlich auszusagen, dass Sie nicht glauben, dass Maximilian Barnes wirklich gemeint hat, was er in dem Video sagte. Dass Sie glauben, dass jemand böse Spiele treibt. Und dass wir, wenn wir seine Leiche finden – was wir werden – Hinweise dafür finden, dass er zu den Aussagen genötigt wurde. Lassen Sie nicht zu, dass unsere Feinde uns einfach so auseinanderreißen.«

      Auf dem Bildschirm war Stanley Kims Mund zu einer harten Linie geworden.

      »Warum sollte ich auch nur ein Wort davon glauben, was aus Ihrem Mund kommt?«, fragte er. Er zeigte mit seinem Finger auf John Stockton. »Oder aus Ihrem!« Er bewegte den Finger nun zu Gordon Reid, als ob er den NSA Direktor physisch über die tausende von Kilometer hinweg, die zwischen ihnen lagen, damit durchbohren könnte.

      »Senator«, sagte der General, »wir lassen Ihnen gerne die forensischen Belege zukommen …«

      »Belege?«, fragte Stanley Kim. Sein Gesicht färbte sich rot. »Sprechen wir über eine parallele Konstruktion? Eine schamlose Erdichtung? Oder haben Sie einfach Kontext weggelassen, bis genau das herauskommt, was Sie wollen?«

      »Senator«, sagte Reid, »es ist meine professionelle Meinung …«

      »Und es ist meine professionelle Meinung, dass Sie ein professioneller Lügner sind«, sagte Stanley Kim, während sein Finger immer noch auf Reid deutete. »Ich traue Ihnen kein Stück. Ich habe Sie über Jahre hinweg »aufwärts« sagen hören, wenn alle Fakten für »abwärts« sprachen.«

      Er lehnte sich nun näher zum Bildschirm hin. »Warum zur Hölle sollte ich auch nur irgendwas von dem was Sie sagen glauben, nachdem Sie Jahrzehnte lang ungestraft den Kongress belogen haben?«

      »Senator!«, sagte John Stockton in einem scharfen Ton.

      Kim wendete sich nun wieder Stockton zu.

      »Wir spielen hier keine Spielchen«, sagte Stockton. »Wir werden angegriffen, Senator. Geben Sie unseren Feinden nicht die Genugtuung …«

      »Sie sind der Feind, Mr. Präsident«, sagte Stanley Kim und lehnte sich zurück. »Sie sind derjenige, der gegen das Gesetz verstoßen, das Land getäuscht, Kinder gefoltert und uns alle auf die Vergangenheit hat schauen lassen anstatt in die Zukunft. Sie haben Ihr Land in der schlimmsten Art und Weise hintergangen, die überhaupt möglich ist. Ich werde die Wahl morgen gewinnen. Und denken Sie bloß nicht, dass es irgendwelche präsidialen Begnadigungen geben wird, wenn die Staatsanwälte Sie und Ihre Arschkriecher an die Wand nageln.«

      Kim winkte zum Abschied und Brooks, sein grimmig dreinschauender Kampagnenmanager, streckte seine Hand nach vorne aus. Der Bildschirm wurde schwarz.

      Greg Chase beugte sich Pryce zu und flüsterte ihr ins Ohr: »Vielleicht war es keine so gute Idee gewesen, für diese Art von Publikum die NSA anzuführen.«

      Pryce schüttelte ganz leicht den Kopf. Es wäre ohnehin niemals gut gegangen.

      Larry Cline, der Kampagnenmanager des Präsidenten meldete sich zu Wort: »Mr. Präsident, es ist noch nicht zu spät, sich mit dem chinesischen Angriff an die Öffentlichkeit zu wenden. Das amerikanische Volk verdient völlige Kenntnis, wenn es sich an die Wahlurnen macht.«

      Chase erhob seine Stimme: »Ich stimme Larry zu, Mr. Präsident. Wir müssen die Fakten auf den Tisch legen.«

      Stockton sah sie an und schüttelte seinen Kopf. »Nein. Ich werde unsere Sicherheit dafür nicht gefährden. Wir werden die


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