Mami Staffel 8 – Familienroman. Lisa Simon
Читать онлайн книгу.und würde weitersuchen, Abend für Abend.
Später, als das Gespräch längst beendet war, stellte sich Julia vor, was Roland und Marion wohl gerade taten. Während sie hier saß und sich die Augen aus dem Kopf heulte, turtelten die beiden Frischverliebten wahrscheinlich herum und hatten anscheinend ihren gemeinsamen Sohn total aus ihrem Gedächtnis gestrichen.
Wie hatte Julia sich bloß so in Roland täuschen können? Sie hatte ihn als verantwortungsvollen Mann eingeschätzt und sich nicht träumen lassen, daß er sich von einer oberflächlichen Person wie Marion umgarnen lassen könnte. Das paßte einfach nicht zu ihm – aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein, weil sie nicht glauben wollte, was Tatsache war…
*
Die Kriminalpolizei hatte den Fall inzwischen übernommen, und Julia mußte genau wie die anderen Betreuerinnen dieselben Fragen noch einmal beantworten, die schon Ellen Langner und deren Kollegin gestellt hatten. Der Kripobeamte Geißler war nicht so freundlich und mitfühlend wie Ellen, sondern wirkte recht brummig, er ließ in den endlosen Befragungen immer wieder durchscheinen, daß das Waisenhaus nicht nur die Verantwortung trug, sondern auch schuld daran war, daß der Junge ›fliehen‹ konnte, wie er sich ausdrückte.
»Na, hören Sie mal!« rief Bärbel Clasen empört. »Ein Waisenhaus ist doch kein Gefängnis. Die Kinder sollen nicht eingesperrt sein, sondern sich soviel wie möglich frei entfalten können. Es ist schon schlimm genug, daß sie ohne Elternliebe aufwachsen müssen.«
»Nun regen Sie sich doch nicht auf, gute Frau«, sagte Geißler in etwas versöhnlicherem Ton. »Sie müssen doch aber selber zugeben, daß Sie es bisher mit den Sicherheitsvorkehrungen nicht allzu genau genommen haben.«
»Bisher war dies auch nicht nötig«, verteidigte sich die Heimleiterin. »Glauben Sie, mir tut es nicht schrecklich leid, was passiert ist? Ich würde alles dafür tun, wenn ich die Uhr zurückdrehen könnte!«
Julia legte beruhigend ihre Hand auf Frau Clasens Schulter. Auch sie war mit den Nerven am Ende; die endlosen Verhöre, dazu die Sorge um Kevin – das war einfach zuviel für die Frauen vom MARIENKÄFER. Aber sie begriffen natürlich auch, daß Geißler sie nicht unnötig quälen wollte, sondern nur herauszufinden versuchte, ob eventuell ein wichtiger Hinweis versehentlich übergangen worden war.
Bärbel Clasen zitterte vor innerer Erregung, als Geißler endlich das Heim verlassen hatte. »Dieser Kerl bringt mich noch zur Weißglut!« stieß sie hervor. »Wieso habe ich bei jeder Frage von ihm das Gefühl, ein Verbrecher zu sein?«
»Das scheint seine liebenswürdige Art zu sein«, mischte sich Diana ein. »Mich hat er so ausgequetscht, daß ich anfing zu weinen!«
»Und ich hätte ihm am liebsten die Augen ausgekratzt«, fügte Marianne hinzu, die vor ein paar Tagen ihren Dienst wieder aufgenommen hatte. »Aber ich habe gehört, daß er ein sehr fähiger Kriminalbeamter ist. Wenn sich Kevin irgendwo hier aufhält, ist es Geißler, der ihn findet.«
»Suchst du immer noch nach dem Jungen?« fragte Diana und sah Julia mitleidig an. Auch sie hatte bemerkt, daß die Freundin stiller als sonst war – und sie wußte auch, daß dieser Zustand mit einer gewissen Marion Seifert zusammenhing. Aber sie hütete sich davor, Julia zu sagen, was sie von Kevins sogenannter Mutter hielt. Sollte sie nur denken, daß niemand von den Kolleginnen bemerkt hatte, wie sehr Julia in Roland Westermann verliebt war…
*
Nachdenklich betrachtete Waltraud Schröder den schlafenden Jungen mit der schwarzen Katze im Arm. Sorgfältig zog sie die Decke etwas höher, denn die Nächte in dem alten Haus waren kühl. Dann schlich sie vorsichtig aus dem Zimmer und schloß leise die Tür.
Merkwürdig, daß Kevin nie etwas von seinen Eltern oder von Heimweh nach ihnen erzählte. Es schien, als habe er sie vergessen während der Zeit, die er bei ihr lebte. Machten sich denn Kevins Eltern nicht langsam Sorgen um ihren Sohn? Oder waren sie noch immer im Urlaub, wie der Junge behauptet hatte?
»Komische Leute müssen das sein, nicht wahr, Luzifer?« Frau Schröder nahm den getigerten Kater hoch und strich ihm über das seidige Köpfchen. »Da mache ich mir ja mehr Sorgen um euch als diese Eltern von Kevin. Na komm, laß uns schlafen gehen, morgen haben wir viel im Garten zu tun…«
*
Bärbel Clasen sank erschöpft in ihren Bürosessel zurück. Wieder einmal hatte Kommissar Geißler der Heimleiterin einen seiner unbequemen Besuche abgestattet und sie mit Fragen gelöchert. Fast tat er so, als würde es sie völlig kalt lassen, was mit dem Kind geschehen war – aber jeder im MARIENKÄFER wußte, daß dies nicht stimmte.
Vor ein paar Tagen hatte sogar Marion Seifert die Dreistigkeit besessen, Bärbel Clasen für die Vorkommnisse verantwortlich zu machen – ausgerechnet die Frau, die bis vor kurzem vergessen hatte, jemals ein Kind zur Welt gebracht zu haben!
Diana ging es besser, nachdem sie sich regelmäßig mit Dr. Jäger traf, aber sie litt weiterhin unter Schlaflosigkeit und Nervosität. Marianne ging es nicht besser.
Am meisten hatte es wohl Julia erwischt. Schlimm genug, daß ihr Liebling, um den sie sich mehr Gedanken als um die anderen Kinder gemacht hatte, einfach davongelaufen war – sie hatte so schnell den Mann verloren, den sie liebte, wie sie ihn gefunden hatte!
Diese Marion Seifert machte sich keine Sorge um Kevins Verbleib, das hatte Bärbel Clasen in dem Moment gewußt, als die Frau das erste Mal vor ihr stand. Doch die Blicke, die sie bei ihrem letzten Besuch im Heim immer wieder Roland Westermann zugeworfen hatte, sagten alles. Schade, daß er auf das dumme Theater hereinfiel, er war ein sympathischer junger Mann. Die ruhige Julia würde viel besser zu ihm passen; mit ihr würde er keine Enttäuschung erleben. Aber in dieser Beziehung schienen die Männer ja alle blind zu sein!
Bärbel Clasen schrak zusammen, als unvermittelt das Telefon läutete. Sie nahm erst beim dritten Klingeln ab und hoffte, daß es nicht wieder Kommissar Geißler war.
Doch es war der Hausmeister, der um Rat fragte, was man mit dem kleinen Kätzchen machen sollte, das seit Stunden auf dem Gelände herumirrte. Die Kinder waren begeistert und bettelten, es behalten zu dürfen.
»Oh, das geht auf keinen Fall, Herr Braun. Sie kennen doch die Vorschriften!«
»Selbstverständlich, aber was soll mit dem Tierchen denn passieren?«
»Wo ist es denn jetzt?«
»Hinten im Garten. Da, wo die Schaukeln stehen. Die Kinder sind wie besessen von dem Winzling.«
»Na, denn werde ich wohl selbst mal nachschauen.«
Tatsächlich fand Frau Clasen im hinteren Teil des Gartens eine Ansammlung von größeren und kleineren Kindern, die teilweise gebückt dahockten. Als Bärbel Clasen hinzutrat, erhoben sich einige Kinder.
»Sehen Sie nur, wie niedlich das Kätzchen ist!«
»Es hat bestimmt keine Eltern mehr – genau wie wir.«
»Ja, dann kann es doch auch hier leben, oder?«
Die Heimleiterin bückte sich jetzt ebenfalls und nahm das schwarz-weiß gefleckte Tierchen hoch. »Ach, die ist ja wirklich süß! Wann habt ihr sie denn entdeckt?«
»Das war ich!« meldete sich der rothaarige Sascha zu Wort. »Ich habe sie vorgestern hier entdeckt – und jetzt kommt sie jeden Tag wieder. Ich glaube, es gefällt ihr bei uns.«
»Hm, und ich glaube eher, es gefällt ihr, daß ihr sie füttert. Das tut ihr doch, oder?« Bärbel Clasen sah mit gespielt strenger Miene ein Kind nach dem anderen an.
»Nur hin und wieder ein paar Essensreste aus der Küche«, sagte Sascha. »Bitte, Frau Clasen, können wir das Kätzchen nicht behalten?«
»Ach, bitte!« echoten die anderen Kinder im Chor.
Seufzend setzte die Heimleiterin die kleine Katze wieder hinunter, wo sie sich hinsetzte und begann, ihr flauschiges Babyfell mit winziger Zunge zu bearbeiten.
»Ihr wißt doch ganz genau, daß ich euch das