Hopfenbitter. Alexander Bálly
Читать онлайн книгу.auf dem Hof – Malzkaffee und dick bestrichene Butterbrote mit Schnittlauch – hieß es: »Auf in den Hopfengarten!« Der Anhänger des Traktors wurde mit einem Haufen Ausrüstung beladen, und dann rumpelte er hinaus, gefolgt von einer schnatternden Schar Arbeiter.
»Hast du dein Pflaster dabei?«, fragte Eleonore ihre Freundin.
»Ja, freilich.« Franziska hatte in München noch eine große Rolle mit breitem Hansaplast gekauft, wie Eleonore es ihr geraten hatte. »Aber wofür brauch ich es denn?«, wollte sie wissen.
»Wou kummst denn her, Kind? Aos da Stodt g’wieß. Da houn s’ woul koan Hopfa ned«, mischte sich eine dicke Frau ein und lachte. Wenn sie sprach, klang ihr breiter Oberpfälzer Dialekt ein wenig wie das Gebell eines freundlichen Hundes. Später lernten sie die immer gut gelaunte Kameradin kennen. »Leopoldine haiß i, dearfsch oba Poldi song«, stellte sie sich vor.
»Das Pflaster schützt die Händ a bisserl«, kam Eleonore auf die Frage zurück. »Weißt, der Hopfen ist keine sehr angenehme Pflanze.«
Das war eine gelinde Untertreibung, fand Franziska bald. Ein paar Minuten später saß sie mit den anderen am Hopfengarten auf einem Schemel, vor sich zwischen den Beinen einen großen Spankorb und eine Hopfenranke auf dem Schoß. Den Daumen und Zeigefinger hatte Eleonore ihr mit einem Stück Pflaster abgeklebt, und sie war froh für diese Hilfe. Nur gestandene Bäuerinnen mit hornigen, eisenholzharten Händen fassten hier ohne die Schutzmaßnahme zu.
»Geh, Franzi!«, tröstete Leopoldine. »Des hao ma olle leana miassen! Do is nou a jede mit z’rechtkumma.«
Schon die erste Hopfenranke hatte Franziska gelehrt, wie gemein die Pflanze war. Alles an ihr – bis auf die Dolden – war hart. Was immer sie anfasste, die Stängel und sogar die gefingerten Blätter, so ziemlich alles war erstaunlich stachelig. Das Pflaster half, dass es ihr nicht die Haut aufriss, wenn sie zupackte. Wogegen es nicht half, und was Franziska bald sehr lästig fand, waren die Hafthaare an den Stängeln. Als Schlingpflanze, die etwas braucht, um nach oben zu ranken, benutzte der Hopfen diese groben Haare, die kaum weniger stachelig waren als die eigentlichen Stacheln selbst.
Nach einer Stunde besah sich Franziska ihre Hände. Sie waren wie von einer Schicht Pattex überzogen, und daran haftender Schmutz färbte die Finger schwarzbraun.
»Jessas, bekomm i den Dreck je wieder runter?«, fragte sie Leopoldine, die neben ihr arbeitete.
»Mit am Wasser und a Soafen geht’s schou ob. Ouwa tüchtig schrubben mousst halt. Blous wouzu? Morgen houst an Dreck ja glei wieder drauf. Des deppade Harz gehört halt douzua. Da Hopfen is eh a recht a garstiges G’wachs. Das oanzig weiche, wous a bisserl angenehm is, des san die kleinen Hopfadroin.«
Diese Dolden, die in dichten Trauben wie winzige grüne Tannenzapfen üppig an den Reben hingen, galt es abzuzupfen. Das war die Arbeit der Pflückerinnen. Die kleinen Zapfen waren der Schatz der Region. Ihretwegen hatte der Bauer einen Kredit für den teuren Stangengarten bei der Raiffeisenbank aufgenommen. Wegen dieser Dolden, den weiblichen Blütenständen, waren der Bauer oder seine Frau beinahe täglich herausgekommen und hatten immer wieder dafür gesorgt, dass es den Pflanzen an nichts fehlte.
Wegen dieser kleinen goldgrünen Zapfen beobachteten alle Bierbrauer die Nachrichten aus der Holledau. Wehe, es gab größere Einbußen in der Menge oder gar einen Einbruch in der Qualität! Dann stieg der Hopfenpreis, oder, weit schlimmer noch, es sank die Qualität des Bieres.
Die Bäuerin, die Leopoldine zugehört hatte, meinte: »Der Hopfen is a rechter Segen, aa wenn er sich garstig anlangt. In den Zapferl drin, da sitzt nämlich des Lupulin!«
Sie nahm eine Hopfenblüte und bog die Schuppen zurück. »Siehst die kleinen gelben Körnderl? Des san Drüsen, da sitzt das Lupulin. Das is was ganz Kostbares. Das is das Zeug, das das Bier bitter macht und dafür sorgt, dass es im Keller ned verdirbt und so gut schmeckt. Außerdem macht des Lupulin den Hopfen aa zu a wichtigen Heilpflanzen. Scho die Heilige Hildegard hat’s kennt. Beruhigen kann’s, und ma schlaft besser, wennst as bloß riechst. Viele stopfen an Hopfen in a klein’s Kissen und ham’s im Nachtkasterl. Wenn s’ ned schlafen können, dann holen s’ es raus. Und wenn’s mit der Verdauung ned klappt, oder wann einer keinen rechten Appetit ned hat, hat der Hopfen schon ganz oft die Sach g’richt.«
»Und g’scheid wous vadient ma ja aa am Hopfen!«, meinte Leopoldine und lachte.
»Da hast recht!« Auch Frau Bichler lachte. »I sag’s ja. A rechter Segen is der Hopfen!«
Diesen Segen aber musste man sich mit zerschundenen Händen erkaufen, und Franziska plagte sich sehr. Sie merkte bald, dass die anderen wesentlich schneller zupften als sie selbst. Es dauerte lange, bis sie ihre erste Hopfenkirn voll hatte. Doch niemand lachte sie aus, keiner bemitleidete sie oder war hämisch.
»Des hao ma olle leana miassen! Do is nou a jede mit z’rechtkumma«, ermunterte sie Leopoldine.
Auch wenn Franziska sich schinden und plagen musste, es war dennoch ein lustiges Arbeiten. Man saß locker zusammen, mehrere Pflücker teilten sich eine Rebe, und es wurde gescherzt, erzählt, gelacht und gesungen. Jeder reihum stimmte immer wieder Volks- und Liebeslieder an oder Moritaten, aber auch allerlei albernes Zeug wie das Lied vom Birnbaum, der drunt in der grünen Au wächst. Freche Lieder sangen sie auch, so zum Beispiel eines von einer Magd, die einen Floh am Fuß spürte und Strophe um Strophe das Tierchen immer weiter das Bein hinaufjagte.
Nach drei Stunden tat Franziska das Kreuz weh, und sie streckte sich, doch sie merkte, dass sie inzwischen viel schneller brockte und schon fast mit den anderen mithalten konnte. Natürlich nicht mit Theres aus Sendling. Sie war die Schnellste, aber sie arbeitete auch mit einem Ingrimm und einer Verbissenheit, die keiner sonst aufbrachte.
Von Zeit zu Zeit brachten die Pflückerinnen ihre vollen Kirn zum Hopfenmeister. Als sich Franziska mit ihren Körben aufmachte, war das die Bäuerin. Sie leerte sie in ein großes Blechmaß, den Metzen. Das war die Maßeinheit. Je nach Größe der Kirn brauchte es eineinhalb bis zwei Kirn für den Metzen, der sechzig Liter maß.
»Ah, die Franzi! Bist ja scho fleißig dabei! Und, g’fallt’s dir hier?«
»Ja, schon, Bäu’rin. Mit der G’sellschaft macht’s schon Spaß, und an den Hopfen g’wöhn ich mich scho noch.«
»Ist scho was anderes wie a Salat vom Markt oder was man in der Stadt sonst noch als Pflanzen kennt.«
Die Bäuerin fischte ein einzelnes Blatt mit einem Stängelrest aus den Dolden, mahnte Franziska, genauer zu arbeiten, und gab ihr dann für zwei Metzen zwei Blechmünzen.
»Die hebst auf, und wenn du gehst, am End von der Ernte, da rechnen wir ab.«
Franziska kehrte zurück zu ihrem Schemel und griff sich ein Stück von der nächsten Rebe, zog sie auf ihre blaue Schürze und begann zu zupfen, sang dabei oder erzählte Geschichten.
Zu Mittag brachte der älteste Sohn mit einem Traktor einen großen Korb mit Broten und ein paar Kisten Bier und Limo. Er war ein fescher Bursch, etwa siebzehn Jahre alt und sehr stolz, wie er da auf dem Schlepper saß. Am Nachmittag machte er den Hopfenmeister.
Bis zum Abend war Franziska eine echte Hopfenpflückerin und brauchte den Vergleich mit den anderen nicht mehr zu scheuen. Sie brauchte etwa eine Stunde und zehn Minuten für den Metzen. Das war ein ganz ordentlicher Wert. Eleonore brauchte ein paar Minuten weniger, Poldi brauchte ein paar Minuten mehr, und an die ehrgeizige Theres mit ihren etwa vierzig Minuten kam eh keiner heran.
Als es heim ging, war Franziska müde, verschwitzt und hungrig, aber bestens gelaunt.
»Tummelts euch mit dem Waschen!«, mahnte die Bäuerin. »Die Madl am Wasserhahn im Stall, die Mannsbilder am Schlauch hinter der Scheune! Schickts euch, dann seids schneller beim Abendessen!«
3
21. September – Samstag
»I hab amal nachgedacht«, meinte Wimmer. Es war ein kühler, sonniger Herbstmorgen, kurz vor halb neun und der zweite Tag, an dem die beiden Detektive