Vom Mann, der mit zwei Flaschen Whiskey den Untergang der Titanic überlebte. Giles Milton
Читать онлайн книгу.Eltern zurückbringen zu können. Doch die meisten der Erwachsenen waren in Treblinka ermordet worden. Die kommunistische Führung des Landes verfolgte Sendler lange Jahre wegen ihrer Verbindungen zu Polens Exilregierung, und es sollte bis ins Jahr 1965 dauern, dass ihr außergewöhnlicher Mut entsprechende Anerkennung erhielt. Sie wurde durch Yad Vashem mit dem Titel »Gerechte unter den Völkern« geehrt. Mit dem Ende des Kommunismus kam auch die Anerkennung im eigenen Land, und sie erhielt einige der höchsten Auszeichnungen Polens. 2007 wurde sie sogar für den Friedensnobelpreis nominiert, der am Ende jedoch an den ehemaligen amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore für sein Engagement gegen den Klimawandel ging.
Irena blieb ihr Leben lang bescheiden. Nach ihrer Arbeit gefragt, erklärte sie: »Jedes Kind, dessen Leben mit meiner Hilfe gerettet werden konnte, ist die Rechtfertigung meiner Existenz auf dieser Erde und kein Anspruch auf Ruhm.«
Teil IV
Als Stalin eine Bank ausraubte
An den meisten Tagen stand er erst spät auf und rasierte sich langsam in der Küche mit einem Rasiermesser. Er liebte seed toffee, und ich brachte ihm jeden Tag etwas davon.
Arthur Bacons Erinnerungen an damals, als er
1907 als dreizehnjähriger Junge Stalin während
dessen Aufenthalt in London bediente
Der rätselhafte Tod des Josef Stalin
Stalin fühlte sich nicht gut, was wohl an seinem ungewöhnlich hohen Blutdruck lag. Er klagte zudem über Schwindel. Doch sein Temperament war hitzig wie eh und je am Abend des 28. Februar 1953. Er hatte einige seiner engsten Vertrauten in seine Datscha in Kunzewo in der Nähe von Moskau geladen, und nach ein paar Gläsern wässrigen georgischen Weins ließ er sich über seinen Leibarzt aus, der ihm dringend geraten hatte, sein Amt als Generalsekretär aus gesundheitlichen Gründen niederzulegen. Dann weitete er seine Tirade auf die prominenten Moskauer Mediziner aus, die kürzlich im Rahmen der sogenannten Ärzteverschwörung unter fiktiven Anschuldigungen verhaftet worden waren und von denen Stalin forderte, dass sie ihre Schuld öffentlich bekannten.
Unter den Gästen in der Datscha an diesem Abend war auch Lawrenti Berija, einer von Stalins loyalsten Anhängern. Er war die schlechte Laune des »Woschd« gewohnt, aber als Stalin plötzlich das Feuer gegen die Anwesenden richtete, wurde er doch nervös. Stalin beschuldigte sie, in lange vergangenem Ruhm zu schwelgen, und begann vage, aber verhängnisvolle Drohungen gegen sie auszusprechen. Es bestand kein Zweifel: Berija und die anderen Gäste standen ganz oben auf seiner Abschussliste. Niemandem war es gestattet, die Datscha ohne Stalins Erlaubnis zu verlassen. Doch er hatte es nicht eilig, seinen Besuch loszuwerden, und setzte seine Tirade noch eine ganze Weile fort, wobei er ein Glas nach dem anderen trank. Als er den Männern schließlich erlaubte zu gehen, war es vier Uhr am Morgen des 1. März 1953.
Stalin blieb nicht allein in der Datscha zurück. In dieser Nacht befanden sich noch drei wachhabende Offiziere im Haus – Starostin, Tukow und Chustalew sowie der Stellvertretende Kommandant Peter Losgatschew. Letzterer sollte ein wichtiger Zeuge der folgenden Ereignisse werden.
Offiziellen Angaben zufolge sprach Stalin noch mit seinen Leibwächtern, bevor er sich in sein Zimmer zurückzog. »Ich gehe jetzt schlafen«, erklärte er ihnen. »Sie können sich auch hinlegen. Ich werde Sie nicht rufen.« Doch Peter Losgatschew erklärte später, er habe Stalin nie diese Worte sagen hören. Es war Chustalew, einer der drei Leibwächter (und ein enger Vertrauter Berijas), der die Nachricht von Stalin überbrachte. »Also, Freunde, hier kommt ein Befehl, den wir noch nie bekommen haben. Der Woschd hat gesagt: ›Geht alle ins Bett. Ich brauche nichts. Ich gehe auch ins Bett. Ich brauche euch heute nicht mehr.‹« Chustalew nahm Stalin beim Wort und verließ die Datscha kurz nachdem er dessen Nachricht überbracht hatte.
Am nächsten Morgen schlief Stalin sehr lange. Es schlug elf, dann zwölf, und die drei Männer, die im Haus geblieben waren, begannen sich Sorgen zu machen. Starostin sagte zu Losgatschew: »Irgendetwas stimmt da nicht. Was sollen wir tun?« Doch sie konnten nicht viel tun. Stalin hatte sehr deutlich gemacht, dass er niemals im Schlaf gestört zu werden wünsche, und den Männern war es ausdrücklich verboten, sein Zimmer zu betreten.
Sie warteten noch einige lange Stunden, bis irgendwann das Licht in Stalins Zimmer anging. »Wir dachten: Gott sei Dank, es ist alles in Ordnung«, erinnerte sich Losgatschew. Doch kein Geräusch drang aus dem Zimmer, und gegen elf Uhr am Abend machten die Männer sich wieder ernste Sorgen. Als wichtige Post vom Zentralkomitee abgegeben wurde, nutzte Losgatschew sie als Entschuldigung, um das Zimmer zu betreten. »Also gut«, sagte er. »Wünscht mir Glück, Jungs.« Er öffnete die Tür und starrte entsetzt auf Stalin, der in seinem eigenen Urin auf dem Boden lag, den rechten Arm von sich gestreckt. Er war bei Bewusstsein, jedoch benommen.
»Ich fragte ihn: ›Soll ich einen Arzt rufen?‹ Er machte ein unverständliches Geräusch – wie ›dsch… dsch…‹« Losgatschew rief Starostin, und gemeinsam legten die beiden Männer Stalin auf das Sofa, bevor sie Berija und Malenkow, ein wichtiges Mitglied des Zentralkomitees, der ebenfalls am Vorabend zu Gast gewesen war, benachrichtigten. Sie rechneten damit, dass die beiden Männer sofort kommen würden, doch ganze vier Stunden vergingen, bevor sie schließlich in der Datscha erschienen. Berija war ausgesprochen wütend, als er Stalin schließlich untersuchte.
»Was macht ihr für eine Panik? Der Woschd schläft.« Er befahl den Soldaten, Stalin nicht zu stören, und warnte sie, ihn nicht noch einmal rauszurufen. Losgatschew und Starostin nahmen die Dinge nun selbst in die Hand und unterrichteten mehrere Ärzte und weitere Mitglieder des inneren Zirkels darüber, was geschehen war. Als die Ärzte schließlich am Morgen des 2. März in der Datscha ankamen, ging es Stalin bereits seit mindestens dreizehn Stunden sehr schlecht. Mittlerweile spuckte er Blut und befand sich in einem extrem kritischen Zustand.
»Die Ärzte waren wie gelähmt vor Angst«, berichtete Losgatschew. »Sie starrten ihn an und zitterten. Sie mussten ihn untersuchen, aber ihre Hände zitterten zu sehr.« Schließlich kamen sie zu dem Ergebnis, dass der Woschd unter inneren Blutungen litt.
Als klar wurde, dass er sterben würde, rief man Stalins Tochter Swetlana Allilujewa herbei. »Seine Todesqualen waren schrecklich«, erinnerte sie sich. »Sein Blick war furchtbar – halb wahnsinnig, halb zornig und voller Todesangst.« Swetlana berichtete auch von Berijas euphorischer Reaktion, als Stalin schließlich am 5. März seinen letzten Atemzug tat. »Berija war der Erste, der auf den Korridor hinausrannte, und in die Stille des Flurs, wo alle schweigend versammelt waren, drang seine laute Stimme voller Triumph: ›Chustalew, hol den Wagen!‹« Das war ungewöhnlich für Berija, besonders in dieser Situation. Er war von den wichtigsten Mitgliedern aus Stalins engstem Kreis umgeben, doch der Erste, den er ansprach, war Chustalew, der Leibwächter, der seinen Kameraden mitgeteilt hatte, dass Stalin nicht gestört werden dürfe.
Eine mögliche Erklärung für Berijas Verhalten findet sich in Stalins Obduktionsbericht, der erst seit Kurzem einsehbar ist. Die Ärzte kamen zu dem Schluss, dass Stalin an Blutungen des Gehirns, des Herzmuskels und der Magenwände starb, und nahmen an, dass sein hoher Blutdruck zu diesen Blutungen geführt habe.
Doch moderne Analysen weisen auf eine andere Möglichkeit hin. Hoher Blutdruck mag sehr wohl die Hirnblutung ausgelöst haben, doch das hätte weder zum Erbrechen von Blut geführt, noch zu einer Blutung im Bereich des Magen-Darm-Traktes. Eine sehr viel wahrscheinlichere Ursache für solch innere Blutungen ist das geschmacklose und durchsichtige chemische Präparat Warafin, ein Gerinnungshemmer, der in den 1950er-Jahren gerade in Russland erhältlich wurde. Man vermutet, dass Lawrenti Berija seinem Boss am Abend des 28. Februar Warafin in dessen mit Wasser verdünnten Wein gegeben hat.
Berija hatte guten Grund für eine solche Tat, denn er fürchtete, der Nächste auf Stalins Abschussliste zu sein. Zudem erklärte er später dem inneren Kreis der Sowjets, dass sie ihm dankbar sein sollten, da er Stalin umgebracht habe. Ja, er protzte sogar gegenüber Wjatscheslaw Molotow, dem ersten Stellvertretenden Minister: »Ich habe ihn