Vom Mann, der mit zwei Flaschen Whiskey den Untergang der Titanic überlebte. Giles Milton

Читать онлайн книгу.

Vom Mann, der mit zwei Flaschen Whiskey den Untergang der Titanic überlebte - Giles  Milton


Скачать книгу
bekannt. Doch nach wie vor bleiben zahlreiche Fragen offen, die auch seine Söhne, von denen drei noch leben und in Amerika wohnen, nicht beantworten können. Williams Geschichte beginnt in Liverpool zur Zeit Georgs V. Adolf Hitlers Halbbruder Alois war 1911 dort hingezogen und hatte seine irischstämmige Geliebte Bridgit Dowling geheiratet, die schon bald darauf mit dem kleinen William schwanger wurde. Die Nachbarn nannten ihn Paddy Hitler.

      1914 verließ Alois seine Frau und seinen Sohn und kehrte nach Deutschland zurück. Zehn Jahre sollten vergehen, bevor er wieder mit Bridgit in Kontakt trat und sie bat, William zu erlauben, nach Deutschland zu kommen. 1929 reiste der Junge für kurze Zeit nach Deutschland, um seinen Vater zu besuchen, bevor er dann vier Jahre später noch einmal für längere Zeit zurückkehrte in der Hoffnung, von der Verbindung zu seinem Onkel, dem damaligen Reichskanzler, zu profitieren.

      Adolf Hitler besorgte ihm eine Anstellung in einer Bank und wenig später in der Automobilherstellung, eine Tätigkeit, die William abgrundtief hasste. Immer wieder drängte er seinen Onkel, ihm eine bessere Stelle zu besorgen, doch Hitler weigerte sich, seinem Neffen weiter zu helfen. Tatsächlich wurde William sogar auf Befehl seines Onkels gekündigt. Man beschuldigte ihn, heimlich Autos zu verkaufen und den Erlös in die eigene Tasche zu stecken.

      William begegnete Hitler auch weiterhin von Zeit zu Zeit, doch dieser gab sich nicht länger als der freundliche Onkel. »Ich werde nie das letzte Mal vergessen, als er nach mir geschickt hat«, schrieb William. »Als ich eintrat, war er außer sich vor Wut. Er lief auf und ab und schlug immer wieder mit einer Reitpeitsche in die Luft … er warf mir Beleidigungen an den Kopf und brüllte mich an, als würde er eine politische Rede halten. Seine rachsüchtige Brutalität an diesem Tag ließ mich wahrlich um meine körperliche Unversehrtheit bangen.«

      William erkannte, dass es an der Zeit war, Deutschland zu verlassen. Im Februar 1939 bestieg er ein Schiff in die Vereinigten Staaten. Bei Kriegsausbruch tourte er durch die USA und denunzierte seinen Onkel auf zahlreichen Vorträgen für dessen extravaganten Lebensstil. »Er liebt den Prunk«, berichtete er seinem Publikum, »und umgibt sich mit einem Luxus, der den eines jeden Kaisers noch übertrifft. Um seine neue Reichskanzlei in Berlin auszustatten, wurde jedes einzelne Museum in Deutschland um unbezahlbare Teppiche, Wandteppiche und Gemälde erleichtert.«

      Als die USA in den Krieg einstiegen, schrieb William an Präsident Roosevelt und bat ihn um die Erlaubnis, der US Army beitreten zu dürfen. Der Brief wurde ans FBI weitergeleitet, das ihm schließlich die Erlaubnis erteilte. Wie eine Zeitung berichtet, soll sein Musterungsoffizier ihn mit den Worten begrüßt haben: »Schön, Sie zu sehen, Hitler. Mein Name ist Hess.«

      Nach Kriegsende eröffnete William ein Labor, das im Auftrag von Krankenhäusern Blutproben analysierte. Als die Nürnberger Prozesse begannen, bemühte er sich, jegliche Verbindungen zu seiner Hitler-Vergangenheit zu eliminieren. Er änderte seinen Namen in William Stuart Houston und lebte mit seiner Frau, mit der er vier Söhne hatte, in Long Island.

      William starb 1987 und wurde anonym im selben Grab beerdigt, in dem auch seine Mutter liegt. Und hier hätte die Geschichte enden können, hätte nicht der amerikanische Journalist David Gardner angefangen über die Hitlers zu recherchieren. Er stieß auf die bizarre Geschichte von William Hitler und stellte fest, dass einige Mitglieder der Familie noch am Leben waren und in Amerika wohnten.

      Die Familie besteht darauf, dass William seinen Onkel bis an sein Lebensende gehasst hat, und verweist stolz auf seinen Kriegseinsatz gegen das nationalsozialistische Deutschland.

      Und doch bleiben offene Fragen: Warum hat William Hitler ausgerechnet Stuart Houston als neuen Namen gewählt, dessen Ähnlichkeit zu Hitlers Lieblingsautor, dem antisemitischen Houston Stewart Chamberlain, nicht zu übersehen ist? Und warum hat er seinen ältesten Sohn Alexander mit zweitem Namen Adolf genannt?

       Als Hitler kokste

      Die Injektionen begannen kurz nach dem Frühstück. Sobald Adolf Hitler seine Schüssel mit Haferflocken und Leinsamenöl geleert hatte, schickte er nach seinem Leibarzt Dr. Theodor Morell. Der Doktor krempelte seinem Patienten die Ärmel hoch, um ihm einen Drogen-Cocktail zu spritzen, dessen Inhaltsstoffe heutzutage vielfach als gefährlich, suchtfördernd und illegal klassifiziert sind.

      Über neun Jahre lang verabreichte Dr. Morell dem Führer täglich Amphetamine, Barbiturate und Opiate, und zwar in einer solchen Menge, dass man ihn bald den Reichsspritzenmeister nannte. Einige von Hitlers Vertrauten fragten sich tatsächlich, ob er den Führer nicht vielleicht umbringen wollte. Doch Theodor Morell verehrte Hitler viel zu sehr, um ihn zu ermorden. Der extrem adipöse Quacksalber mit entsetzlichem Mund- und Körpergeruch begegnete dem Führer zum ersten Mal 1936 während einer Feier auf dem Berghof.

      Hitler litt schon lange unter Magenkrämpfen, Durchfall und so massiven chronischen Blähungen, dass er nach jedem Mahl den Tisch verlassen musste, um sich Erleichterung zu verschaffen. Zudem waren seine unkonventionellen Essgewohnheiten seinem Gesundheitszustand nicht unbedingt förderlich. 1931 hatte er aufgehört, Fleisch zu essen, nachdem er den Verzehr von Schinken mit dem Verzehr einer menschlichen Leiche gleichgesetzt hatte. Seitdem verspeiste er große Mengen wässrigen Gemüses, jeweils püriert oder zu Brei zerdrückt. Dr. Morell beobachtete Hitler bei einer solchen Mahlzeit und studierte deren Folgen: Verstopfung und Flatulenz in einem Ausmaß, wie es ihm bislang selten begegnet sei, notierte er und versicherte Hitler, dass seine Wundermittel ihn von all seinen Problemen erlösen würden.

      Er begann mit kleinen schwarzen Tabletten, die er Dr. Kösters Antigas-Pillen nannte. Hitler nahm davon sechzehn pro Tag ein, wobei ihm offenbar nicht bewusst war, dass sie das Nervengift Strychnin enthielten. Zwar minderten diese Tabletten – zeitweise – seine Blähungen, doch waren sie mit ziemlicher Sicherheit auch der Grund für die Konzentrationsausfälle und die fahle Hautfarbe, die seine letzten Lebensjahre kennzeichneten. Als Nächstes verschrieb Morell ein auf Kolibakterien basierendes Probiotikum namens Mutaflor, das die Darmflora des Führers weiter zu beruhigen schien. Hitler war von der Leistung seines Arztes so begeistert, dass er ihn in den innersten Zirkel der nationalsozialistischen Elite einführte. Von diesem Moment an wich Morell ihm nicht mehr von der Seite.

      Neben den Magenkrämpfen litt Hitler zudem unter morgendlichen Erschöpfungszuständen. Um diese zu lindern, injizierte Morell ihm eine wässrige Flüssigkeit, die er aus einem in Goldfolie verpackten Pulver zusammenmischte. Auch wenn er den Wirkstoff nie preisgab, der sich in dem Pulver verbarg, das er Vitamultin nannte, wirkte er wahrhaft Wunder. Innerhalb von Minuten erhob Hitler sich erfrischt und voller Energie von seiner Couch.

      Der SS-Arzt Ernst Günther Schenck wurde misstrauisch, und es gelang ihm, eines von Morells goldenen Briefchen im Labor zu untersuchen, wo sich herausstellte, dass es sich dabei um Metamphetamin handelte. Hitler machte sich darüber keine Gedanken, solange die Droge nur Wirkung zeigte. Es dauerte nicht lange, und er war so abhängig von Morells Wundermitteln, dass er sich komplett in die Hände seines Arztes begab – mit katastrophalen Folgen: Die Invasion der Sowjetunion dirigierte er unter dem Einfluss von bis zu achtzig verschiedenen Drogen, unter anderem Testosteron, diversen Opiaten, Beruhigungs- und Abführmitteln. Morells Aufzeichnungen zufolge verabreichte er dem Führer zudem diverse Barbiturate, Morphine, Bullenspermata und Probiotika.

      Die überraschendste Droge, die Dr. Morell Hitler verabreichte, war Kokain. In den 1930er-Jahren wurde es in Deutschland hin und wieder zur medizinischen Behandlung eingesetzt, jedoch nur in extrem niedriger Dosierung und in einer Konzentration unter einem Prozent. Morell begann damit, Hitler Kokain in Form von Augentropfen zu verabreichen. Da er wusste, dass der Führer erwartete, sich nach der Einnahme der Drogen deutlich besser zu fühlen, erhöhte er die Kokainmenge in den Tropfen auf das Zehnfache. Diese hohe Konzentration könnte Hitlers psychotisches Verhalten in seinen letzten Jahren erklären.

      Der Führer erlebte Kokain als extrem wirksam. Eine Sammlung medizinischer Aufzeichnungen, die 2012 in den USA gefunden wurden (unter anderem ein 47-seitiger Bericht von Morell und anderen Ärzten des Führers), legt nahe, dass Hitler sich schon bald nach der Droge sehnte – ein deutliches Zeichen einer ernsten Abhängigkeit. Neben den Augentropfen begann er nun auch Kokain zu schnupfen, um seine Nebenhöhlen zu reinigen


Скачать книгу