Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
Читать онлайн книгу.immer vibrierende Verdammung dieser Passion.
Que nous veulent les lois du juste et de l’injuste?
Vierges au cœur sublime, honneur de l’archipel,
Votre religion comme une autre est auguste,
Et l’amour se rira de l’Enfer et du Ciel! 1092
So heißt es im ersten dieser Gedichte; im zweiten:
– Descendez, descendez, lamentables victimes,
Descendez le chemin de l’enfer éternel! 1093
Der auffallende Zwiespalt erklärt sich so: wie Baudelaire die lesbische Frau nicht als Problem sah – weder als ein gesellschaftliches noch als eines der Veranlagung – so hatte er, als Prosaiker könnte man sagen, auch keine Stellung zu ihr. Im Bilde der Moderne hatte er für sie Platz; in der Wirklichkeit erkannte er sie nicht wieder. Darum schreibt er unbekümmert: »Wir haben die schriftstellernde Philanthropin gekannt, … die republikanische Dichterin, die Dichterin der Zukunft, sie sei Fourieristin oder Saintsimonistin1094 – niemals haben wir unser Auge … an all dies getragene und abstoßende Gehaben …, diese Imitationen männlichen Geistes gewöhnen können.«1095 Es wäre abwegig anzunehmen, Baudelaire wäre je beigefallen, mit seinem Dichten in der Öffentlichkeit für die lesbische Frau sich einzusetzen. Die Vorschläge, die er seinem Anwalt für das Plädoyer im Prozeß gegen die »Fleurs du mal« machte, beweisen das. Die bürgerliche Ächtung ist für ihn von der heroischen Natur dieser Leidenschaft nicht zu trennen. Das »descendez, descendez, lamentables victimes« ist das letzte Wort, das Baudelaire der lesbischen Frau nachruft. Er gibt sie dem Untergang preis. Sie ist unrettbar, weil die Verworrenheit in Baudelaires Konzeption von ihr unauflöslich ist.
Das neunzehnte Jahrhundert begann die Frau im Produktionsprozeß rückhaltlos außerhalb des Hauswesens zu verwerten. Es tat das vorwiegend auf primitive Art; es stellte sie in Fabriken ein. Männliche Züge mußten damit im Laufe der Zeit an ihr in Erscheinung treten. Da Fabrikarbeit sie bedingte, offenbar vor allem entstellende. Höhere Formen der Produktion, auch der politische Kampf als solcher konnten männliche Züge in einer edleren Form begünstigen. Vielleicht kann die Bewegung der Vésuviennes in einem solchen Sinne verstanden werden. Sie stellte der Februarrevolution ein Corps, das sich aus Frauen zusammensetzte. »Vésuviennes«, so heißt es in den Statuten, »nennen wir uns, um damit auszusagen, daß in jeder Frau, die uns angehört, ein revolutionärer Vulkan am Werke ist.«1096 In solcher Veränderung des weiblichen Habitus kamen Tendenzen zur Geltung, die Baudelaires Phantasie beschäftigen konnten. Es wäre nicht erstaunlich, wenn seine tiefe Idiosynkrasie gegen die Schwangerschaft mit im Spiele gewesen wäre1097. Die Vermännlichung der Frau sprach zu ihr. Baudelaire bejahte also den Vorgang. Gleichzeitig aber kam es ihm darauf an, ihn aus der ökonomischen Botmäßigkeit zu lösen. So gelangte er dazu, dieser Entwicklungsrichtung einen rein sexuellen Akzent zu geben. Was er George Sand nicht verzeihen konnte, war vielleicht, die Züge einer lesbischen Frau durch ihr Abenteuer mit Musset entweiht zu haben.
Die Verkümmerung des ›prosaischen‹ Elements, die in Baudelaires Stellung zur lesbischen Frau sich ausprägt, ist auch in anderen Stücken für ihn bezeichnend. Sie befremdete aufmerksame Betrachter. 1895 schreibt Jules Lemaître: »Man steht vor einem Werk voller Kunstgriffe und beabsichtigter Widersprüche … Im Augenblick, da es sich in der krassesten Beschreibung der trostlosesten Details der Realität gefällt, ergeht es sich in einem Spiritualismus, der weit von dem unmittelbaren Eindruck abführt, welchen die Dinge auf uns machen … Die Frau gilt Baudelaire als Sklavin oder als Tier, … aber die gleichen … Huldigungen ergehen an sie, die der heiligen Jungfrau erwiesen werden … Er verflucht den ›Fortschritt‹, er verabscheut die Industrie des Jahrhunderts, … und doch genießt er die besondere Note, die diese Industrie in unser heutiges Leben getragen hat … Ich glaube, das spezifisch Baudelairesche besteht darin, immer zwei entgegengesetzte Arten der Reaktion zu vereinigen …, man könnte sagen, eine vergangene und eine gegenwärtige. Ein Meisterstück des Willens …; die letzte Neuheit auf dem Gebiete des Gefühlslebens.«1098 Diese Haltung als Großtat des Willens vorzustellen, lag im Sinne von Baudelaire. Aber ihr Revers ist ein Mangel an Überzeugung, an Einsicht, an Stetigkeit. Einem jähen, chockartigen Wechsel war Baudelaire in allen seinen Regungen ausgesetzt. Desto lockender schwebte ihm eine andere Art, in den Extremen zu leben vor. Sie formt sich in den Inkarnationen, die von vielen seiner vollkommenen Verse ausgehen; sie benennt sich in einigen von ihnen selbst.
Vois sur ces canaux
Dormir ces vaisseaux
Dont l’humeur est vagabonde;
C’est pour assouvir
Ton moindre désir
Qu’ils viennent du bout du monde. 1099
Ein wiegender Rhythmus eignet dieser berühmten Strophe; ihre Bewegung ergreift die Schiffe, welche festgemacht auf dem Kanale liegen. Zwischen den Extremen gewiegt zu werden, wie es das Vorrecht der Schiffe ist, danach sehnte sich Baudelaire. Deren Bild taucht auf, wo es um sein tiefes, verschwiegenes und paradoxes Leitbild geht: das Getragensein von, das Geborgensein in der Größe. »Diese schönen, großen Schiffe, wie sie unmerklich gewiegt … auf dem stillen Wasser liegen, diese starken Schiffe, die so sehnsüchtig und so müßig ausschauen – fragen sie uns nicht in einer stummen Sprache: wann fahren wir aus ins Glück?«1100 In den Schiffen vereint sich die Nonchalance mit der Bereitschaft zum äußersten Krafteinsatz. Das legt ihnen eine geheime Bedeutung bei. Es gibt eine besondere Konstellation, in der sich Größe und Lässigkeit auch im Menschen zusammenfinden. Sie waltet über dem Dasein von Baudelaire. Er hat sie entziffert und nannte sie ›die Moderne.‹ Wenn er sich an das Schauspiel der Schiffe auf der Reede verliert, so geschieht es, um ein Gleichnis an ihnen abzulesen. So stark, so sinnreich, so harmonisch, so gut gebaut ist der Heros wie jene Segelschiffe. Aber ihm winkt vergebens die hohe See. Denn ein Unstern steht über seinem Leben. Die Moderne erweist sich als sein Verhängnis. Der Heros ist nicht in ihr vorgesehen; sie hat keine Verwendung für diesen Typ. Sie macht ihn für immer im sichern Hafen fest; sie liefert ihn einem ewigen Nichtstun aus. In dieser seiner letzten Verkörperung tritt der Heros als Dandy auf. Stößt man auf eine dieser Erscheinungen, die dank ihrer Kraft und Gelassenheit in jeder ihrer Geberden vollendet sind, so sagt man sich, »der da vorbeigeht, ist vielleicht begütert; doch ganz gewiß steckt in diesem Passanten ein Herakles, für den keine Arbeit vorhanden ist«1101. Er wirkt als wenn er von seiner Größe getragen werde. Daher ist es verständlich, daß Baudelaire seine Flanerie zu gewissen Stunden mit der gleichen Würde bekleidet glaubte wie die Anspannung seiner Dichterkraft.
Für Baudelaire stellte der Dandy sich als ein Nachfahre großer Ahnen dar. Der Dandysmus ist ihm »der letzte Schimmer des Heroischen in Zeiten der Dekadenz«1102. Es gefällt ihm, bei Chateaubriand einen Hinweis auf indianische Dandys zu entdecken – Zeugnis der einstigen Blütezeit jener Stämme. In Wahrheit ist unmöglich zu verkennen, daß die Züge, welche im Dandy versammelt sind, eine ganz bestimmte geschichtliche Signatur tragen. Der Dandy ist eine Prägung der Engländer, die im Welthandel führend waren. In den Händen der londoner Börsenleute lag das Handelsnetz, das über den Erdball läuft; seine Maschen verspürten die mannigfachsten, häufigsten, unvermutbarsten Zuckungen. Der Kaufmann hatte auf diese zu reagieren, nicht aber seine Reaktionen zur Schau zu tragen. Den dadurch in ihm erzeugten Widerstreit übernahmen die Dandys in eigene Regie. Sie bildeten das sinnreiche Training aus, welches zu seiner Bewältigung nötig war. Sie verbanden die blitzschnelle Reaktion mit entspanntem, ja schlaffem Gebaren und Mienenspiel. Der Tick, der eine Zeitlang für vornehm galt, ist gewissermaßen die unbeholfene, subalterne Darstellung des Problems. Sehr bezeichnend dafür ist das folgende: »Das Gesicht eines eleganten Mannes muß immer … etwas Konvulsivisches und Verzerrtes haben. Man kann solche Grimasse, wenn man will, einem natürlichen Satanismus zuschreiben.«1103 So malte sich die Erscheinung des londoner Dandys im Kopfe eines pariser Boulevardiers. So spiegelte sie sich physiognomisch in Baudelaire. Seine Liebe zum Dandysmus war keine glückliche. Er besaß die Gabe nicht, zu gefallen, welche ein so wichtiges Element in der Kunst des Dandys,