Wo die Seele atmen kann. John Eldredge

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Wo die Seele atmen kann - John Eldredge


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Hilfe, wenn unser Alltag in Ruhe ablaufen würde und wir nicht immer so gestresst und übernächtigt wären.

       Dezente Hinweise

      Meine Frau und ich leben die meiste Zeit des Jahres in einem Vorort, einer kleinen Siedlung am Rande unserer Stadt. Lange bevor es das Amt für Stadtentwicklung gab, haben die Schwestern des Heiligen Franziskus hier ein Kloster gebaut. Die Abtei besteht aus wunderschönen Sandsteingebäuden, die in eine hügelige Landschaft mit Kieferwäldchen und Wacholdersträuchern eingestreut sind.

      Die Nonnen haben die schöne Gewohnheit, jeden Tag schon um sechs Uhr morgens feierlich ihre Glocken zu läuten. Es ist nicht das drängende Geläut, das am Ende einer Hochzeit erklingt, es sind bedächtige, tiefe Schläge, die zum Gebet rufen. Auch abends um sechs Uhr ertönen sie. Ich liebe diesen Klang der alten Glocken. Wie ein Relikt aus tausend Jahren Vergangenheit prägen sie die Atmosphäre in unserem Tal. Sie laden ein zur Stille und zum Gebet.

      Eines Tages entschied ich mich, dem Ruf zu folgen und immer, wenn das Läuten ertönt, eine kleine, bewusste Pause einzulegen. Kurz darauf entstand die Idee, diese Übung auch in unseren Büroräumen einzuführen. Immer um 10 Uhr morgens und um 14 Uhr am Nachmittag ertönt im ganzen Haus eine Art von „Glockenläuten“. Dann legen die Mitarbeiter ihre Arbeit kurz zur Seite, entspannen sich, lassen innerlich bewusst alles los und fokussieren sich auf Jesus.

      Ich wünsche mir, dass mein Team sich angewöhnt, mehrmals am Tag so innezuhalten. Schließlich beobachte ich an mir selbst, wie ich von einer Aufgabe zur nächsten eile, ohne Pause, von morgens bis abends, wenn ich nicht aktiv gegensteuere. Kaum habe ich den Hörer aufgelegt, ist schon der nächste Anruf in der Leitung. Ich beantworte eine E-Mail und empfange zehn weitere. Bevor ich sie gelesen habe, wartet schon wieder ein Gesprächstermin. Es entstehen einfach keine spontanen Pausen, es gibt keine Ruhezone, keine himmlische Oase.

      Falls Gott mich im Alltag erreichen will, muss er wirklich laut und deutlich werden, sonst höre ich ihn nicht. Aber das entspricht nicht seiner Art, er schreit seine Kinder nicht an. Er will nicht erst irgendwelche Verrenkungen machen müssen, damit wir ihn wahrnehmen, genau wie wir auch nicht wie wild mit den Armen wedeln würden, um die Aufmerksamkeit unseres Ehepartners oder Freundes auf uns zu lenken.

      Für mich ist diese kleine Pause wie eine Waffe, mit der ich mich dem alltäglichen Wahnsinn entgegenstelle. Ehe ich nach einem Telefongespräch etwas Neues anfange, halte ich inne. Wenn ich morgens in mein Büro komme, fokussiere ich mich zuerst auf Jesus, erst dann fange ich an zu arbeiten. Fahre ich abends nach Hause, bleibe ich noch einen Moment im Auto sitzen, bevor ich zu meiner Familie hineingehe. Ich lege meine Stirn aufs Lenkrad und lasse den Tag los.

      Es klingt so einfach, als ob es uns nicht wirklich mit Gott in Verbindung bringen könnte, aber es funktioniert wunderbar. Diese Pausen geben der Seele Raum, Freiraum, sie lassen uns tief durchatmen.

      Und tatsächlich, Gott erwartet uns in diesen Momenten, er begegnet uns an unserem Ort der Ruhe. Nach meiner Erfahrung bewirkt diese Übung umso mehr, je länger man sie ausübt. Die kleinen Augenblicke mit Gott haben eine große Wirkung auf mein Verhalten im Alltag. Meine Seele gewöhnt sich daran, dass es ganz normal ist, Gott zu begegnen. Nach so einem Moment in Gottes Nähe geht es mir insgesamt besser und ich bin anderen gegenüber viel freundlicher.

       Einfach mal ausprobieren

      Es gibt keine Regel für das, was jeder Einzelne in dieser Pause macht. Man kann beten, einfach nur still werden, auf das achten, was einem so in den Sinn kommt, sich über etwas Schönes freuen. Im weiteren Verlauf des Buches werde ich immer wieder darauf zurückkommen und neue Tipps hinzufügen.

      Der erste Schritt, um diese Übung auszuprobieren, erfordert einen Blick in den Terminkalender. Wir suchen in unserem Tagesablauf nach ein oder zwei Zeitfenstern, in denen uns voraussichtlich keiner stören wird. Für mich ist das zum Beispiel immer dann, wenn mein Auto abends in die Garage rollt. Niemand zwingt mich, sofort aus dem Wagen zu springen. Diesen Moment kann ich mir erlauben. Ich schalte den Motor aus, atme und lasse den ganzen zurückliegenden Tag bewusst los.

      Manchmal hilft es, sich per Handy-Alarm an die Pausen erinnern zu lassen. Wir müssen dafür ja kein schrilles Benachrichtigungssignal auswählen, das uns einen unnötigen Adrenalinstoß geben würde. Ein freundlicher, sanfter Klang, der unsere Seele zu einer kleinen Pause einlädt, ist passender.

      Doch egal wie wir uns die winzigen regelmäßigen Pausen organisieren, nach meiner Erfahrung kann diese einfache Übung schon dazu führen, dass wir einen neuen Lebensstil entwickeln – unsere Seele wird es uns danken.

      Zwei

       Wohltuenden Abstand gewinnen

      Ich sitze auf einer Klippe im kargen Südwesten von Wyoming und suche mit meinem Fernglas den Horizont ab. Was ich sehe, ist überwältigend – zumindest für mich. Blühender Beifuß und hohe Gräser, so weit das Auge reicht, Hunderte von Kilometern in alle Himmelsrichtungen. Ich kann sogar die Krümmung der Erdoberfläche erkennen.

      Es ist August, und obwohl es noch früh am Tag ist, flimmert die Luft schon in der Hitze und macht es mir schwer, das zu entdecken, wonach meine Augen suchen. Die meisten Leute würden sagen, diese Gegend sei trostlos, kahl und öde. Im Sommer sengende Hitze, im Winter bitterkalt. Und immer weht dieser scharfe Wind. Aber ich komme so gerne hierher, weil hier die wilden Pferde zu Hause sind. Das ist genau die Landschaft, in der sie sich sicher fühlen.

      Hier im Westen Amerikas gibt es immer noch Hunderte wilder Pferdeherden. Wenn ich darüber nachdenke, macht mich das richtig froh. Unberührtes Land, eine menschenleere Weite, wo Tiere in völliger Freiheit leben können – welch ein wohltuender Gedanke für Menschen wie mich, die überwiegend in Ballungsräumen leben. Manchmal braucht es einen Ortswechsel, eine Reise in eine andere Landschaft, um der Seele weiten Raum zu geben, um mit einem leichteren Herzen weiterleben zu können. Deshalb bin ich hier.

      Nur zwanzig Meter von mir entfernt sitzt ein Steinadler, ein Raubvogel von beeindruckender Größe. Die Flügelspannweite dieser Tiere liegt bei über zwei Metern und sie haben genug Kraft, um mit ihren Krallen ganze Rehkitze oder Lämmer in die Lüfte zu heben.

      Der Steinadler sitzt auf dem Rand einer Klippe und beobachtet die karge Landschaft auf der Suche nach Beute. Er hat den perfekten Ort ausgewählt. An dem Felsen, der unter ihm steil abfällt, steigen die Winde auf und werden ihn bereitwillig über das Land tragen. Er muss bloß seine Schwingen ausbreiten und einen Schritt über die Felskante hinaus machen, und schon wird er mühelos in großer Höhe dahingleiten.

      Kann es sein, dass er mich nicht bemerkt hat? Es erscheint mir unwahrscheinlich. Aber vermutlich stört ihn meine Anwesenheit nicht. Ich seufze tief, Frieden und Glück durchströmen mich.

      Ich bin heute Morgen schon in aller Frühe aufgestanden, habe unseren kleinen Transporter beladen und die Straße Richtung Norden genommen. Ohne konkrete Pläne fuhr ich der Einsamkeit entgegen, für eine Woche würde ich mich dem Alltagstrubel entziehen. Die Campingausrüstung war dabei, Angelruten und Landkarten des Wind-River-Range, einer 160 Kilometer langen Bergkette der Rocky Mountains im Westen des US-Bundesstaates Wyoming. Zu diesem Gebirgszug gehören über vierzig Viertausender-Gipfel, sieben Gletscher und weit über tausend Bergseen.

      Als würde das nicht reichen, hatte ich auch noch Landkarten vom Yellowstone-Nationalpark eingepackt und zusätzliche Karten des Bundesstaates Montana, der sich im Norden an Wyoming anschließt. Das Ganze war eine völlig spontane Entscheidung, weder geplant noch vorbereitet. Ich hatte aber wahrgenommen, dass Gott mich dazu drängte. Es war viele Jahre her, seit ich mir zuletzt Zeit genommen hatte, um meiner Seele etwas so Gutes zu tun und Gottes Nähe mehrere Tage lang zu suchen.

      Ganz ehrlich, als ich dann im Rückspiegel beobachtete, wie mein Zuhause kleiner wurde und sich immer weiter entfernte, war das schon ein ganz besonderes Gefühl. Vor mir erstreckte


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