Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs. Charles Dickens

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Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs - Charles Dickens


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während er die genannten Dinge in Empfang nahm und jedem eine Menge Teller in die Hand gab oder auf die Knie setzte.

      »Nun, ist das nicht köstlich?« fragte der heitere Mann, als das Werk der Zerstörung begonnen hatte.

      »Köstlich!« sagte Herr Winkle, der ein Huhn auf dem Bocke zerlegte.

      »Belieben Sie ein Glas Wein?«

      »Wenn ich bitten darf.«

      »Ich will Ihnen lieber eine Flasche hinausgehen – nicht wahr?«

      »Sie sind sehr gütig.«

      »Joe!«

      »Ja, Herr!« – Er schlief nicht, weil er soeben ein Kalbfleischpastetchen weggeschnappt hatte.

      »Eine Flasche Wein dem Herrn auf dem Bock. Zum Wohl, mein Herr!«

      »Danke.«

      Herr Winkle füllte sein Glas und stellte die Flasche neben sich auf den Bock.

      »Darf ich mir die Ehre geben, mein Herr?« sagte Herr Trundle zu Herrn Winkle.

      »Mit größtem Vergnügen«, antwortete Herr Winkle.

      Und die beiden Herren stießen miteinander an, und die ganze Gesellschaft nahm daran teil.

      »Wie die liebe Emilie mit dem fremden Herrn flirtet!« flüsterte Fräulein Wardle, die Tante, mit echtem Altjungfernneid ihrem Bruder zu.

      »Wüßte nicht«, sagte der lustige alte Herr; »finde es ganz natürlich; wahrhaftig – nichts Außerordentliches. Herr Pickwick, belieben Sie etwas Wein?«

      Herr Pickwick, der inzwischen tief in den Bauch einer Taubenpastete eingedrungen war, sagte bereitwilligst »Ja«.

      »Liebe Emilie,« sagte die Jungfer Tante mit Gouvernantenmiene, »sprich doch nicht so laut.«

      »Ach Gott, Tante!«

      »Die Tante und der kleine alte Herr wollen, glaube ich, allein das Recht haben, zu reden«, flüsterte Fräulein Isabelle Wardle ihrer Schwester Emilie zu.

      Die jungen Damen lachten herzlich, und die Alte wollte liebenswürdig aussehen, was ihr aber nicht gelang.

      »Die jungen Mädchen sind zu lebhaft«, sagte Tante Wardle zu Herrn Tupman mit der Miene des Mitleidens, als ob Lebhaftigkeit Zollware und ohne höhere Erlaubnis sündhaft und verbrecherisch wäre.

      »Sie sind lustig«, versetzte Herr Tupman auf eine Weise, die ihrer Erwartung nicht ganz entsprach. »Es ist zum Entzücken.«

      »Hm!« erwiderte die jungfräuliche Tante etwas verstimmt.

      »Darf ich mir die Freiheit nehmen?« sagte Herr Tupman im einschmeichelndsten Tone, indem er mit der linken Hand Rachels reizendes Händchen ergriff und mit der rechten die Flasche emporhiclt, »darf ich mir die Freiheit nehmen?«

      »Ach, mein Herr!«

      Tupmans Augen funkelten vor Vergnügen, und Rachel drückte die Besorgnis aus, man möchte noch mehr Kanonen losschießen, in welchem Falle sie natürlich wieder auf seinen Beistand rechnen würde.

      »Wie gefallen Ihnen meine Nichten?« flüsterte die zärtliche Tante Herrn Tupman zu.

      »Vortrefflich, wenn ihre Tante nicht da wäre«, versetzte der gewandte Pickwickier, einen zärtlichen Blick auf die Fragerin heftend.

      »Sie Spötter –, aber wirklich, wenn ihre Gesichtsfarbe ein wenig besser wäre, glauben Sie nicht, sie würden nicht übel aussehen? – bei Licht, meine ich.«

      »Ja, ich glaube es«, erwiderte Herr Tupman mit gleichgültiger Miene.

      »O, Sie Schalk – ich weiß, was Sie sagen wollen.«

      »Was?« fragte Herr Tupman, dem es nicht in den Sinn gekommen war, überhaupt etwas sagen zu wollen.

      »Sie wollten sagen, daß Isabelle etwas hinkt – ich weiß es – die Männer beobachten gar scharf. Ja, ja, es ist so; ich kann es nicht leugnen, und gewiß, wenn es etwas gibt, was ein Mädchen entstellt, so ist es Hinken. Ich sage ihr oft, in wenigen Jahren werde sie dadurch fürchterlich verunstaltet werden. Ja, ja, Sie sind ein Spötter!«

      Herr Tupman hatte nichts dagegen, so wohlfeil zum Rufe eines scharfen Beobachters zu kommen. Er nahm eine schlaue Miene an und lächelte geheimnisvoll.

      »Welch ein sarkastisches Lächeln!« sagte Rachel im Tone der Bewunderung. »Ich versichere Sie, ich fürchte mich vor Ihnen.«

      »Sie fürchten sich vor mir

      »O, Sie können mir nichts verhehlen; ich weiß, was dieses Lächeln auf sich hat – sehr gut weiß ich's.«

      »Was?« fragte Herr Tupman, der selbst nicht den mindesten Begriff davon hatte.

      »Sie denken«, sagte die liebenswürdige Tante, ihre Stimme dämpfend – »Sie denken, Isabellens Hinken ist noch nicht so schlimm wie Emiliens Dreistigkeit. Ja, ja, sie ist sehr vorlaut! Sie können sich denken, was mir das zuweilen für Sorgen macht – ich härme mich oft stundenlang deswegen ab. – Mein lieber Bruder ist so gut, so ohne allen Argwohn, daß er es gar nicht sieht. O, wenn er es gewahr würde, es müßte ihm sicher das Herz brechen. Ich wollte, ich könnte glauben, es sei nur ein angenommenes Wesen – und hoffe auch, daß es wirklich der Fall ist« – hier stieß die zärtliche Verwandte einen tiefen Seufzer aus und schüttelte hoffnungslos den Kopf.

      »Die Tante spricht von uns«, flüsterte Fräulein Emilie Wardle ihrer Schwester zu – »ich wette darauf – sie sieht so bösartig aus.«

      »Glaubst du?« fragte Isabella. – »Hm! Tante, liebe Tante!«

      »Was, meine Liebe?«

      »Ich fürchte, Sie erkälten sich, Tante. Binden Sie doch ein seidenes Tuch um ihren Kopf – nehmen Sie sich mehr in acht – bedenken Sie Ihr Alter!«

      So wohlverdient diese Revanche auch sein mochte, so war sie doch so rachsüchtig, wie sie nur immer hätte sein können. Es ist nicht wohl, zu erraten, auf welche Weise sich die Entrüstung der Tante wieder Luft gemacht haben würde, hätte nicht Herr Wardle unabsichtlich der Aufmerksamkeit der Gesellschaft eine andere Richtung gegeben, indem er laut nach Joe rief.

      »Der verdammte Junge,« sagte er, »jetzt schläft er schon wieder.«

      »Ein außerordentlicher Bursche,« bemerkte Herr Pickwick, »ist er immer so schläfrig?«

      »Schläfrig!« sagte der alte Herr. »Er schläft den ganzen Tag. Er schläft beim Gehen ein, und schnarcht, wenn er bei Tisch serviert.«

      »Sehr seltsam«, bemerkte Herr Pickwick.

      »Ja, in der Tat, seltsam«, versetzte der alte Herr. »Ich bin stolz auf den Jungen – ich würde ihn unter keiner Bedingung von mir lassen – wahrhaftig, er ist eine Naturmerkwürdigkeit! He, Joe – Joe – räume diese Sachen ab, und öffne eine neue Flasche – hörst du?«

      Der fette Junge erwachte, öffnete die Augen, schluckte das ungeheure Stück Taubenfleisch hinunter, das er eben unter den Zähnen hatte, als ihn der Schlaf überfallen, und gehorchte langsam dem Befehle seines Herrn, schmachtende Blicke auf die Überbleibsel des Mahles werfend, als er das Geschirr abräumte und in den Korb legte. Die neue Flasche erschien und wurde alsbald geleert; der Korb kam wieder auf seinen alten Platz – der fette Junge stieg auf den Bock – die Brillen und die Ferngläser wurden wieder hervorgenommen, und die Bewegungen des Heeres begannen aufs neue. Das Geschütz brüllte, die Damen kreischten – eine Mine wurde gesprengt; alles jauchzte, und als die Mine aufgeflogen war, folgten die Soldaten und unsere Gesellschaft ihrem Beispiele und brachen ebenfalls auf.

      »Nun, ich denke –« sagte der alte Herr, als er am Schlüsse der Unterhaltung, die die Zwischenakte des militärischen Schauspiels ausfüllte, Herrn Pickwick die Hand drückte – »ich denke, wir werden Sie alle morgen wiedersehen.«

      »Ganz gewiß«, erwiderte Herr Pickwick.

      »Sie


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