Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs. Charles Dickens

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Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs - Charles Dickens


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recht,« versetzte der alte Herr, »und ich denke. Sie unter einer Woche nicht fortzulassen. Sie sollen alles sehen, was sehenswert ist. Wenn es Ihnen um das Landleben zu tun ist, so kommen Sie nur zu mir, dort finden Sie es in Hülle und Fülle. Joe – der verdammte Junge, jetzt schläft er wieder – Joe, hilf Tom einspannen.«

      Die Pferde wurden eingespannt – der Kutscher bestieg seinen Bock – der fette Junge rutschte an dessen Seite – man verabschiedete sich gegenseitig – und der Wagen rollte von dannen. Als die Pickwickier sich umwandten, um einen letzten Blick auf die Scheidenden zu werfen, fielen die Strahlen der untergehenden Sonne eben auf deren Gesichter und beleuchteten die Gestalt des fetten Jungen. Sein Kopf war auf die Brust gesunken, und er schlief in aller Ruhe.

      Sechstes Kapitel. Ein kurzes Kapitel, in dem unter anderm berichtet wird, wie Herr Pickwick es auf sich nehm, den Wagen zu lenken, und Herr Winkle zu reiten, und wie sie beide damit zurechtkamen.

      Hell und heiter war der Himmel, balsamisch die Luft und alles umher köstlich anzuschauen, als Herr Pickwick an der Balustrade der Brücke von Rochester lehnte, die herrliche Natur betrachtete und das Frühstück erwartete. Die sich vor seinen Blicken ausbreitende Landschaft bot in der Tat eine so reizende Aussicht, daß sie auch wohl auf ein weniger beschauliches Gemüt ihren entzückenden Eindruck nicht verfehlt haben würde.

      Dem Beschauer zur Linken lag die verfallene Mauer, an manchen Stellen zurücktretend und an andern in rohen und schweren Massen über das schmale Ufer vorhängend. Die ausgezackten und scharfgezeichneten Uferfelsen bedeckten dichte Bündel von Seegewächsen, die bei jedem Lufthauch erzitterten, und der grüne Efeu rankte sich melancholisch um das düstere, verfallene Gemäuer. – Hinter demselben erhob sich das alte Schloß mit seinen dachlosen Türmen, deren massive Mauern zerbröckelten, aber ebenso stolz von ihrer früheren Macht und Festigkeit erzählten, wie damals, als sie vor siebenhundert Jahren von Waffenklang oder festlichem Geräusch ertönten. Auf jeder Seite dehnten sich die Ufer des Medway, mit Saatfeldern und Wiesen bedeckt, hier und dort mit einer Windmühle oder einer fernen Kirche, so weit wie das Auge sehen konnte, eine reiche und bunte Landschaft zeigend, deren Reiz die wechselnden Schatten noch erhöhten, die ebenso schnell darüber hineilten, wie die leichten Wolken in dem Licht der Morgensonne fortzogen. – Der geräuschlos dahingleitende Fluß spiegelte das klare Himmelsblau, und die Ruder der Fischer tauchten mit Hellem plätschernden Ton in das Wasser, wie ihre schweren, aber malerischen Boote langsam den Strom abwärts glitten.

      Herr Pickwick wurde aus seinen angenehmen Träumen, in die ihn diese Szenerie eingewiegt hatte, durch einen tiefen Seufzer und einen leichten Schlag auf seine Schulter geweckt, und als er sich umwandte, stand der trübsinnige Jemmy vor ihm.

      »Betrachten Sie die Aussicht?« fragte der Trübsinnige.

      »Jawohl«, versetzte Herr Pickwick.

      »Und gratulieren sich selbst zu Ihrem frühen Aufstehen?«

      Herr Pickwick nickte mit dem Kopfe.

      »Ach, man sollte immer früh aufstehen, um die Sonne in ihrem vollen Glänze zu sehen; denn sie strahlt selten so hell während des übrigen Tages. Der Morgen des Tags und der Morgen des Lebens gleichen sich nur zu sehr.«

      »Sie haben recht, Sir«, sagte Herr Pickwick.

      »Wie oft pflegt man zu sagen«, fuhr der Trübsinnige fort, »›der Tag fängt zu schön an, um so zu bleiben‹, und wie gut läßt sich dies auf unser tägliches Leben anwenden! A Gott, was wollte ich darum geben, wenn ich die Tage meiner Kindheit zurückrufen oder sie für immer vergessen könnte!«

      »Sie haben viel Trauriges erlebt?« sagte Pickwick teilnehmend.

      »Allerdings,« versetzte der Trübsinnige hastig, »mehr als einer, der mich jetzt sieht, für möglich halten sollte.« Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: »Ist Ihnen wohl je an einem Morgen schon der Gedanke gekommen, daß im Ertrinken Friede und Seligkeit liegen könnten?«

      »Gott steh mir bei, nein«, erwiderte Herr Pickwick, etwas von der Balustrade zurücktretend, weil ihn der Gedanke an die Möglichkeit erschreckte, daß der Trübsinnige ihn hinunterschleudern könnte, um ihn den Versuch machen zu lassen.

      »Ich bin schon oft mit dem Gedanken umgegangen«, fuhr der Trübsinnige fort, ohne Herrn Pickwicks Bewegung zu beobachten. »Das stille kühle Wasser scheint mir eine Einladung zur Ruhe und zum Frieden zu murmeln. –- Ein Sprung – ein Plätschern – ein kurzer Kampf – es gibt einen augenblicklichen Wasserwirbel – er nimmt allmählich ab, und wirft immer kleinere Wellen –- die Gewässer schließen sich über dem Kopf, und alle Erdenleiden sind vorüber.«

      Die eingesunkenen Augen des trübsinnigen Mannes leuchteten hell, während er so sprach; doch seine momentane Erregung wich sogleich wieder seiner gewohnten Ruhe, und er fuhr gelassen fort:

      »Genug davon! Ich möchte wegen einer andern Angelegenheit mit Ihnen sprechen. Sie baten mich vorgestern abend, Ihnen vorzulesen, und hörten aufmerksam zu, während ich das tat.«

      »Allerdings,« versetzte Herr Pickwick, »und ich meinte wirklich –«

      »Ich bat nicht um Ihre Meinung, und ich bedarf derselben nicht«, unterbrach ihn der Trübsinnige. »Sie reisen zum Vergnügen und zur Belehrung. Was meinen Sie, wenn ich Ihnen ein interessantes Manuskript mitteilte? – doch merken Sie wohl, interessant, nicht etwa wegen seines widernatürlichen und unwahrscheinlichen Inhalts, sondern als ein Blatt aus der Romantik des wirklichen Lebens. Würden Sie es wohl dem Klub mitteilen, den Sie so häufig erwähnten?«

      »Unfehlbar«, erwiderte Herr Pickwick, »wenn Sie es wünschen: es würde sodann den Klubakten einverleibt werden.«

      »Sie sollen es haben«, fuhr der Trübsinnige fort, und fragte nach Herrn Pickwicks Adresse.

      Nachdem ihm Herr Pickwick seine und seiner Freunde wahrscheinlichen Reiseweg bezeichnet hatte, notierte sie der Trübsinnige sorgfältig in einer schmutzigen Brieftasche, lehnte Herrn Pickwicks dringende Einladung zum Frühstück ab, begleitete ihn bis nach seinem Gasthaus, und ging darauf langsam vondannen.

      Herr Pickwick wurde von seinen drei Reisegefährten beim Frühstück erwartet, das bereits in lockendem Arrangement aufgetragen war. Sie nahmen Platz, und gekochter Schinken, Eier, Tee und Kaffee begannen mit einer Schnelligkeit zu verschwinden, die von der Trefflichkeit der Tafel, wie von dem gutem Appetit der Reisenden zeugte.

      »Aber jetzt müssen wir an Manor Farm denken«, sagte Herr Pickwick. »Wie wollen wir die Reise dahin machen?«

      »Es wäre vielleicht das Beste, wenn wir den Kellner darüber fragten«, versetzte Herr Tupman, und infolge dieses Vorschlags wurde der Kellner gerufen.

      »Dingley Dell – fünfzehn Meilen, meine Herren – Feldwege – Postpferde, meine Herren?«

      »In einer Postkutsche würden nur zwei von uns Platz haben«, bemerkte Herr Pickwick.

      »Das ist wahr, Sir – bitte um Entschuldigung, Sir – sehr hübscher vierräderiger Wagen, Sir – ein Sitz für zwei Herren – einer für den, der fährt – o, ich bitte um Vergebung, Sir – hat nur für drei Platz.«

      »Was ist da zu tun?« fragte Herr Snodgraß.

      »Vielleicht beliebt es einem von den Herren, zu reiten?« versetzte der Kellner, nach Herrn Winkle blickend. »Sehr gute Reitpferde, Sir. – Wenn einer von Herrn Wardles Leuten nach Rochester kommt, kann er es zurückbringen, Sir.«

      »Das läßt sich hören«, sagte Herr Pickwick. »Winkle, wollen Sie reiten?«

      In den verborgensten Tiefen von Herrn Winkles Herzen stiegen schlimme Ahnungen bei dem Gedanken an eine Probe auf, die er von seiner Reitkunst ablegen sollte: weil er aber seine Leistungsfähigkeit um keinen Preis beargwöhnt wissen wollte, so erwiderte er sogleich mit der größten Zuversicht:

      »Mit Vergnügen. Ich gebe dieser Art zu reisen vor jeder andern den Vorzug.«

      Herr Winkle hatte das Schicksal herausgefordert: jetzt konnte er


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