Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs. Charles Dickens

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Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs - Charles Dickens


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bitte ich Sie, mit mir zu kommen«, fuhr Herr Wardle fort und führte sie durch mehrere dunkle Gänge in das Wohnzimmer, gefolgt von Herrn Tupman, der einige Augenblicke gezögert hatte, um von Emma einen Kuß zu erhaschen, wofür er gebührend durch einige Püffe gezüchtigt wurde.

      »Willkommen«, sagte der gastliche Wirt, öffnete die Tür und trat ein, um sie anzumelden. »Willkommen, meine Herren, in Manor Farm!«

      Siebentes Kapitel. Eine altmodische Spielpartie. – Die Verse des Geistlichen. – Erzählung von der Rückkehr des Sträflings.

      Mehrere der in dem alten Wohnzimmer versammelten Gäste standen auf, um Herrn Pickwick und seine Freunde bei ihrem Eintreten zu begrüßen, und während der Zeremonie des mit allen nötigen Formalitäten behandelten Vorstellen« fand Herr Pickwick Muße, das Äußere der Anwesenden zu prüfen und Vermutungen über ihren Stand und Charakter anzustellen – eine Gewohnheit, der er, gleich manchen andern großen Äüännern, gern nachzuhängen pflegte.

      Eine sehr alte Dame mit einer hohen Haube und in einem verblichenen seidenen Kleide – keine geringere Person als Herrn Wardles Mutter – hatte den Ehrenplatz im rechten Kaminwinkel: dort prangten verschiedene Zeugnisse, daß sie ihrem Jugendgeschmack auch im Alter treu geblieben, in der Form alter Muster, gewirkter Landschaften von gleichem Alter und rotseidener Teekesselhalter von einer neueren Periode, an den Wänden.

      Die Tante, die zwei jungen Damen und Herr Wardle umdrängten den Lehnstuhl der alten Frau und wetteiferten miteinander, ihr unablässig ihre Aufmerksamkeiten zu bezeigen. Die eine hielt ihr das Hörrohr, die andere eine Pomeranze, die dritte ein Riechfläschchen, während der vierte eifrig damit beschäftigt war, die Kissen zu ordnen, in die sie sich lehnte. Gegenüber saß ein alter Herr mit kahlem Kopf und einem Gesicht, in dem sich Wohlwollen und guter Humor ausdrückten – der Geistliche von Dingley Dell – und neben ihm seine Ehehälfte, eine rüstige, blühende alte Dame, die ganz so aussah, als ob sie nicht allein die Kunst, Herzstärkungen zu anderer Leute Zufriedenheit zu bereiten, gründlich verstünde, sondern dieselben auch gelegentlich zu ihrer eigenen kostete. In einem Winkel des Zimmers sprachen ein kleiner Mann mit einem Gesicht wie ein Borstorfer Apfel und ein dicker alter Herr miteinander: und noch zwei oder drei alte Herren und noch zwei oder drei alte Damen saßen kerzengerade und regungslos auf ihren Stühlen und glotzten Herrn Pickwick und seine Reisegefährten an.

      »Herr Pickwick, Mutter!« schrie Herr Wardle der alten Dame ins Ohr.

      »Ah,« sagte sie, den Kopf schüttelnd, »ich kann es nicht verstehen.«

      »Herr Pickwick, Großmutter!« schrien die beiden jungen Damen zugleich.

      »Ah«, rief die alte Dame. »Doch es kommt auf eins heraus: er wird sich wohl um eine alte Frau, wie ich bin, wenig kümmern.«

      »Ich versichere Sie, Madame,« versetzte Herr Pickwick, ihre Hand erfassend und so laut redend, daß sein menschenfreundliches Antlitz von der Anstrengung krebsrot wurde, »ich versichere Sie, Madame, daß mich nichts mehr erfreut, als der Anblick einer Dame in Ihren Jahren im Kreise einer so edlen Familie, deren Haupt sie ist, zumal wenn sie dabei noch so jugendlich und wohl aussieht.«

      »Ach,« erwiderte die alte Dame nach einer kleinen Pause, »das ist gewiß alles sehr schön gesagt, aber ich kann nichts davon hören.«

      »Großmutter ist gerade nicht in bester Laune«, sagte Fräulein Isabella Wardle mit leiser Stimme; »sie wird aber bald mit Ihnen sprechen.«

      Herr Pickwick gab durch Nicken seine Bereitwilligkeit zu erkennen, gegen die Schwächen des Alters nachsichtig zu sein, und knüpfte mit der übrigen Gesellschaft ein allgemeines Gespräch an.

      »Herrn Wardles Wohnung hat eine herrliche Lage«, sagte Herr Pickwick.

      »Herrliche Lage!« wiederholten die Herren Snodgraß, Winkle und Tupman.

      »Der Meinung bin ich auch«, sagte Herr Wardle.

      »Es gibt kein besseres Ackerland in ganz Kent, Sir«, bemerkte der kleine Mann mit dem Borstorferapfel-Gesicht; »nein, Sir, ich kann es ganz bestimmt behaupten, Sir.«

      Und darauf blickte er triumphierend umher, als ob ihm von jemand hartnäckig widersprochen worden wäre und er diesen doch zuletzt aus dem Felde geschlagen hätte.

      »Es gibt kein besseres Ackerland in ganz Kent«, wiederholte er nach einer Pause.

      »Ausgenommen Mullins' Meadows«, bemerkte der dicke Mann in feierlichem Tone.

      »Mullins' Meadows?« rief der andere mit tiefer Verachtung.

      »Allerdings, Mullins' Meadows!« wiederholte der dicke Mann,

      »Sehr gutes Land das«, fiel ein zweiter dicker Mann ein.

      »Ja, in der Tat sehr gutes Land«, fügte ein dritter dicker Mann hinzu.

      »Wie jedermann weiß«, sagte der umfangreiche Hauswirt.

      Der kleine Mann mit dem Borstorferapfel-Gesicht blickte zweifelnd umher; doch als er sah, daß er die Minderheit bildete, nahm er eine mitleidige Miene an und sagte nichts weiter.

      »Wovon spricht man?« fragte die alte Dame eine ihrer Enkelinnen mit sehr lauter Stimme; denn, wie die meisten schwerhörigen Leute, war sie der Meinung, nur in dieser Weise sich vernehmlich machen zu können,

      »Vom Lande, Großmutter.«

      »Vom Lande? Was denn? – es ist doch nicht etwa ein Unglück vorgefallen?«

      »Nein, nein: Herr Miller sagte, daß unser Land besser wäre als Mullins' Meadows.«

      »Wie kann er etwas davon wissen?« erwiderte die alte Dame etwas ärgerlich. »Herr Miller ist ein eingebildeter Geck, das kannst du ihm sagen.«

      Und ohne zu ahnen, daß ihr lautes Sprechen kein Flüstern gewesen, richtete sie sich in ihrem Lehnstuhl empor und warf dem Verbrecher mit dem Borstorferapfel-Gesicht giftige Blicke zu.

      »O, lassen wir das!« sagte der besorgte Wirt, und versuchte, der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben. »Was meinen Sie zu einer Partie Whist, Herr Pickwick?«

      »Ich ziehe dieses Spiel allen andern vor«, versetzte Herr Pickwick: »aber ich muß bitten, nur nicht gerade um meinetwillen.«

      »O, ich versichere Sie, meine Mutter spielt es gleichfalls sehr gern«, sagte Herr Wardle; »nicht wahr, Mutter?«

      Die alte Dame, die bei diesem Gegenstand weit weniger taub zu sein schien, als bei einem andern, bejahte.

      »Joe, Joe!« rief der alte Herr – »Joe – der verwünschte – ach, da ist er ja! – Joe, die Spieltische!«

      Der phlegmatische Jüngling stellte zwei Spieltische auf, den einen zum Pope Joan14 und den andern zum Whist.15 Die Whistspieler waren Herr Pickwick und die alte Dame, Herr Miller und einer der dicken Herren: die übrigen setzten sich zum Gesellschaftsspiel.

      Am Whisttische herrschte jene Würde und Stille, die den Namen des Spiels rechtfertigen soll. Ist es doch eigentlich ein feierliche« Beginnen, dem nach unserer Meinung der unehrwürdige und herabwürdigende Name »Spiel« gar nicht beigelegt werden sollte. Bei dem Rundspiel dagegen an dem andern Tische ging es so laut und lustig her, daß Herr Miller in seiner Aufmerksamkeit gestört wurde und mehrere Fehler machte, die in so hohem Grade den Zorn des dicken Herrn erregten und in gleichem Maße die gute Laune der alten Dame weckten.

      »Da!« sagte Herr Miller mit einem triumphierenden Blick, als er eben einen Trick machte, »das hätte, wie ich mir schmeichle, gar nicht besser gespielt werden können – es war nicht möglich, noch einen Trick mehr zu machen.«

      »Miller hätte den Buben stechen sollen, nicht wahr, Sir?« sagte die alte Dame.

      Herr Pickwick nickte bejahend.

      »Hätte ich sollen?« fragte der Unglückliche mit einem triumphierenden Blick auf seinen Mitspieler.

      »Allerdings


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