Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs. Charles Dickens

Читать онлайн книгу.

Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs - Charles Dickens


Скачать книгу
Ihnen – o Sie lieber, Sie teurer Mann!«

      »Barmherziger Gott!« ächzte Herr Pickwick, indem er aus allen Kräften rang, sich von ihr loszumachen: »ich höre jemand auf der Treppe kommen. O, ich bitte Sie um Himmels willen, liebe Frau, seien Sie doch nur vernünftig!«

      Aber alle Bitten und Vorstellungen blieben fruchtlos, denn Frau Bardell war in Pickwicks Armen in Ohnmacht gefallen, und ehe er Zeit gewinnen konnte, sie auf einen Stuhl niederzusetzen, trat Master Bardell in das Zimmer, gefolgt von Herrn Tupman, Herrn Winkle und Herrn Snodgraß.

      Herr Pickwick war wie vom Donner gerührt. Seine liebliche Bürde in den Armen haltend, stand er bestürzt und regungslos da, und starrte seine Freunde an, ohne sie zu begrüßen, ja ohne auch nur den geringsten Versuch zu machen, ihnen eine Erklärung darüber zu geben. Seine Freunde machten große Augen, und Master Bardell glotzte alle zusammen an.

      Da« Erstaunen der Pickwickier und die Verwirrung Herrn Pickwicks waren so überwältigend, daß wahrscheinlich sämtliche

Bild

      Personen bis zum Wiedererwachen der Lebensgeister unserer guten Frau Bardell in ihren Stellungen verharrt sein würden, wenn sich nicht die kindliche Zärtlichkeit des Sprößlings der Ohnmächtigen auf eine höchst rührende Weise Luft gemacht hätte. Er war anfangs, in einem Korduroyanzug mit großen Metallknöpfen, erstaunt und ungewiß an der Tür stehengeblieben; aber schließlich kam er auf den Gedanken, daß Herr Pickwick seiner Mutter ein Leid angetan haben möchte; er erhob daher ein jämmerliches Geschrei, stürzte auf den unsterblichen Mann los und begann dessen Rücken und Beine mit Stößen und Knüffen so empfindlich zu bearbeiten, als es die Kraft seines kleinen Armes und das Ungestüm seiner Aufregung zuließ.

      »Wehren Sie doch dem kleinen Schlingel!« rief der geängstigte Herr Pickwick; »er ist ja ganz des Teufels!«

      »Was gibt es denn hier?« fragten die drei Pickwickier wie aus einem Munde.

      »Ich weiß es nicht«, versetzte Herr Pickwick verdrießlich. »Schaffen Sie mir nur den Knaben vom Halse – (Herr Winkle zog den schreienden und um sich schlagenden interessanten Knaben in den entferntesten Winkel des Zimmers) – und helfen Sie mir die Frau die Treppe hinunterführen.«

      »Ah, ich fühle mich wieder besser«, begann Frau Bardell mit schwacher Stimme.

      »Erlauben Sie mir, Sie hinunter zu begleiten«, sagte der stets galante Herr Tupman.

      »Ich nehme es mit Dank an, Sir – ich nehme es mit Dank an«, rief Frau Bardell in hysterischer Aufregung.

      Und so wurde sie denn von Herrn Tupman die Treppe hinuntergeführt, während ihr das zärtliche Söhnlein folgte.

      »Ich kann nicht begreifen«, sagte Herr Pickwick, als sein Freund zurückkehrte, »was dieser Frau eigentlich zugestoßen ist. Ich hatte ihr bloß meine Absicht angekündigt, einen männlichen Dienstboten anzunehmen, als sie in eine wahre Verzückung geriet und endlich in Ohnmacht fiel. Ein höchst merkwürdiger Fall!«

      »Höchst merkwürdig!« riefen die drei Freunde aus.

      »Sie versetzte mich in der Tat in eine ganz sonderbare Lage«, fuhr Herr Pickwick fort.

      »Ganz sonderbar!« wiederholten seine Gefährten, ein wenig hustend und sich gegenseitig merkwürdige Blicke zuwerfend, die Herrn Pickwick nicht entgingen. Sie hatten ihn offenbar im Verdacht.

      »Es wartet ein Mann auf dem Gange«, bemerkte Herr Tupman.

      »Ohne Zweifel der Diener, an den ich dachte«, sagte Herr Pickwick. »Ich schickte diesen Morgen nach ihm. Haben Sie doch die Güte, ihn hereinzurufen, lieber Snodgraß.«

      Herr Snodgraß tat, wie ihm geheißen, und gleich darauf stellte sich Herr Samuel Weller vor.

      »Ich denke, Ihr erinnert Euch meiner«, redete ihn Herr Pickwick an.

      »Sollt's meinen«, erwiderte Sam mit pfiffigem Blinzeln. »Ein wunderlicher Auftritt – aber er hat Ihnen doch allen ein Schnippchen geschlagen; fort war er, ehe einer in seine Tabaksdose greifen kann – was?«

      »Lassen wir das jetzt«, fiel Herr Pickwick eilig ein; »ich wollte von etwas anderm mit Euch reden. Setzt Euch.«

      »Danke Sir«, sagte Sam, und setzte sich, ohne sich weiter nötigen zu lassen, nachdem er seinen alten weißen Hut auf einen außen vor der Tür stehenden Tisch gelegt hatte. »Er sieht nicht zum besten aus«, bemerkte er, »sitzt aber erstaunlich gut und war ein sehr hübscher Deckel, ehe sich die Krempe lostrennte: er ist aber so leichter, das ist ein Vorteil – und dann läßt jedes Loch Luft herein, das ist der zweite – ein gesunder Abkühlungsapparat.«

      Nach dieser Erörterung lächelte Herr Weller die versammelten Pickwickier freundlich an.

      »Schon gut«, sagte Herr Pickwick; »doch jetzt zur Sache, weswegen ich Euch habe rufen lassen.«

      »Sehr wohl, Sir«, unterbrach ihn Sam: »nur heraus damit, wie der Vater zu dem Kinde sagte, als es einen Pfennig verschluckt hatte.«

      »Vor allen Dingen möchte ich wissen«, fuhr Herr Pickwick fort, »ob Ihr aus irgendeinem Grunde mit Eurer gegenwärtigen Lage unzufrieden seid.«

      »Bevor ich auf diese Frage antworte«, versetzte Sam, »möchte ich gern wissen, ob Sie mir etwa zu einer bessern verhelfen wollen?«

      Ein Strahl gütigen Wohlwollens glänzte auf Herrn Pickwicks Angesicht, als er sagte:

      »Ich habe unter Umständen vor, Euch selbst in Dienst zu nehmen.«

      »Ach was?« sagte Sam.

      Herr Pickwick nickte bejahend.

      »Lohn?« sagte Sam.

      »Zwölf Pfund jährlich«, erwiderte Herr Pickwick.

      »Kleidung?«

      »Zwei Anzüge.«

      »Arbeit?«

      »Ihr wartet mir auf und begleitet mich und diese Herren hier auf Reisen.«

      »Also runter mit dem Bedientenbuch«, sagte Sam mit Nachdruck: »ich bin an einen einzelnen Herrn vermietet und mit den Bedingungen einverstanden.«

      »Ihr nehmt also die Stelle an?« fragte Herr Pickwick.

      »Gewiß«, erwiderte Sam: »wenn mir die Livree nur halb so gut paßt wie die Stelle, so wird's schon gehen.«

      »Ohne Zweifel werdet Ihr ein Zeugnis beibringen können?« fragte Herr Pickwick.

      »Wenden Sie sich deshalb an die Wirtin vom Weißen Hirsch«, versetzte Sam.

      »Könntet Ihr noch heute abend den Dienst antreten?«

      »Augenblicks stecke ich mich in Ihre Livree, wenn sie zur Hand ist«, entgegnete Sam äußerst vergnügt.

      »Sprecht heute abend um acht Uhr vor«, sagte Herr Pickwick, »und wenn meine Erkundigungen nach Wunsch ausfallen, werde ich für eine Livree sogleich Sorge tragen.«

      Mit Ausnahme eines einzigen liebenswürdigen Fehltritts, an dem ein Hausmädchen gleichen Anteil hatte, war der Bericht über Herrn Wellers Betragen so rein von jedem Makel, daß Herr Pickwick sich völlig beruhigt fühlte und noch am selben Abend den Vertrag mit dem neuen Diener schloß. Mit der Raschheit und Energie, die nicht nur die öffentlichen, sondern auch die Privathandlungen dieses außerordentlichen Mannes kennzeichneten, führte er den Diener in eins der Konfektionsgeschäfte, wo alte und neue Herrenanzüge vorrätig sind und man der lästigen und unbequemen Formalität des Maßnehmens überhoben ist. Noch vor Einbruch der Nacht war Sam Weller mit einem grauen Rocke mit P.-C.-Knöpfen, einem schwarzen Hut mit einer Kokarde, einer fleischfarbenen, gestreiften Weste, lichten Beinkleidern und Gamaschen und mehreren andern Erfordernissen, deren Aufzählung den Leser belästigen könnte, ausstaffiert.

      »Ich bin doch neugierig«, sagte unser plötzlich also verwandeltes Individuum, als es am nächsten


Скачать книгу