Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs. Charles Dickens

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Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs - Charles Dickens


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und ihre Niener sich, so gut es geht, im Pfauen behclfen wollen.«

      Nachdem Herr Pott seine Einladung mehrmals wiederholt und Herr Pickwick sich wiederholt mit der Erklärung gesträubt hatte, er könne sich nicht entschließen, Herrn Potts liebenswürdige Ehehälfte zu belästigen oder zu stören, ward man sich darüber klar, daß dies der einzig mögliche Ausweg sei. Und so wurde er denn begangen.

      Nach der gemeinschaftlichen Tafel im Stadtwappen schieden die Freunde. Herr Tupman und Herr Snodgraß verfügten sich in den Pfauen, und Herr Pickwick und Herr Winkle begaben sich in die Wohnung des Herrn Pott, nachdem sie zuvor ausgemacht hatten, sich am nächsten Morgen wieder im Stadtwappen zu versammeln und den Zug des ehrenwerten Samuel Slumkey auf den Wahlplatz zu begleiten.

      Herrn Potts Familie bestand aus ihm und seiner Ehehälfte. Alle Männer, die ihr Genius auf eine große Höhe in der Welt gestellt hat, haben gewöhnlich irgendeine kleine Schwäche an sich, die durch den Gegensatz zu ihrem öffentlichen Charakter noch mehr hervorgehoben wird. Hatte Herr Pott eine Schwäche an sich, so war es vielleicht die, daß er zu sehr unter dem Pantoffel stand. Wir fühlen uns nicht berechtigt, irgendeinen besonderen Nachdruck auf diese Tatsache zu legen, weil bei der gegenwärtigen Gelegenheit Herr Pott sein ganzes einnehmendes Wesen aufbieten mußte, um die beiden Herren bei sich einzuführen.

      »Meine Liebe«, sagte Herr Pott, »Herr Pickwick – Herr Pickwick aus London.«

      Madame Pott empfing den väterlichen Handdruck mit bezaubernder Anmut, und Herr Winkle, der noch gar nicht vorgestellt worden war, machte in einem dunklen Winkel Kratzfuß auf Kratzfuß, der nicht beachtet wurde.

      »Mein lieber Pott«, sagte Madame Pott.

      »Mein Leben«, sagte Herr Pott.

      »Bitte, stelle den andern Herrn vor.«

      »Bitte tausendmal um Verzeihung«, sagte Herr Pott. »Erlauben Sie – Madame Pott, Herr – Herr –«

      »Winkle«, ergänzte Herr Pickwick.

      »Winkle«, wiederholte Herr Pott, und die Zeremonie der Einführung war vorüber.

      »Wir müssen sehr um Entschuldigung bitten, Madame«, bemerkte Herr Pickwick, »daß wir schon nach einer so kurzen Bekanntschaft eine solche Störung in ihrem Hauswesen veranlassen.«

      »Sprechen Sie nicht davon, meine Herren, bitte«, versetzte die weibliche Hälfte der Pottschen Familie. »Es ist ein hoher Genuß für mich, ich versichere Sie, wenn ich nur wieder neue Gesichter sehe. Ich lebe so von einem Tag zum andern, von einer Woche zur andern in dieser Dunkelheit, und niemand besucht mich.«

      »Niemand, meine Liebe?« rief Pott in schalkhaftem Tone,

      »Niemand, als du entgegnete Madame Pott heftig.

      »Sie müssen wissen, Herr Pickwick«, erläuterte der Wirt die Klage seiner Frau, »wir sind von einer Menge Genüssen und Vergnügungen ausgeschlossen, an denen wir unter andern Verhältnissen teilnehmen könnten. Meine öffentliche Stellung als Herausgeber der Eatanswill-Zeitung, der Ruf, in dem dieses Blatt in der ganzen Gegend steht, mein bewegtes Treiben im Strudel der Politik –«

      »Mein lieber Pott«, unterbrach ihn Madame.

      »Mein Leben« – wollte der Herausgeber fortfahren.

      »Es wäre mir angenehm, mein Leben, wenn du versuchen wolltest, ein Thema zur Sprache zu bringen, an dem diese Herren sich auch vernünftig beteiligen können.«

      »Aber meine Liebe«, sagte Herr Pott mit großer Bescheidenheit, »Herr Pickwick nimmt Anteil daran.«

      »Gut für ihn, wenn er kann«, versetzte Madame Pott mit Nachdruck. »Ich wenigstens habe deine Politik für mein Leben satt, und die Zänkereien mit dem Unabhängigen und was dergleichen Unsinn mehr ist, widern mich an. Ich begreife nicht, Pott, wie du nur deine Albernheit so auskramen magst.«

      »Aber, meine Liebe« – sagte Herr Pott.

      »Pah! Unsinn, sprich mir nichts mehr davon«, unterbrach ihn Madame Pott. »Spielen Sie Ecarté>, mein Herr?«

      »Ich wäre unendlich glücklich, es unter Ihrer Anweisung zu lernen«, erwiderte Herr Winkle.

      »Gut; stell dieses Tischchen in das Fenster, und laß mich nichts mehr von deiner langweiligen Politik hören.«

      »Hannchen«, rief Herr Pott dem Mädchen zu, das die Lichter brachte, »geh hinunter in mein Studierzimmer und hole mir den Jahrgang von 1828 der Zeitung. Ich will Ihnen vorlesen –« fuhr der Herausgeber fort, sich an Herrn Pickwick wendend, »ich will Ihnen einige von meinen Leitartikeln vorlesen, die ich damals über den Narreneinfall der Gelben, einen neuen Zollgeldeinnehmer an unserm Schlagbaum anzustellen, schrieb; ich denke, sie werden Ihnen gefallen.«

      »Ich höre mit Vergnügen zu«, sagte Herr Pickwick.

      Der Jahrgang kam, der Herausgeber setzte sich, und Herr Pickwick nahm an seiner Seite Platz.

      Wir haben das Tagebuch Herrn Pickwicks vergebens durchblättert, in der Hoffnung, einen Auszug aus jenem schönen Aufsatze zu finden. Wir haben allen Grund, zu glauben, daß er von dem Feuer und der Frische der Darstellung ganz bezaubert wurde, und Herr Winkle erinnerte sich auch wirklich des Umstandes, daß Herrn Pickwicks Augen während der ganzen Dauer der Vorlesung wahrscheinlich im Übereifer des Genusses geschlossen waren.

      Die Ankündigung, daß das Essen bereit sei, machte dem Ecarté sowohl, als der Wiederholung der Schönheiten der Eatanswill- Zeitung ein Ende. Madame Pott war lauter Entzücken und hatte ihre rosenfarbenste Laune. Herr Winkle hatte schon bedeutende Fortschritte in ihrer guten Meinung gemacht, und sie trug kein Bedenken, ihm im Vertrauen die Mitteilung zu machen, daß Herr Pickwick »ein köstlicher Alter« sei, ein Ausdruck, der einen Grad von Familiarität verriet, den sich nur wenige von denjenigen erlaubt haben würden, die mit dem Riesengeiste des Mannes näher bekannt waren. Nichtsdestoweniger haben wir es aufgezeichnet, um dadurch zugleich einen rührenden und überzeugenden Beweis zu geben, wie sehr er bei jeder Klasse der Gesellschaft in Achtung stand, und wie leicht es ihm war, sich Herzen und Gefühle zu öffnen.

      Es war spät in der Nacht – lange nachdem sich Herr Tupman und Herr Snodgraß im hintersten Winkel des Pfauen dem Schlafe überlassen hatten – als sich die beiden Freunde zur Ruhe begaben. Die Sinne Herrn Winkles wurden bald vom Schlafe umfangen, aber seine Gefühle waren entzündet und seine Bewunderung erregt worden; und noch manche Stunden, nachdem der Schlaf ihn von der Außenwelt abgeschlossen hatte, schwebten das Angesicht und die Gestalt der reizenden Madame Pott seiner glühenden Einbildungskraft immer wieder vor.

      Das Getöse und der Lärm, der am folgenden Morgen gehört wurde, waren ausreichend, um jeden Gedanken, der nicht unmittelbar mit der bevorstehenden Wahl in Verbindung stand, dem verzücktesten Träumer aus dem Kopfe zu treiben. Das Rasseln der Trommeln, das Blasen der Hörner und Trompeten, das Schreien der Menschen und das Trappeln der Pferde hallte vom ersten Anbruch des Tages wieder und wieder durch die Straßen; und ein Gelegenheitsgefecht zwischen den Plänklern beider Parteien belebte die Vorbereitungen und brachte zugleich eine angenehme Abwechslung in das Ganze.

      »Nun, Sam«, sagte Herr Pickwick, als sein Diener in das Schlafzimmer trat, wie er eben seine Toilette vollendete. »Heute ist alles auf den Beinen, denke ich?«

      »Regelrechtes Wettrennen, Herr«, antwortete Herr Weller; »unsere Leute halten heute Versammlung drunten im Stadtwappen, und haben sich bereits heiser gejohlt.«

      »Ja«, fragte Herr Pickwick, »sie scheinen ihrer Partei ergeben, was Sam?«

      »Mein Lebtag sah ich keine solche Ergebenheit.«

      »Fabelhaft, nicht wahr?« fragte Herr Pickwick.

      »Unerhört«, erwiderte Sam. »Nie sah ich Leute so viel essen und trinken. Nimmt mich wunder, daß sie's nur ertragen können.«

      »Das ist eine zur Unzeit angebrachte Güte von der hiesigen Honoratiorenschaft«, versetzte Herr Pickwick.

      »Sehr möglich«, erwiderte Sam kurz.


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