Der gestohlene Bazillus. Herbert George Wells

Читать онлайн книгу.

Der gestohlene Bazillus - Herbert George Wells


Скачать книгу
Kopf, als überlegte er. Dann zog er – ganz deutlich sichtbar – eine gläserne Kugel aus seinem Kopf. »Etwas derart?« sagte er und hielt sie uns hin.

      Es kam mir ganz unerwartet. Ich hatte ja das Kunststück oft genug bei Vorstellungen ausführen sehen – es gehört einmal zum allgemeinen Programm der Zauberkünstler. – Aber hier war ich nicht darauf gefaßt gewesen. »Bravo!« sagte ich lachend.

      »Nicht?« sagte der Ladenmensch.

      Gip streckte seine freie Hand aus, um den Gegenstand an sich zu nehmen, fand aber nichts als eine leere Handfläche.

      »Es ist in deiner Tasche!« sagte der Mann. Wo es auch wirklich war!

      »Wie hoch kommt das?« fragte ich.

      »Glaskugeln berechnen wir nicht,« sagte der Mann höflich. »Wir beziehen sie« – er zog sich, während er sprach, eine aus dem Ellbogen – »gratis.« Darauf förderte er eine dritte aus seinem Nacken zutage und legte sie neben ihre Vorgängerin auf den Ladentisch. Gip besah sich seine Glaskugel aufmerksam, warf dann einen fragenden Blick auf die beiden andern auf dem Ladentisch und richtete hierauf seine rundäugige Aufmerksamkeit auf den Mann, der lächelte. »Du darfst die da auch nehmen,« sagte er, »und wenn du magst, noch eine dazu aus meinem Mund. Da!«

      Gip befragte mich einen Augenblick stumm um Rat, schob dann unter tiefem Stillschweigen die vier Bälle ein, kehrte zu meinem rettenden Finger zurück und bereitete seine Kräfte auf das nächste Ereignis vor.

      »Unsere kleineren Tricks beziehen wir alle nur auf die Weise,« bemerkte der Mann.

      Ich lachte, wie man über einen alten Witz lacht. »Statt nach dem Hauptdepot zu gehen,« sagte ich. »Selbstverständlich. Es kommt billiger.«

      »Auf eine Art,« sagte der Mann. »Obschon wir schließlich doch bezahlen. Aber nicht so viel, als die Leute meinen ... Unsere größeren Tricks und unsere Tagesbedürfnisse und was wir sonst brauchen beziehen wir hier aus dem Hut ... Sie müssen wissen, Herr – entschuldigen Sie die Freiheit! – es gibt kein Hauptdepot – nicht für echte Zauberartikel, Herr! Ich weiß nicht, ob Sie unser Firmenschild gesehen haben – ›Der echte Zauberladen‹ .« Er zog eine Geschäftskarte aus seiner Backe und händigte sie mir ein. »Der echte!« wiederholte er, mit dem Finger auf das Wort deutend, und fügte hinzu: »Kein Betrug – in keiner Weise, Herr!«

      Der scheint den Scherz ja recht ernsthaft durchzuführen, dachte ich.

      Darauf wandte er sich mit einem Lächeln von auffallender Beflissenheit an Gip. »Junge, weißt du, du bist von der rechten Sorte!« Ich war überrascht ob seiner Sachkenntnis. Denn im Interesse der Disziplin halten wir das sogar bei uns zu Hause ziemlich geheim. Gip dagegen nahm es mit unerschütterlichem Stillschweigen auf und sah ihn nur unentwegt fest an.

      »Bloß Jungens von der rechten Sorte kommen überhaupt durch die Tür da!«

      Und als eine Art Illustration zu diesem Ausspruch vernahmen wir im selben Augenblick ein Rütteln an der Tür und hörten eine schwächliche, piepsende, kleine Stimme: »'rein! Ich will aber 'rein, Väterchen, ich will 'rein! 'rein!« und darauf Töne eines mißhandelten Vaters, der tröstete und beschwichtigte.

      »Es ist geschlossen, Eduard!« klang es.

      »Aber es ist doch nicht,« sagte ich.

      »Doch, Herr!« entgegnete der Ladenbesitzer, »immer – für die Sorte von Kindern;« und während er das sagte, tauchte draußen flüchtig ein kleines, weißes, von Süßigkeiten und Überfütterung aufgedunsenes und von schlechten Neigungen verzogenes, fahles Gesichtchen auf – der andere Junge, ein trotziger, kleiner Egoist, der gegen die verzauberte Ladenfensterscheibe hämmerte. »Hilft nichts, Herr!« sagte der Mann, als ich, von meiner angeborenen Menschenfreundlichkeit getrieben, auf die Tür zuging. Gleich darauf hörten wir, wie das verzogene Kind heulend abgeführt ward.

      »Wie bringen Sie denn das zuwege?« fragte ich aufatmend.

      »Zauberei!« sagte der Mann mit einer gleichmütigen Handbewegung; und siehe da! Funken farbigen Feuers sprühten aus seinen Fingern und entschwanden im Dunkel des Ladens.

      »Hast du nicht gesagt,« wandte er sich darauf an Gip, »eben eh' du hereinkamst, du möchtest gerne eine Schachtel ›Kaufe mich und überrasche deine Freunde‹ ?«

      Gip, nach einer tüchtigen Kraftanstrengung, sagte: »Ja.«

      »Es ist in deiner Tasche.«

      Und sich über den Ladentisch beugend – der Kerl hatte wirklich einen ganz außergewöhnlich langen Körper – förderte der erstaunliche Mensch den genannten Gegenstand zutage – ganz auf die Art des üblichen Zauberkünstlers. »Papier!« sagte er dann und holte einen Bogen aus dem leeren Hut mit den Federn. »Bindfaden!« Und siehe da, sein Mund war ein Bindfadenbeutel, aus dem er ein endloses Stück Schnur zog, das er schließlich, nachdem er das Paket zugebunden hatte, abbiß und worauf er – so wenigstens erschien es mir – den Bindfadenknäuel verschluckte. Darauf steckte er an der Nase einer Bauchrednerpuppe eine Kerze an, streckte den einen Finger (der rot wie Siegellack aussah) in die Flamme und versiegelte damit das Paket. »Dann war da noch das ›Unsichtbare Ei‹ ,« fuhr er fort, zog eins aus meiner Brusttasche und packte es ein; ebenso das ›Schreiende Wickelkind, völlig menschlich‹ . Und ich reichte jedes Paket, sobald es fertig war, Gip, der es innig an sich drückte.

      Sagen tat er ja wenig; aber um so beredter waren seine Augen. Auch die Art, wie er mich anfaßte, war recht beredt. Er war der Spielball unaussprechlichster Erregungen. Man bedenke: echte Zauberei!

      Gleich darauf machte ich einen Luftsprung: ich entdeckte, daß sich in meinem Hut etwas bewegte – etwas Weiches, Flatterndes. Ich riß ihn vom Kopf und eine zerzauste Taube – zweifellos eine Mitverschworene – fiel heraus und lief über den Ladentisch, um – wie ich glaube – in einer Pappschachtel hinter dem Papiermachétiger zu verschwinden.

      »Ei, ei!« sagte der Ladenbesitzer, mir gewandt meinen Hut aus der Hand nehmend. »Leichtsinniger Vogel! Und hat – so wahr ich lebe – gebrütet!«

      Er schüttelte meinen Hut und schüttete in seine ausgestreckte Hand zwei oder drei Eier, einen großen Schusser, eine Uhr, ungefähr ein halbes Dutzend der unvermeidlichen Glaskugeln und zuletzt zerknittertes, zusammengeknülltes Papier, immer mehr und mehr und mehr, wobei er die ganze Zeit darüber redete, wie nachlässig die Menschen ihre Hüte innen und außen ausbürsteten – höflich natürlich, aber doch mit einer gewissen persönlichen Anzüglichkeit. »Alle möglichen Dinge sammeln sich an, Herr ... Ich meine nicht Sie im besondern ... aber fast bei jedem Kunden ... Ganz erstaunlich,was sie alles mit sich herumschleppen ...« Das zerknitterte Papier wogte und stieg auf dem Ladentisch, immer höher und höher, bis der Mann fast ganz verschwunden war, bis es ihn ganz und gar verdeckte; und immer noch ertönte die Stimme – fort und fort: »Keiner von uns weiß, was der äußere Schein eines menschlichen Wesens verbergen kann, Herr! Sind wir nicht alle nur glattgebürstete Außenseiten, weiße Grabmäler – –« Seine Stimme verstummte – genau wie wenn man mit einem wohlgezielten Backstein nach dem Grammophon seines Nachbars wirft – dasselbe plötzliche Verstummen; das Rascheln des Papiers hörte auf und alles war still ...

      »Sind Sie fertig mit meinem Hut?« sagte ich nach einer Pause.

      Es kam keine Antwort.

      Ich starrte Gip an und Gip starrte mich an; und in den Zauberspiegeln standen unsere Zerrbilder und sahen ganz sonderbar und ernsthaft und still aus ...

      »Ich denke, wir gehen jetzt,« sagte ich. »Wollen Sie mir sagen, was ich schuldig bin?«

      »Hören Sie?« sagte ich in etwas stärkerem Ton, »ich möchte die Rechnung; und meinen Hut, bitte!«

      Hinter dem Papier vor kam etwas wie ein Schnuppern ... »Wir wollen hinter dem Ladentisch nachsehen, Gip,« sagte ich. »Er hält uns zum Narren.«

      Ich führte Gip um den kopfnickenden Tiger herum. Und was glauben Sie, daß hinter dem Ladentisch war? Überhaupt niemand! Nichts als mein Hut auf dem Boden und ein gewöhnliches stutzohriges,


Скачать книгу