Die jüdischen Salons im alten Berlin. Deborah Hertz
Читать онлайн книгу.dieser eher düsteren Fakten gibt es optimistische Interpretationen hinsichtlich der Rolle der Berliner Kaufleute, ob diese nun Juden waren oder nicht. Eine Einschätzung verlegt sogar die Anfänge der industriellen Revolution in Preußen in diese Ära. Der Handel mit und die Produktion von Gütern für die Armee brachten den französischen und jüdischen Unternehmern während des Siebenjährigen Krieges so große Gewinne, daß Privatbanken aus Handelsunternehmen hervorgingen, die die Kredite und Investitionen organisierten. Die neue, 1803 eröffnete Börse bestätigt, wie notwendig die organisierte und öffentliche Koordination von Investitionen war. Neue Manufakturen wurden gegründet, die Gebrauchsgüter wie Wolle, Kriegsausrüstung, Münzen und Zucker oder Luxusartikel wie Bänder, Samt, Seide und Porzellan herstellten. Auch wenn einige Banken und Luxusgütermanufakturen die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts nicht überlebten, so hinterließen sie doch ein beträchtliches Erbe: qualifizierte Facharbeiter, beschleunigter Warenumschlag, neue Techniken und eine große Kapitalakkumulation. Wie man das institutionelle Klima einschätzen soll, in dem Berliner Kaufleute arbeiteten, hängt davon ab, welchen Stellenwert man der Produktion und Distribution von Luxusgütern für die Entstehung des modernen Kapitalismus einräumt. Jüdische Kaufleute spielten eine zentrale Rolle im Berliner Luxusgüter-Handel; die Hauptabnehmer von Luxusartikeln waren adlige Mitglieder der Hofgesellschaft und reiche Kaufleute. In einer Zeit, in der es riskant war, in Manufakturen zu investieren, war es ökonomisch sinnvoll, Gemälde, Schmuck und Edelsteine zu kaufen. Diese Geldanlage war gerade für Bürger, die auf legalem Wege kein Land erwerben konnten, am sichersten. Natürlich waren nicht alle Berliner Kaufleute Juden. Die meisten erfolgreichen nichtjüdischen Kaufleute kamen aus hugenottischen und slawischen Immigrantenfamilien. Einige nichtjüdische Kaufleute handelten mit Edelmetallen. Doch sie wurden durch keine staatliche Verordnung auf Münzprägung verwiesen, und dadurch fehlte ihnen der Anreiz, sich auf den Fernhandel mit Gold und Silber zu konzentrieren. Der Silberhandel und die Münzprägung spielten eine zentrale Rolle beim ökonomischen Aufstieg Preußens. Die rasche Entwicklung der kommerziellen Wirtschaft in Europa hatte zu einem Silbermangel geführt. Die jüdischen Münzpräger waren zu unverzichtbaren Lieferanten des Metalls geworden. Den nichtjüdischen Kaufleuten fehlten auch die internationalen Beziehungen der Juden, die für den Handel mit Metallen und Münzen wichtig waren. Wenn jüdische Finanziers Familienbanken eröffneten, um die Gewinne aus der Münzprägung und dem Luxushandel zirkulieren zu lassen, dann taten sie der Krone und dem Adel damit einen Dienst. Ihre „privaten“ Banken erfüllten noch bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts eine wichtige Funktion in Berlin. Nur wenige nichtjüdische Kaufmannsfamilien gründeten Banken, und die neue königliche Bank verfügte über zu wenig Kapital, um einflußreich zu werden. Im Verlauf des Jahrhunderts gerieten immer mehr Adlige in Geldnot, und folglich stieg von 1770 an die Zahl der Privatkredite, die jüdische Bankiers den verarmten Adligen gewährten. Da die Bankiers und Kaufleute ihre Büros zu Hause hatten und das Vergnügen an Luxusartikeln mit ihren Geschäftspartnern teilten, gestalteten sich die persönlichen Kontakte würdevoller und intimer.
Die damalige Rolle der jüdischen Stellvertreterbourgeoisie zeigt, wie stark die Macht des städtischen Handelskapitals durch die feudalen Strukturen begrenzt wurde. Im vorindustriellen Rahmen funktionierte die kleine Kaufmannsschicht eher wie eine geschlossene Kaste innerhalb des Adelsstandes, so daß von ihr keine Impulse für Industrialisierung oder soziale Umstrukturierung ausgehen konnten. Es ist zutreffend, vom kastenähnlichen Charakter der Kaufmannselite im Feudalismus zu sprechen, zumindest was Berlin anbetrifft. Denn sowohl die nichtjüdischen als auch die jüdischen Kaufleute waren durch einen breiten sozialen Graben von anderen gleicher Einkommensstufe getrennt, vor allem von Landbesitzern oder Beamten, aber auch von den unteren Schichten innerhalb ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft. Darüber hinaus war die Kluft, die nichtjüdische und jüdische Kaufleute – bedingt durch Sprache, Familiengröße und Lebensstil – voneinander trennte, genauso tief und breit wie die zwischen den Kaufmannseliten und den unteren Schichten.
Friedrich der Große hatte seine Vorstellungen durchgesetzt: Kaufleute beider Glaubensrichtungen ließen Kapital zirkulieren, ohne daß dadurch die Standesgrenzen tangiert wurden. Die reichen Kaufleute verursachten keine radikale Transformation der im wesentlichen starren Sozialstruktur. Trotz der absolutistischen und merkantilistischen Zwänge zahlte sich die Entscheidung, Juden im Land aufzunehmen, für die preußische Entwicklung aus. Indem sie Münzen prägten und in Umlauf brachten, das Heer mit Uniformen und Lebensmitteln versorgten, Adligen Kredite zu hohen Zinssätzen gewährten und örtliche Handwerker mit Rohmaterialien belieferten, förderten die reichen Juden Preußens die kommerzielle Entwicklung und taten sich dabei selbst einen guten Dienst.
Das Hauptparadoxon im jüdischen Leben während des letzten Viertels des 18. Jahrhunderts war, daß die kulturelle und soziale Integration trotz der entwürdigenden und starken rechtlichen Beschränkungen rasch voranschritt. Der damalige jüdische Wohlstand ist weit weniger erstaunlich als die kulturelle Anpassung und soziale Integration, die dieser Reichtum ermöglichte. Juden durften nur deshalb in Berlin leben, weil sie bestimmte ökonomische Funktionen übernahmen. Reichtum war eine notwendige Voraussetzung für die Berliner jüdische Elite, um sich kulturell anpassen und sozial integrieren zu können. Doch um spezifische Entwicklungen zu erklären, um eine Antwort auf die Fragen zu finden, warum reiche Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Berlin Bücher auf deutsch schrieben, ihre Töchter Henriette nannten und Fürsten zum Tee einluden, müssen wir mehr über das Leben in Berlin erfahren.
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