Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

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Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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liegt somit in den volkstümlichen Zügen derben oder traulichen Charakters. Aber auch jene plötzlichen Trübungen des hellen Bildes finden sich wieder, wenn auch seltener als in den Divertimenti65. Gerade hierin offenbart sich eine ganz unverkennbare Wesensgemeinschaft des Vaters mit dem Sohne, für dessen Kunst ja dieser "dämonische" Zug ebenfalls besonders bezeichnend ist66. Auch dessen "cantable" Art tritt, wenn auch ungleich schwächer, bereits in so manchen Allegrothemen Leopolds zutage67. Nur hat der Sohn den leichten Gesellschaftston dieser ganzen Kunst von Anfang an ins Schwungvolle, Ritterliche gesteigert, während der Vater sich in den Grenzen handfester Bürgerlichkeit hält. Aber auch im einzelnen laufen zwischen beiden deutlich erkennbare Fäden hin und her. So fällt z.B. bei L. Mozart in der Rhythmik die Vorliebe für die Synkope als Trägerin der Erregung auf68, in der Melodik die Neigung zu einer mit chromatischen Wechselnoten, Vorhalten u. dgl. gewürzten, oft merkwürdig schmerzlich gewundenen Figuration69, in der Harmonik endlich außer der bereits genannten charakteristischen Verwendung der Molltonart70 die Vorliebe für ganze Reihen von Sextakkordharmonien zum Ausdruck stillen Träumens oder leidenschaftlichen Drängens71. Das sind alles Züge, die dann später, unendlich gesteigert und vergeistigt, beim Sohne wiederkehren und zwar keineswegs, wie die unmittelbaren Anklänge an den Vater, bloß in den Jugendwerken. Es ist überhaupt schwer zu begreifen, wie man bei einer für fremde Einflüsse derart empfänglichen Natur wie der des jungen Wolfgang gerade den nächstliegenden, nämlich den des Vaters, hat leugnen können. L. Mozart ist gewiß kein Genie gewesen, aber eine selbständige künstlerische Persönlichkeit, deren Leistungen, an dem Maßstabe ihrer Zeit gemessen, alle Achtung verdienen. Wäre es nicht geradezu ein Wunder, wenn dieses Vorbild das einzige gewesen wäre, das an der Kunst des Sohnes spurlos vorüberging?

      Alle Zweifel an dem künstlerischen Ernst des Mannes beseitigt aber vollends sein 1756 erschienener "Versuch einer gründlichen Violinschule"72. Es war zwar nicht das erste Werk in seiner Art, wie er selbst und ihm folgend auch Jahn annahmen73, aber es hat an Einfluß und Lebenskraft alle seine Vorgänger weit überboten. Dieser Erfolg war wohl begründet, denn was hier erstrebt und geboten wird, geht weit über eine bloß technische Ausbildung hinaus. Die Anregung kam Mozart wiederum von Norddeutschland. Nicht nur dem Titel, sondern auch dem Geiste nach ist sein Werk ein Absenker des "Versuchs einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen" von Joh. Joach. Quantz, dem bekannten Kammermusiker und Hofkomponisten Friedrichs d. Gr.74. Quantz folgt Mozart in dem Hauptgrundsatz, daß alle äußere Technik nur Mittel zum Zweck, d.h. zur Erreichung eines geschmack- und seelenvollen Vortrags ist. So ist Mozarts Violinschule für das Geigenspiel dasselbe geworden, was des ebenfalls von Quantz beeinflußten Phil. E. Bach "Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen" 1753 für das Klavierspiel geworden war: eine Schule des Vortrags, und da der Vortrag noch im 18. Jahrhundert angesichts der selbständigen Mitarbeit, die der Komponist vom Spieler forderte, an diesen ganz andere Anforderungen stellte als heute, so ist Mozarts Werk neben den beiden genannten obendrein die Hauptquelle für unsere Kenntnis von der damaligen Musikübung überhaupt geworden.

      In seinem Grundsatz, daß die Aufgabe des Vortrags in der richtigen Wiedergabe der "Affekte" bestehe, erweist sich L. Mozart als gelehriger Schüler Ph. E. Bachs, mit dem er sich hier bis in einzelne Sätze hinein berührt. "Man muß sich bei der Ausübung selbst alle Mühe geben, den Affekt zu finden und richtig vorzutragen, den der Komponist hat anbringen wollen; ... Mit einem Worte, man muß alles so spielen, daß man selbst davon gerühret wird" (S. 260)75. Als das wesentlichste Erfordernis hierzu bezeichnet er für den Geiger den Bogenstrich als "dasjenige Mittelding, durch dessen vernünftigen Gebrauch wir die erst angezeigten Affekten bei den Zuhörern zu erregen in den Stand gesetzt werden. Ich verstehe", setzt er hinzu, "wenn der Komponist eine vernünftige Wahl trifft; wenn er die jeder Leidenschaft ähnlichen Melodien wählet, und den gehörigen Vortrag recht anzuzeigen weiß" (S. 123). "Denn der Halbkomponisten", sagt er anderswo (S. 137), "gibt es leider genug, die den Fleck neben das Loch setzen". "Mancher Halbkomponist", heißt es (S. 257), "ist von Vergnügen entzückt und hält nun erst von neuem selbst recht viel von sich, wenn er seinen musikalischen Galimathias von guten Spielern vortragen hört, die die ganze elende Schmiererei den Ohren der Zuhörer durch einen guten Vortrag erträglich zu machen wissen". Wie für Bach76, so ist auch für ihn das höchste Ziel ein einfacher und natürlicher Gesang, so daß man mit dem Instrumente, so viel es immer möglich ist, die Singkunst nachahme (S. 51); "wer weiß denn nicht, daß die Singkunst allezeit das Augenmerk aller Instrumentisten sein soll, weil man sich in allen Stücken dem Natürlichen, soviel es immer möglich ist, nähern muß?" (S. 108). Dabei geht es scharf über die Virtuosen her, die "zittern, wenn sie eine lange Note aushalten oder nur ein paar Noten singbar abspielen sollen, ohne ihre gewöhnlichen und ungeschickten Verzierungen einzumischen" (S. 51). Sie werden um so härter getadelt, da es ihnen meistens an der nötigen Kenntnis fehle, um zu wissen, wo sie ihre Verzierungen anbringen dürften, ohne geradezu Fehler in die Komposition zu bringen (S. 212, vgl. S. 196). Auch andere Fehler werden an den Virtuosen streng gerügt, wie das unausgesetzte Tremolo der Spieler, "die bei jeder Note beständig zittern, als wenn sie das immerwährende Fieber hätten" (S. 243), oder "das beständige Einmischen des sogenannten Flascholets" (S. 108), oder das alles Zeitmaß aufhebende Eilen und Schleppen der "Virtuosen von der Einbildung". "Viele", sagt er S. 266, "die von dem Geschmacke keinen Begriff haben, wollen bei dem Accompagnement einer konzertirenden Stimme niemals bei der Gleichheit des Taktes bleiben, sondern sie bemühen sich immer der Hauptstimme nachzugeben. Das sind Accompagnisten für Stümpler und nicht für Meister. Wenn man manche italienische Sängerin, oder sonst solche Einbildungsvirtuosen vor sich hat, die dasjenige, was sie auswendig lernen, nicht einmal nach dem richtigen Zeitmaße fortbringen: da muß man freilich ganze halbe Takte fahren lassen, um sie von der öffentlichen Schande zu retten. Allein wenn man einem wahren Virtuosen, der dieses Ruhmes würdig ist, accompagnieret, dann muß man sich durch das Verziehen oder Vorausnehmen der Noten, welches er alles sehr geschickt und rührend anzubringen weiß, weder zum Zaudern noch zum Eilen verleiten lassen, sondern allemal in gleicher Art der Bewegung fortspielen: sonst würde man dasjenige was der Concertist aufbauen wollte, durch das Accompagnement wieder einreißen. Ein geschickter Accompagnist muß also einen Concertisten beurteilen können. Einem rechtschaffenen Virtuosen darf er gewiß nicht nachgeben: denn er würde ihm sonst sein tempo rubato77 verderben. Was aber das gestohlene Tempo ist, kann mehr gezeigt, als beschrieben werden. Hat man hingegen mit einem Virtuosen von der Einbildung zu tun, da mag man oft in einem Adagio Cantabile manche Achtteilnote die Zeit eines halben Taktes aushalten, bis er gleichwohl von seinem Paroxysmus wieder zu sich kömmt; und es geht nichts nach dem Tacte: denn er spielt Recitativisch".

      Sein Hauptziel ist ein "rechtschaffener und mannbarer Ton" (S. 56): "was kann wohl abgeschmackters sein, als wenn man sich nicht getrauet, die Geige recht anzugreifen; sondern mit dem Bogen (der oft nur mit zweenen Fingern gehalten wird) die Saiten kaum berühret, und eine so künstliche Hinaufwispelung bis an den Sattel der Violin vornimmt, daß man nur da und dort eine Note zischen höret, folglich nicht weiß, was es sagen will, weil alles nur lediglich einem Traume gleichet" (S. 102 f.).

      Natürlich wird auf einen streng methodischen Gang des Unterrichtes der größte Wert gelegt; "hier steckt wirklich der größte Fehler, der sowohl von Meistern als Schülern begangen wird. Die ersten haben oft die Geduld nicht, die Zeit abzuwarten; oder sie lassen sich von dem Discipel verführen, welcher alles gethan zu haben glaubet, wenn er nur bald ein paar Menuette herabkratzen kann. Ja vielmal wünschen die Eltern, oder andere des Anfängers Vorgesetzte nur bald ein dergleichen unzeitiges Tänzel zu hören, und glauben alsdann Wunder, wie gut das Lehrgeld verwendet worden. Allein, wie sehr betrügt man sich!" (S. 59, vgl. 122). Überhaupt will er dem Schüler die Sache nicht zu bequem machen, er soll sich anstrengen und sich Mühe geben. So schreibt er zu Anfang der Übungen (S. 90): "Hier sind die Stücke zur Übung. Je unschmackhafter man sie findet, je mehr vergnügt es mich: also gedachte ich sie wenigstens zu machen", nämlich um zu verhüten, daß der Schüler sich nicht gewöhne aus dem Gedächtnis zu spielen.

      So ist diese Violinschule nach norddeutschem Vorbild zugleich eine Schule des musikalischen Denkens geworden78. Sie räumt zwar ein, daß ein besonderes Naturell manchmal den Abgang der Gelehrsamkeit ersetze und daß ein Mensch bei der besten


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