Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
Читать онлайн книгу.auf und nehme jenen Anforderungen nichts von ihrem Rechte.
Dies sind zugleich aber auch die Grundsätze, nach denen L. Mozart seinen eigenen Sohn erzogen hat. Wir haben allen Grund, ihm auch nach dieser Seite hin dankbar zu sein. Denn Wolfgangs ganze hohe und reine Auffassung von seiner Kunst stammt aus dieser Quelle.
Der Widerhall des Werkes war denn auch in Norddeutschland besonders freundlich. Marpurg, auf dessen Urteil sich Mozart in der Vorrede berufen hatte, pries in seiner Anzeige die Vereinigung des "gründlichen und geschickten Virtuosen, des vernünftigen und methodischen Lehrmeisters und des gelehrten Musikus" und verglich den Verfasser mit Geminiani79; er suchte ihn hauptsächlich daraufhin für seine kritischen Briefe zu gewinnen80. Zelter schreibt81: "Seine Violinschule ist ein Werk, das sich brauchen läßt, solange die Violine eine Violine bleibt, es ist sogar gut geschrieben". Aber auch der Süddeutsche Schubart meint82: "Durch seine Vorschule, die in sehr gutem Deutsch und mit tiefer Einsicht abgefaßt ist, hat er sich ein großes Verdienst erworben. Die Beispiele sind trefflich gewählt und seine Applikatur ist nichts weniger als pedantisch. Er neigt sich zwar zur Tartinischen Schule, läßt aber doch dem Schüler mehr Freiheit in der Bogenlenkung als dieser."
Das Lob des guten Stils ist tatsächlich wohl berechtigt. Er ist das treue Abbild des Mannes selbst mit seinem klaren Verstand und seinem trockenen, manchmal beißenden Humor.
Ein Mann von solchem Charakter und solchen geistigen Ansprüchen war natürlich weder als Untertan noch als Mitbürger besonders bequem und litt selbst je länger je mehr unter der Salzburger Enge. Der Hof legte keinen Wert auf selbständige Naturen in seinem Dienst. Die Fachgenossen aber stießen den ehrenfesten Mann teils durch geistige Armut, teils durch liederlichen Lebenswandel ab. Die Bürgerschaft endlich schätzte ihn zwar als guten Musiklehrer, aber ohne wärmere persönliche Neigung. Er fühlte, daß er zu diesem Menschenschlag nicht paßte. "Der Geist der Salzburger", sagt Schubart83, "ist äußerst zum Niedrig-Komischen gestimmt. Ihre Volkslieder sind so drollig und burlesk, daß man sie ohne herzerschütternde Lache nicht hören kann. Der Hanswurstgeist84 blickt allenthalben durch und die Melodien sind meist vortrefflich und wunderschön." Eben dieser Hanswurstgeist, der Schubart so gut gefiel, war dem schwerblütigen L. Mozart im Innersten zuwider. Auch sonst wissen Vater und Sohn den Salzburgern noch so manches vorzuwerfen, was allerdings mehr allgemein kleinstädtisch als speziell salzburgerisch ist, so namentlich Klatschsucht und Schwerfälligkeit des Geistes. Kurz, L. Mozart bekam alle Schattenseiten kleinstädtischen Lebens zu kosten, und das Ende war wie gewöhnlich: daß manches davon auch an seinem eigenen Wesen hängenblieb.
Am 21. November 1747 heiratete L. Mozart Anna Maria Pertl85, die Tochter des Pflegekommissars des Stiftes von St. Gilgen im Salzkammergut (Beil. I 3), geboren den 25. Dezember 1720 zu Hüttenstein bei St. Gilgen. "Heut ist die Jahrszeit unsers Hochzeitstags", schreibt er ihr am 21. November 177286. "Es wird, wie [ich] glaube, 25 Jahre seyn, daß wir den guten Gedanken hatten, uns zu verheyrathen. Diesen Gedanken hatten wir zwar viele Jahre zuvor. Gute Dinge brauchen Zeit!" Beide galten damals für das schönste Ehepaar von Salzburg, und die erhaltenen Bildnisse widersprechen dem nicht.
Der vom Beispiel Goethes entlehnte Satz, daß große Männer Begabung und Bildung wesentlich ihren Müttern verdanken, trifft auf Mozart nicht zu, denn "Maria Anna Mozartin" erhob sich in keiner Hinsicht über den Durchschnitt ihres Geschlechtes. Der einzige scharf hervortretende Zug ihres Wesens, der auf den Sohn übergegangen ist, war die echt Salzburgische Neigung zum Derbkomischen. Überhaupt huldigte sie einer weit lässigeren und heitereren Lebensanschauung als ihr Gatte und hat auch von dem Vorrecht ihres Geschlechtes, das Persönliche dem Allgemeinen voranzustellen, ausgiebigen Gebrauch gemacht. So zeigt sie sich über alle persönlichen und familiären Verhältisse, und zwar nicht bloß in Salzburg, stets wohlunterrichtet. Dabei besaß sie einen hellen Verstand und eine gute Beobachtungsgabe. Vor allem war sie mit der schwerblütigen und peinlich gewissenhaften Art des Gatten aufs genaueste vertraut und suchte die zahlreichen Mühen und Sorgen, die ihm daraus erwuchsen, nach Kräften von ihm fernzuhalten. Bei dem ewig mißtrauischen Manne ist ihr das nicht immer leicht geworden, und manche Unannehmlichkeit mag sie ihm nicht bloß aus Klugheit, sondern auch aus Ängstlichkeit verschwiegen haben. Aber sie hing mit zärtlicher Liebe an ihm und ordnete sich dem strengen häuslichen Regimente, das er selbstverständlich ohne weiteres auch auf sie ausdehnte, willig unter. Allerdings litt dabei ihre eigene Autorität bei den Kindern. Das zeigte sich namentlich auf der Pariser Reise, wo sie wider bessere Einsicht weder das Temperament des Sohnes zu zügeln noch seiner Liebenswürdigkeit zu widerstehen vermochte. Daß sie auch musikalisches Verständnis hatte, beweist ihr Urteil über Holzbauers "Günther von Schwarzburg" in Mannheim87 sowie ihre Freude an Opern- und Komödienaufführungen überhaupt; auffallend ist auch ihre lebhafte Anteilnahme an den politischen und kriegerischen Ereignissen jener Zeit.
So haben sich die beiden Gatten in ihrem Wesen glücklich ergänzt und darauf beruht die treue und herzliche Liebe, die sie untereinander und mit den Kindern verband. Ein sittlich durchaus gesunder und reiner Geist herrschte im Mozartschen Familienleben, und an ihm fällt auch der Mutter ihr guter Anteil zu. Vor allem ist sie ihren Kindern doch eine wirkliche Mutter gewesen, bei der sie stets eine Zuflucht fanden, wenn die strenge Hand des Vaters allzu schwer auf ihnen lastete, und was gerade ihr abgöttisch geliebter und bewunderter Sohn an ihr verlor, davon legt der ergreifende Brief, den er nach ihrem Tode aus Paris an Bullinger geschrieben hat, ein beredtes Zeugnis ab.
Von sieben Kindern, welche in dieser Ehe geboren wurden (Beil. I, 4), erhielten sich nur zwei am Leben, eine Tochter Maria Anna, in der Familie Nannerl genannt, geboren den 30. Juli 1751 (Beil. II), und ein Sohn Wolfgang, geboren den 27. Januar 1756 (Beil. I, 5)88. Seine Geburt hätte der Mutter beinahe das Leben gekostet, sie vermochte sich erst nach geraumer Zeit von einer besorgniserregenden Schwäche zu erholen.
Die Tochter zeigte ein so entschiedenes Talent zur Musik, daß der Vater früh mit ihr den Unterricht im Klavier begann. Dies machte auf den etwa dreijährigen Knaben einen großen Eindruck; er setzte sich auch ans Klavier und konnte sich dort lange mit dem Zusammensuchen von Terzen unterhalten, die er unter Freudenbezeugungen über seinen Fund zusammen anschlug; auch behielt er hervortretende Stellen der Musikstücke, die er hörte, im Gedächtnis. Im vierten Jahre seines Alters fing der Vater gleichsam spielend an, ihn einige Menuette und andere Stücke auf dem Klavier zu lehren; in kurzer Zeit konnte er sie mit der vollkommensten Sauberkeit und mit dem festesten Takte spielen. Bald regte sich in ihm der eigene Schaffenstrieb; im fünften Jahre komponierte er kleine Stücke, die er seinem Vater vorspielte und von diesem zu Papier bringen ließ89.
Die meisten Anekdoten aus Mozarts Kinderjahren, die von dem frühen Aufleuchten seines Genies berichten, stammen aus einem Briefe, den Joh. Andr. Schachtner, seit 1754 Hoftrompeter in Salzburg (gest. 1795), bald nach Mozarts Tode an dessen Schwester schrieb. Schachtner war bei den Jesuiten in Ingolstadt in die Schule gegangen und hatte sich neben seiner musikalischen auch eine gründliche literarische Bildung erworben90. Die Übersetzung eines geistlichen Schauspiels "Der heil. Augustin in seiner Bekehrung" aus dem Lateinischen des Paters Frz. Neumayer trug ihm von Gottsched das Lob ein, es fehle nicht viel, so könne man von ihm sagen, er schriebe gut Deutsch, ja, er mache auch gute deutsche Verse91. Dies mochte Veranlassung sein, daß Gottsched einen Band seiner Gedichte mit einer Vorrede begleitete; durch diese Gedichte, so heißt es dort, wie durch ein später herausgegebenes geistliches Schauspiel "Die menschliche Wanderschaft" habe er gezeigt, "daß er weder damals noch izt hätte dichten sollen"92. Wir werden ihn später auch an deutschen Operntexten für Mozart beteiligt finden. Er verkehrte sehr viel im Mozartschen Hause, und für seine Anhänglichkeit legt der folgende treuherzige Brief ein beredtes Zeugnis ab93.
"Hochwohledelgeborne gnädige Frau!"
"Deroselben sehr angenehmes Schreiben traff mich nicht in Salzburg, sondern in der Hammerau an, wo ich eben bey meinem Sohne dortigem Mitbeamten beim Obverwesamt auf einen Besuch war; aus meiner sonstigen Willfährigkeit gegen Jedermann, und vorzüglich gegen das Mozartische Haus, können Sie schließen, wie sehr leid mir war, daß ich nicht auf der Stelle Ihren