Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
Читать онлайн книгу.(auch "Trio" genannt) fehlen nicht. Ebenso ist der Charakter der Stücke äußerst verschieden. Die einen weisen noch ganz die steifleinene Würde des alten Tanzes auf, andere schwelgen in Anmut oder Laune, ein dritter Teil streift sogar das Finstere und Schmerzliche. Nur das Volkstümlich-Derbe und Witzige im Sinne Haydns fehlt, und nach dieser Richtung hin hat das Notenbuch dem späteren Mozartschen Menuettypus entschieden vorgearbeitet. Auch der Unterschied zwischen gesangsmäßigen und rein auf Spielfiguren gestellten Menuetten ist deutlich ausgeprägt.
Endlich ist auch die Rondoform mit einzelnen Stücken vertreten.
Harmonik und Modulation beschränken sich, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, auf das Allereinfachste. Selbst der seit Scarlatti namentlich in Süddeutschland rasch beliebt gewordene plötzliche Wechsel von Dur und Moll fehlt. Eine Bezifferung tritt nur selten auf. Doch hatte der Knabe natürlich auch da, wo sie fehlt, die Harmonie von sich aus zu ergänzen. Ihn mit dieser wichtigen Seite der alten Vortragskunst bekanntzumachen war wohl einer der Hauptzwecke des Buches. Dagegen hat es der Vater mit dem Ausschreiben der Verzierungen sehr genau genommen. Ein Vergleich seiner Liedsätze mit den Vorlagen Gräfes gibt lehrreiche Aufschlüsse über die Art, wie derartige Stücke damals ausgeschmückt wurden.
Die Technik der Stücke ist, der Leistungsfähigkeit des Knaben entsprechend, verhältnismäßig bescheiden; sie beschränkt sich auf die um 1750 üblichen, teils skalenhaften, teils akkordlichen Figuren. Die fortgeschrittensten Stücke lassen mit dem Überschlagen der Hände, den Baßoktaven und dem Registerwechsel den Einfluß D. Scarlattis erkennen. Bei einem Stück (Nr. 3, 5) hat L. Mozart auch den Fingersatz vermerkt.
So ist dieses Notenbuch für die Hausmusik um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine Quelle ersten Ranges. Seine systematische Anordnung, die von den willkürlich zusammengeschriebenen anderen Handschriften aus dieser Zeit scharf absticht, beweist aufs neue L. Mozarts methodischen Geist und seine umfassende Literaturkenntnis. Wolfgangs erste Entwicklung aber tritt damit in ein ganz neues Licht, denn sie stand, wie das Buch klar und deutlich beweist, weit stärker unter dem Einfluß der norddeutschen Kunst, als man bisher geahnt hat. Zum Teil war diese Schule entschieden gut; sie lehrte ihn, was geregelte Klarheit der Gedanken und übersichtliche und eindringliche Formgebung in der Kunst zu bedeuten haben, und was sich mit einfacher, aber charaktervoller Arbeit und straffer Rhythmik auch ohne verwickelte harmonische Künste erreichen läßt. Bedenklicher war, daß er seine ersten Eindrücke vom kunstmäßigen Liede aus der Schule des Sperontes empfing, deren einseitige Vorliebe für Tanzlied und Parodie in Norddeutschland selbst bereits seit Telemann überwunden war. Tatsächlich hat es ziemlich lange gedauert, bis Mozart dieses Erbstück vollständig los wurde. Noch in dem Liede "Geheime Liebe" aus dem Jahre 1772 (K.-V. 150) weist nicht allein die Wahl des Güntherschen Gedichtes, sondern obendrein noch ein wörtlicher Anklang an das Lied "Liebste Freiheit, fahre hin"121 auf Sperontes hin, wie auch das Lied "An die Freude" (K.-V. 53), Mozarts erstes originales Lied, mit seiner streng viertaktigen Gliederung in diesen Zusammenhang gehört. Aber auch in "Bastien und Bastienne" verrät die ausgesprochene Vorliebe für das Tanzlied noch denselben Geist. Sein letztes Lebenszeichen bei Mozart sind die beiden 1778 in Mannheim komponierten französischen Lieder (K.-V. 307 und 308).
Die sichtbarsten Spuren hat das Notenbuch indessen in Mozarts allerersten Kompositionen hinterlassen. Bezeichnenderweise sind es mit einer einzigen Ausnahme Menuette122. Sie stammen zwar alle aus den Jahren 1761 und 1762, also aus der Zeit vor der Widmung des Notenbuches123, beweisen aber doch durch Form und Inhalt, daß Wolfgang schon vorher mit der in dem Buche vertretenen Kunst genau bekannt war. Von den Menuetten haben drei denselben, wohl vom Vater gegebenen Baß (K.-V. 2, 4, 5). Die Aufgabe war dabei, darüber Menuette von verschiedenem Charakter zu bilden. So entstanden das steifleinene, altmodische erste, das an Telemann erinnert, das flüssige zweite und das kapriziöse dritte. Form, Harmonik124 und Melodik sind genau dieselben wie im Notenbuch. Die beiden ersten gehören insofern zusammen, als sie sich aus einem Motiv entwickeln, das sich im ersten auch noch in das Trio hinein fortsetzt125. Sie haben vor den drei anderen auch noch die gesangsmäßige und kindliche Haltung voraus, die sich im ersten besonders in dem Schwelgen in volkstümlichen Terzengängen kundgibt126. In herzhaftem süddeutschem Volkston ist endlich auch das Allegro (K.-V. 3) gehalten, es ist zugleich Mozarts erstes voll entwickeltes dreiteiliges Lied (mit wiederholtem erstem Teil).
Allen diesen Erstlingen ist eine außerordentlich klare und übersichtliche Form gemein. Indessen muß man sich dabei doch vor vorschnellen Schlüssen auf die damaligen Fortschritte des Knaben hüten. Hinter ihnen allen steht der Vater mit seiner ordnenden und bessernden Hand, die keine Mängel und Ungeschicklichkeiten durchgehen ließ. Was der Knabe zustandebrachte, wenn sie ihm fehlte, dafür wird uns sehr bald ein merkwürdiges Zeugnis begegnen.
Fußnoten
1 Th. Kroyer DTB X 1, p. LXVII f., O. Ursprung, J. de Kerle, München 1913 (Dissertation).
2 Vgl. A. Buff, Münchener Allg. Zeitung vom 15. Juli 1891 und Zeitschr. des Histor. Vereins für Schwaben und Neuburg XVIII, 1891, S. 1 ff., J. Ev. Engl, Festschr. zur Mozart-Zentenarfeier Salzburg 1891. Ein Stammbaum bei Schurig, Mozart I, vor Kapitel 1, vgl. ebenda S. 511 f. Der älteste Träger des Namens, der in Augsburg urkundlich nachweisbar ist, ist Christoph M. (Stoffel) 1551. Ein verwandtschaftlicher Zusammenhang zwischen ihm und der Familie des Komponisten läßt sich indessen weder bei ihm feststellen, noch bei dem Maler Anton M., der um 1573 geboren ist. Ebensowenig sind bis jetzt hinsichtlich des Wundarztes Leopold M. (geb. um 1765 in Pfaffstädt bei Mattighofen) und seines Bruders, des Musikers Philipp M., urkundliche Beweise ihrer Zugehörigkeit zum Stamme des Komponisten erbracht worden. Vgl. 23. Jahresbericht des Mozarteums 1903, S. 18. Vorsicht ist dabei um so mehr geboten, als der Name M. mit seinen verschiedenen Spielarten in Süddeutschland ziemlich häufig ist.
3 Das Ölbild im Mozarteum stellt nicht ihn, sondern seinen Sohn Leopold dar, vgl. Engl, S. 21.
4 S. Beil. I 1.
5 Sein Geburtshaus in der Frauengasse trägt jetzt eine Gedenktafel. Die Taufurkunde Beil. I 2.
6 St. Ulrich war eines der Benediktinerklöster, die die Salzburger Universität gestiftet hatten und teilweise unterhielten. Vgl. R.P. Hist. univ. Salisb. p. 29 ff., 90 f. Meyer, Die ehemalige Universität Salzburg, S. 4. Diese Verbindung hat wohl auch L. Mozart später bestimmt, die Universität Salzburg als Student zu beziehen.
7 B III 214.
8 B I 78.
9 B III 223.
10 Vgl. A. Hammerle, Mozart und einige Zeitgenossen, Neue Beiträge für Salzburgische Geschichte, Literatur und Musik, Salzburg 1877.
11 Die Frage hängt davon ab, ob man L. Mozart als den Verfasser der Notizen bei Marpurg, Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik, Berlin 1757, III 183 ff. anerkennt oder nicht. Hammerle verneint es im Hinblick auf die Universitätsakten, Seiffert dagegen weist, meiner Ansicht nach mit Recht, in seiner Einleitung zu DTB IX 2, S. IX auf die Korrespondenz zwischen Marpurg und Mozart sowie auf die unverkennbar Mozartsche Haltung des ganzen Berichtes hin.
12 Seiffert a.a.O. S. XII.
13 Seiffert S. XIII-XVII, wo auch der Text der ersten Passionskantate abgedruckt ist.
14 Hammerle a.a.O. S. 13 ff. Köchel S. 32 vermutet hinter den Initialen J.A.W. den Kuraten Joh. Ad. Wieland.
15 So erklärt sich Mozarts Angabe in seinem Gesuche von 1778 (bei Pirckmayer, Zur Lebensgeschichte Mozarts, Mitteilungen der Gesellsch. f. Salzb. Landeskunde XVI 145), er diene dem Erzstift 38 Jahre. Auch in dieser Stellung führte er noch den Titel "Hochfürstl. Salzburgischer Kammerdiener". S. das Hochzeitsamtsprotokoll bei Engl S. 16, der auch weiteres aus seiner Studien- und Amtszeit mitteilt. So erhielt er z.B. 1753 wegen einer "Verthätigungsschrift" gegen den Priester Egglstainer und den Grafen Thun einen Verweis und mußte Abbitte leisten.
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