In Freiheit dienen. Magnus Malm

Читать онлайн книгу.

In Freiheit dienen - Magnus Malm


Скачать книгу
oder eher noch einer Bedingung: Öffne dein Inneres und fühle mit deinem ganzen Wesen, wie Gott dich liebt. Lobpreis und andere Musik sind zusammen mit visuellen Effekten und Stimmlagen genau darauf ausgerichtet, dass wir spüren können, wie sehr wir heute Abend geliebt werden.

      Dies hat zwei mögliche Folgen:

      1. Sie kommen für einen Moment in eine Wohlfühl-Stimmung, die am nächsten Morgen im Büro wie weggeblasen ist.

      2. Das Gefühl will sich einfach nicht einstellen. Stattdessen werden Sie (in unterschiedlichem Ausmaß) von Frust gegenüber Gott, der Situation und sich selbst erfüllt.

      Wie gesagt: Eine tief gehende Erfahrung kann nicht nur von Worten und Gedanken hervorgerufen werde. Auch nicht von einem zeitweiligen Gefühl. Das Einzige, das eine nachhaltige Wirkung haben kann, ist eine Erfahrung. Dabei ist es wichtig, den Unterschied zwischen Erlebnis und Erfahrung zu kennen. Ein Erlebnis ist kurzfristig, wird meist positiv gesehen und berührt nur die Gefühlswelt. Eine Erfahrung berührt den ganzen Menschen und erstreckt sich über die ganze Bandbreite zwischen Schmerz und Freude und hat eine langfristige Wirkung.

      In seinen Geistlichen Übungen führt Ignatius von Loyola uns in Meditationen über Gottes Liebe ein und agiert dabei ganz anders, als wir von anderen Meditationen über Bibelstellen gewohnt sind. Würde Glaube kognitiv funktionieren, wäre es denkbar einfach; man liest ein paar Bibelstellen, in denen steht, dass Gott uns liebt, und dann setzt sich diese Erkenntnis fest. Ignatius beginnt hingegen mit einer Reflexion, die bei näherer Betrachtung jeder selbstverständlich aus seiner eigenen Erfahrung kennt: »Die Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden.«6

      Von diesem Ausgangspunkt her sind wir aufgefordert, darüber nachzudenken, wie Gott ganz praktisch seine Liebe gezeigt hat. In den Wundern der Schöpfung, in der Geschichte, in Jesus Christus, im eigenen Leben. Ignatius von Loyola folgt hier der gleichen Pädagogik, die auch Paulus in seiner kurzen und improvisierten Predigt in der griechischen Stadt Lystra verfolgte. Dort hatte niemand einen anderen Anhaltspunkt für Gottes Liebe als seine eigenen alltäglichen Erfahrungen: »Doch nie hat es eine Zeit gegeben, in der keine Zeugen für ihn lebten. Immer gab es etwas, das an ihn erinnern sollte; so schenkte er euch Regen und gute Ernten, Nahrung und fröhliche Herzen« (Apostelgeschichte 14,17). Also: Lasst uns den Spuren von Gottes Güte zurück zur Quelle folgen.

      Ein irischer Jesuit, Brendan Comerforth, erzählte einmal, wie er einen Mann durch diese Art von Meditation geführt hat. Dieser Mann war unter schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, bekam aber dennoch die gleiche Aufgabe wie alle anderen: Geh in deiner Geschichte zurück und versuche, Hinweise darauf zu finden, dass Gott sich zu erkennen gegeben und gezeigt hat, dass er dich liebt.

      Am Tag darauf kam der Mann zurück und erklärte ziemlich mürrisch, dass er nie auch nur die kleinste Spur von Gottes Liebe während seiner Jugend entdeckt hatte. Ein unsicherer Mentor hätte vielleicht die Spur gewechselt und dem Mann in dieser Situation eine andere Übung aufgegeben. Aber Brendan wusste, was er tat, und gab dem Mann am nächsten Tag die gleiche Aufgabe.

      Da kam der Mann mit Tränen in den Augen zurück und erklärte, er habe es ehrlich versucht, aber in seiner Vergangenheit nichts anderes als Dunkelheit und Beklommenheit sehen können. Nur äußerst widerwillig ließ er sich auf Brendans geduldige Aufforderung ein, die Übung nicht aufzugeben und sie noch einmal zu wiederholen.

      Als er am nächsten Tag zurückkehrte, hatte der Mann wieder Tränen in den Augen, diesmal jedoch aus einem anderen Grund. Er erzählte, dass er etwas gesehen habe, was er nie zuvor gesehen hatte. Über die Details schweigt sich die Geschichte aus, aber der Mann hatte gesehen, wie Gott ein ums andere Mal sein Leben berührt hatte, wenn es ihm am dunkelsten erschien. Das hatte er nie zuvor bemerkt.

      Und er hätte es auch nie sehen können, wäre er nicht mit offenen Augen zielgerichtet in seine schwärzesten Dunkelheiten gegangen. Nur in der Wahrheit können wir Gott begegnen. Wie bei den Einwohnern von Lystra wartete Gottes Liebe in den persönlichen Erfahrungen des Mannes.

      Ein Ja zum Genug finden

      Es ist ein großes Wunder, wenn sich das Gottesbild eines Menschen verändert. Ein noch größeres Wunder ist es, wenn sich das Selbstbild eines Menschen verändert. Das Selbstbild ist das Persönlichste, was ein Mensch hat. Es gleicht einem Filter, durch den alles gesiebt und interpretiert wird. Erst durch eigene solide Gottesbegegnungen sickert eine stärkere Kraft in dieses Selbstbild ein und verändert es von Grund auf. Und so gewinnt in der Konfrontation mit all den bekannten und als selbstverständlich vorausgesetzten Mantras darüber, wie einsam, unverstanden und ungeliebt man ist, langsam eine größere Kraft an Boden.

      Diese Art, hinter und in das Selbstbild hineinzuschauen, hat eine zutiefst heilende Wirkung. Jesus sah Zachäus, als alle anderen nur einen Ausbeuter und römischen Kollaborateur sahen. Kein Wort darüber, wie er so reich geworden war, kein Wort darüber, wie er sein Leben verändern sollte. Einzig, dass Jesus freiwillig zu ihm nach Hause kam und mit ihm aß, löste eine Lawine in seiner mühsam aufgebauten Egozentrik aus. So öffnete er sein Herz und sein Portemonnaie für Gott und andere Menschen (Lukas 19,1-10).

      Der Großkonzern Tetra Pak produziert Verpackungen auf der ganzen Welt und wirbt mit einem einfachen Slogan: Schützt, was gut ist. Und so ist es. Erst, wenn etwas wertvoll ist, schützen wir es. Ein Mensch mit geringem Selbstwert hat eine geringere Hemmschwelle, sich für das zu entscheiden, wovon er weiß, dass es schlecht ist. »Schließlich bin ich ja sowieso so schlecht, dann spielt das keine Rolle.« Vielmehr bestätigen seine Entscheidungen sein niedriges Selbstbild noch.

      Wenn die eigene innere Wertschätzung niedrig ist, ist es auch schwierig, der Arbeit Grenzen zu setzen. Jeder Extraauftrag wird unwiderstehlich, denn dadurch bekommt der Selbstwert die Chance, ein bisschen zu wachsen. In einem solchen Fall kämpfen Ehefrau, Mann, Kind und andere vergeblich darum, das Tempo eines Menschen zu bremsen. Eigentlich ist es nicht der Job, den man vor dem Hinterfragen der anderen verteidigt, sondern die eigene Existenz. Und diese ist nun einmal nicht verhandelbar. Einmal mehr prallen alle Worte darüber, wie wichtig man als Person ist, an der viel schwerwiegenderen Erfahrung ab, dass man überhaupt nicht wichtig ist.

      Nötig ist eine Erfahrung aus einem anderen Lebensbereich als der Arbeit, um den krampfartigen Griff um diese lösen zu können. Die Jagd nach mehr Kompetenz und mehr geistlichen Gaben hört erst auf, wenn Sie sich ernsthaft dafür entscheiden, die erste und entscheidende Gabe aus Gottes Hand entgegenzunehmen: sich selbst. Das kann mit einem ganz hypothetischen Gedanken, noch weit weg von einer wirklichen Überzeugung, beginnen:

      »Angenommen, ich bin kein misslungenes halb fertiges Wesen, das erst durch eine lange Ausbildung und ein erfolgreiches Berufsleben einen Wert erhält. Angenommen, Gott hat mich genau als die Person geschaffen, die er sich gedacht hat. Angenommen, ich bin ein Abbild Gottes, das Gott widerspiegelt, indem ich bin, nicht indem ich etwas tue.« Dann können Sie sich direkt an Gott wenden und sagen:

      »Vater, ich nehme mich selbst als Gabe aus deiner Hand an. Ab jetzt werde ich nicht mehr schlecht über das reden, was du geschaffen hast. Ab jetzt werde ich dein Abbild mit größerem Respekt behandeln und meine Grenzen schützen.«

      Wenn Sie das einige Wochen oder einige Monate lang durchziehen, können Sie eines Tages vielleicht nackt vor dem Spiegel stehen und ehrlich zu Gott und sich selbst sagen: »Völlig okay. Völlig okay.« Dann ist etwas sehr Wichtiges passiert. Dann müssen nicht länger Ausbildung, Geistlichkeit, Amtskleidung oder Erfolge wie ein Feigenblatt Ihr dürftiges Selbstbild bedecken. Dann muss die glitzernde Weihnachtsdekoration keinen grauen und struppigen Baum mehr verdecken. Dann kann man von innen heraus wachsen, wie Früchte aus einem Weinstock.

      Wie weit können wir auf diesem Weg kommen? Manche Menschen haben schließlich so tiefe Wunden, dass sie das ganze Leben damit kämpfen, den Kopf über Wasser zu halten und nicht in Selbstverachtung zu versinken. Man kann einen Schimmer von Gottes Güte und Barmherzigkeit ahnen, nur um am nächsten Tag wieder von Dunkelheit und Zweifel überwältigt zu werden. Ist es für solche Menschen zu spät? Ist ihnen der Weg zu christlicher Führung versperrt?

      Es gibt ein segensreiches unscheinbares Wort, das heutzutage


Скачать книгу