In Freiheit dienen. Magnus Malm
Читать онлайн книгу.»Indem wir auf Nummer sicher gehen, schaffen wir eine Welt äußerster Unsicherheit.«
Paradoxerweise finden wir beim größten Kriegshelden des Alten Testaments Beispiele für eine ganz andere Form der Autorität. Bevor er König wurde, wurde David von seinem Vorgänger Saul gejagt, der aus gutem Grund seine Position durch den jungen Hirten bedroht sah. Zwei Mal gelingt es David, seinem Verfolger in dramatischen Momenten so nahe zu kommen, dass er ihn töten könnte. Genau das erwarten auch seine engsten Vertrauten. Doch beide Male verzichtet David auf den Mord und zeigt dem erschrockenen Saul, was er hätte tun können: »Als Saul sich umdrehte, verneigte David sich tief und warf sich vor ihm nieder.« Und er erklärt: »Ein paar meiner Männer verlangten von mir, dass ich dich töte. Doch ich habe dich verschont […] Der Herr wird zwischen uns entscheiden. Er wird dich für das strafen, was du mir anzutun versuchst« (1. Samuel 24; vgl. 1. Samuel 26).
Indem er auf seine Rache verzichtet, gewinnt David eine andere und stärkere Autorität. Dabei geht es nicht um Passivität oder Nachgiebigkeit, sondern um eine aktive Entscheidung. Indem Jesus in der Wüste Nein zu den Vorschlägen des Teufels sagt, sagt er Ja zu der Autorität, die am Kreuz alle Macht dieser Welt demaskiert und entwaffnet.
Dass jemand Macht besitzt, sie aber nicht anwendet, erscheint der Welt unfassbar. So erklärt auch Paulus: »Die Weisheit, von der wir sprechen, ist die Weisheit Gottes […] Doch die Mächtigen dieser Welt haben sie nicht verstanden, denn hätten sie das getan, dann hätten sie den Herrn der Herrlichkeit niemals gekreuzigt« (1. Korinther 2,7-8).
Hier wird der Zusammenhang zwischen dem Zentrum und den Grenzen offensichtlich. Wenn in der Mitte ein geringes Selbstwertgefühl steht, wird es schwer, die Grenzen zu sichern. Man kann es sich nicht leisten, auf etwas zu verzichten, was für den Moment die eigene Position stärken könnte. So wird das eigene Handeln von der Umgebung diktiert und man überlässt ihr die Macht.
Jesus behält die Macht, indem er auf sie verzichtet. Dadurch hat er die Macht, anderen und Höherem frei zu dienen, anstatt seine eigene Position stärken zu müssen.
Wie Thomas Merton sagt: »Demut ist das sicherste Zeichen von Stärke.«7
»Kommt mit und folgt mir nach. Ich will euch zeigen, wie man Menschen fischt« (Markus 1,17). – Mit diesem Ruf Jesu hat die Nachfolge begonnen. Aber viele gehen in eine falsche Richtung, wenn sich der Ruf zur Nachfolge mit Arbeit, Dienst, Betrieb und Karriere verflicht. Wir sind oft blind für die einfache und deutliche Verantwortungsverteilung in Jesu Worten. Wir folgen ihm nach. Er wird uns zu Menschenfischern machen. Was wir tun sollen – was er tun will. Wie befreiend!
Aber wie schwer, wenn wir beides vermischen! Wenn der Auftrag die Nachfolge überschattet, die Arbeit die Beziehung verdunkelt, wenn wir versuchen, seine Verantwortung zu übernehmen. Wenn das, was wir tun, wichtiger wird als das, was wir sind. Die tragische Instrumentalisierung, die jedes Du in ein Das verwandelt, vergiftet persönliche Beziehungen. »Dich kann ich gut brauchen.« Auf diese Weise werden Gott, wir selbst und andere Menschen auf ein Mittel zum Zweck, dem Dienst, reduziert. Kein Wunder, dass wir dessen müde werden und die Orientierung verlieren.
In ihrer armseligsten Form ist dann die Arbeit in der Gemeinde nämlich nur noch das: eine Arbeit. Eine Möglichkeit, sich zu versorgen, mit dem Bonus, dass wir dabei ja sogar Gott und den Mitmenschen dienen. Der Horizont des täglichen Einsatzes wird begrenzt von Lohnverhandlungen, dem Arbeitsklima, Arbeitsplanung, verschiedenen Amtshandlungen und Tätigkeiten, Kursen zur Kompetenzerweiterung, dem Schielen auf neue Dienstbereiche, innerkirchlichen Debatten und Tratsch, Konflikten mit anstrengenden Menschen, Leitfäden und allem anderen, was den Kalender füllt.
In solchen Situationen sagen wir: »Wenn Gott seinen Heiligen Geist wegnähme, würde alles so weiterlaufen, als wäre gar nichts passiert.«
Was würde passieren, wenn wir anfangen würden, den Heiligen Geist ernst zu nehmen? Die charismatische Bewegung hat seit Beginn der 1970er-Jahre einen großen Teil der Christenheit berührt. Vielen Menschen brachte sie sogar die lebenswichtige Erfahrung von Gottes Nähe in ihrem Leben. Ich bin einer davon. Das Tauwetter, das damals in all meinen Beziehungen einsetzte, war um einiges tiefgehender als viele Therapien (die wirklich viel bewirken können). Ich weiß, dass ich diese Erfahrung mit Hunderttausenden Menschen auf der ganzen Welt teile.
Aber der Hang zur Instrumentalisierung sitzt so tief in uns. Vielleicht lässt sich so die Grundsünde beschreiben: dass wir alles zu Mitteln für eigene Interessen machen. In den glücklichen Eifer um die Geistesgaben, die unsere Herzen und Sinne für Gottes Güte und die Bedürfnisse anderer weiten, hat sich heimlich, still und leise ein wohlbekanntes Denken eingeschlichen. Könnten diese Gaben nicht auch unsere Gottesdienste attraktiver und unsere Führung effektiver machen? Es wurden »Glaubensziele« aufgestellt für alles, was in der Kirche passieren sollte. Und wir fingen an, unsere Gaben zu inventarisieren, um bessere Führungspersönlichkeiten zu werden.
Die ämter- und ausbildungsbasierte Führung wurde ersetzt durch die gabenbasierte Führung. Führungsperson ist nun, wer gewisse geistliche Gaben bekommen hat. Oder andersherum: Hat man gewisse Geistesgaben, ist man offenbar Leiter. Der Ausdruck in Wort, Musik und Verhalten ist anders als in traditionellen Gemeinden. Aber die instrumentelle Denkweise ist definitiv ähnlich. Im traditionellen Bereich sind es Ausbildung, Weihe und Anstellung, die für die Führung qualifizieren. Im charismatischen Bereich sind es die geistlichen Gaben und der Dienst. In beiden Fällen liegen der Schlüssel und die treibende Kraft für die Führung bei mir selbst: Ich habe das Einzigartige, das mich zum Leiter macht.
Ein bitterer Nachgeschmack
Wo liegt das Problem? Wie immer braucht es Zeit, bis die Saat Früchte trägt und man den Nachgeschmack erkennt. Aber wie Jesus sagt, ist es jenes langsame und bleibende Werk, das in allem Geistlichen den Unterschied macht (vgl. Matthäus 7,15-23). Was die gabenbasierte Führung betrifft, tritt in aller Regel früher oder später der bittere Nachgeschmack zutage:
• Exklusivität: Dieses Führungsverständnis basiert auf der Sichtweise, dass die Führungsperson anders ist. Der Schwerpunkt in meinem Selbstbild als Leiter liegt eher in meinem Unterschied zu den anderen als in meiner Zugehörigkeit zu ihnen. Damit bestätige ich das Bild des christlichen Dienstes als etwas Exklusives für einige wenige Auserwählte, was letztendlich dazu führt, dass sowohl die Auserwählten als auch die, die es nicht sind, verarmen.
• Willkür: Weil meine Gottesbeziehung dermaßen von der Überzeugung geprägt ist, dass ich diese Geistesgaben von Gott erhalten habe, hängt sie davon ab, dass ich diese Gaben richtig verwalte und entwickle. Was passiert sonst?
• Resultatdenken: Man sucht ständig nach dem Beleg dafür, dass die Gaben funktionieren und sichtbare Resultate liefern. Wenn man Ergebnisse findet, verführen diese zu Hochmut. Wenn man keine Resultate sieht, verführt das zu Missmut.
• Gottesbild: Was Gott gibt, wird wichtiger als das, was er ist. Die Tendenz geht deutlich in Richtung eines fordernden Gottes, ähnlich wie in Jesu Gleichnis vom Verwalter: »Herr, ich weiß, du bist ein strenger Mann, der erntet, was er nicht gepflanzt hat, und sammelt, was er nicht angebaut hat. Ich hatte Angst, dein Geld zu verlieren, also vergrub ich es in der Erde« (Matthäus 25,14-30).
• Selbstbild: Man reduziert sich auf ein Bündel Gnadengaben auf zwei Beinen, eine »Ressourcenperson« in der Kirche. Wer man wirklich ist, ist weder für Gott noch für andere Menschen interessant. Es zählt nur das, was man tut.
• Einsamkeit: Die eigene exklusive Geistlichkeit wird mehr und mehr zu einem Gefängnis, das einen daran hindert, normale Freundschaftsbeziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Sogar die Beziehung zu Gott scheint eher in die Einsamkeit als in die Gemeinschaft zu führen. Wenn der Job gut läuft, wird Gott zum