Maigret und die Schleuse Nr. 1. Georges Simenon

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Maigret und die Schleuse Nr. 1 - Georges  Simenon


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Körper durch den dünnen Stoff hindurch. Sie war die Einzige, die noch ins Wasser blickte, das sich wieder glättete. Und plötzlich begann auch sie zu schreien und zeigte auf etwas, unförmig und bleich wie eine Qualle.

      Zwei von denen, die sich um den Schiffer kümmerten, drehten sich um, und als sie den milchigen Fleck im schwarzen Wasser bemerkten, lief es auch ihnen kalt den Rücken hinunter.

      »Seht doch bloß … Da …«

      Alle sahen hin und vergaßen darüber ganz den Schiffer, der in einer Wasserpfütze auf dem Pflaster lag.

      »Hol einen Bootshaken!«

      Die junge Frau griff einen vom Deck des Kahns und reichte ihn hinüber. Sie waren alle wie verwandelt. Die Atmosphäre hatte sich geändert, sogar die Temperatur der Nacht. Die Luft war auf einmal kühler geworden, mit einzelnen milderen Schwaden.

      »Erreichst du ihn?«

      Der Eisenhaken glitt im Wasser hin und her, stieß aber die einförmige Masse nur weiter zurück, wenn er sie zu fassen versuchte. Ein Mann lag bäuchlings auf dem Steg und fuhr mit der Hand durchs Wasser, um einen Zipfel der Kleidung zu greifen.

      In der Dunkelheit erahnte man Menschen, die stumm auf ihren Kähnen standen und warteten.

      »Ich habe ihn!«

      »Zieh ihn vorsichtig raus.«

      Der Alte auf dem Quai gab immer noch Wasser von sich wie ein vollgesogener Schwamm, während ein Ertrunkener herausgezogen wurde. Er war dicker, schwerer und leblos. Von einem sehr fernen Schlepper fragte eine Stimme schlicht:

      »Tot?«

      Die junge Frau im Nachthemd sah den Leuten zu, wie sie den Körper auf den Quai legten, etwa einen Meter entfernt neben den anderen. Sie schien das alles nicht zu begreifen, ihre Lippen zitterten, als wollte sie gleich weinen.

      »Um Himmels willen … das ist Mimile!«

      »Ducrau!«

      Die Männer, die um die beiden Körper auf den Steinen herumstanden, wussten nicht, wo sie hinsehen sollten. Die Angst hatte sie gepackt. Sie wollten etwas tun, schienen sich aber zu fürchten.

      »Man muss sofort …«

      »Ja … Ich gehe …«

      Jemand rannte zur Schleuse. Man hörte ihn mit beiden Fäusten an die Tür trommeln und rufen:

      »Schnell! Euer Apparat! Es ist Émile Ducrau!«

      »Émile Ducrau … Émile Ducrau … Mimile? Ducrau …« So wurde es von Kahn zu Kahn weitergesagt. Und die Leute stiegen über die Ruder und Stege, während der Wirt des Bistros die Arme des Ertrunkenen hob und senkte.

      Um den Alten kümmerte sich niemand. Man merkte nicht einmal, dass er sich da unten zwischen den Beinen, die um ihn herumstanden, aufsetzte und verstört um sich blickte.

      Der Schleusenwärter eilte herbei. Ein Mann kam die Treppe heruntergelaufen, gefolgt von einem Polizisten.

      Im zweiten Stock des hohen Hauses öffnete sich ein Fenster, und eine Frau beugte sich hinaus, eine rosa Gestalt im rosigen Licht eines seidenen Lampenschirms.

      »Ist er tot?«, wurde geflüstert.

      Keiner wusste es. Man konnte es nicht wissen. Der Schleusenwärter stellte das Beatmungsgerät an, und man hörte das regelmäßige Geräusch des Apparats.

      Inmitten der allgemeinen Verwirrung, der gestammelten Worte, der leisen Anweisungen, der auf den Steinen knirschenden Schritte stützte sich der Schiffer auf seine Arme, taumelte und stieß gegen einen neben ihm Stehenden, der ihm auf die Beine half.

      Es hatte alles etwas Waberndes und Unklares, wirkte gedämpft und formlos wie eine Unterwasserszene.

      Der Alte konnte sich kaum aufrecht halten. Er betrachtete wie im Traum den anderen Körper, der dort lag, und keuchend, immer noch betrunken und nach Alkohol stinkend, stieß er hervor:

      »Er hat sich im Wasser an mich geklammert!«

      Es war befremdlich, ihn dort stehen zu sehen, und ihn sprechen zu hören, als wäre er aus dem Jenseits zurückgekehrt. Er betrachtete den Liegenden, das Beatmungsgerät und das Wasser, vor allem das Wasser am Steg.

      »Er wollte mich nicht loslassen, der Schuft.«

      Niemand konnte das glauben. Die junge Frau versuchte ihm einen Schal um den Hals zu legen, doch er stieß sie zurück und blieb wie festgenagelt stehen, nachdenklich und misstrauisch, als hätte er es mit einem übermenschlichen Problem zu tun.

      »Das kam von unten«, murmelte er wie zu sich selbst. »Etwas hat mich an den Beinen gepackt. Ich habe danach getreten, aber je stärker ich mich gewehrt habe, desto fester hat es sich an mich geklammert …«

      Eine Schifferin brachte eine Flasche Eau de Vie und reichte dem Alten ein Glas. Er verschüttete mehr als die Hälfte, denn er ließ den anderen Mann nicht aus den Augen und grübelte weiter.

      »Was ist eigentlich passiert?«, fragte der Polizist.

      Aber der Alte zuckte nur mit den Schultern und fuhr fort, nun aber leiser, in seinen Bart zu murmeln.

      Abgesehen von denen, die das Beatmungsgerät bedienten, gingen die Leute in kleinen Gruppen auf dem Quai hin und her. Man wartete auf den Arzt.

      »Geh wieder schlafen«, sagte jemand zu seiner Frau.

      »Erzählst du mir dann …«

      Unbemerkt hatte der Alte die auf einem Stein abgestellte Flasche geschnappt und saß jetzt allein da, gegen die Quaimauer gelehnt, trank aus der Flasche und dachte so angestrengt nach, dass seine Züge sich verkrampften.

      Von seinem Platz aus konnte er den Ertrunkenen sehen. Ihm galt sein Gemurmel, denn er machte ihm Vorwürfe. Er beschimpfte ihn. Er beschuldigte ihn dunkler Machenschaften, und ab und zu drohte er ihm, wehe, wenn er ihm noch einmal näher käme.

      Die junge Frau im Nachthemd versuchte, ihm die Flasche abzunehmen, aber er sagte nur:

      »Geh schlafen!«

      Er schob sie weg, denn sie versperrte ihm den Blick auf den anderen. Sie waren beide gleich groß, aber Ducrau war breiter und schwerer, der Hals gedrungen und sein eckiger Schädel mit borstigen Haaren bedeckt.

      Man hörte das Brummen eines Autos. Oben stiegen mehrere Männer aus und gingen auf die Treppe zu. Es waren Polizisten und ein Arzt. Ohne noch Genaueres zu wissen, scheuchten die Polizisten die Schaulustigen davon. Der Arzt stellte seine Tasche auf einem Betonsockel ab.

      Ein Inspektor in Zivil, der eben mit den Leuten gesprochen hatte, wandte sich dem Alten zu, den man ihm gezeigt hatte. Aber es war zu spät, ihn zu vernehmen. Er hatte die Schnapsflasche halb geleert und blickte jeden misstrauisch an.

      »Ist das Ihr Vater?«, fragte der Inspektor die junge Frau im Nachthemd.

      Sie schien nicht zu verstehen. Es geschah ja auch zu viel auf einmal. Der Wirt des Bistros kam heran und sagte:

      »Gassin war schon sternhagelvoll. Er muss auf dem Steg ausgerutscht sein.«

      »Und der da?«

      Der Arzt entkleidete den anderen.

      »Das ist Émile Ducrau, der mit den Schleppern und Steinbrüchen. Er wohnt dort.«

      Er deutete auf das hohe Haus mit den Fensterläden im ersten Stock, durch die immer noch ein dünner Lichtschein sickerte, und mit den wie in einen rosigen Schimmer getauchten Fenstern im zweiten.

      »Im zweiten Stock?«

      Die Leute zögerten mit der Antwort.

      »Im ersten«, sagte schließlich einer.

      Und ein anderer fügte geheimnisvoll hinzu:

      »Aber auch im zweiten! Jedenfalls hat er da jemanden.«

      »So was wie einen zweiten Haushalt!«

      Das


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