Maigret und die Schleuse Nr. 1. Georges Simenon

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Maigret und die Schleuse Nr. 1 - Georges  Simenon


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als steckten sie in zu dickem Wasser fest. Ein Mann stand in einer Barke und teerte den grauen, zwei Meter aus dem Wasser ragenden Rumpf seines Schiffs. Hunde liefen umher, in einem Drahtkäfig flatterten Hühner, und die blonde junge Frau putzte die Messingbeschläge auf Deck. Leute kamen und gingen über die Tore der Schleuse, und die Schiffe, die stromabwärts fuhren, schienen einen Moment zu zögern, bevor sie sich der Strömung der Seine überließen.

      »Kurz und gut, das alles gehört sozusagen Ihnen?«

      »Nicht alles, das wäre übertrieben. Aber jeder, den Sie dort sehen, hängt in gewisser Weise von mir ab, vor allem seit ich die Kalksteinbrüche oben in der Champagne aufgekauft habe.«

      Die Möbel der Wohnung ähnelten denen, die in Auktionshäusern aufgehäuft werden, um sie samstags an die kleinen Leute zu verramschen, die günstig einen gebrauchten Tisch oder eine Waschschüssel erstehen wollen. Aus der Küche drang der Geruch gebratener Zwiebeln und das Zischen heißer Butter herein.

      »Eine Frage, wenn Sie erlauben. Im Bericht steht, dass Sie sich bis zu dem Moment, als man Sie aus dem Wasser gefischt hat, an nichts erinnern können.«

      Ducrau schnitt bedächtig die Spitze einer Zigarre ab.

      »Wann genau bricht Ihre Erinnerung ab? Können Sie mir zum Beispiel sagen, was Sie vorgestern Abend gemacht haben?«

      »Meine Tochter und ihr Mann waren zum Abendessen da. Er ist Infanteriehauptmann in Versailles. Sie kommen jeden Mittwoch.«

      »Sie haben auch einen Sohn?«

      »Ja, er studiert an der École des Chartes. Er ist selten hier, denn ich habe ihm ein Zimmer im 5. Arrondissement besorgt.«

      »Sie haben ihn also an dem Abend nicht gesehen?«

      Ducrau ließ sich Zeit mit der Antwort. Er behielt Maigret im Blick, und während er an seiner Zigarre zog, bedachte er jede Frage, die ihm gestellt wurde, und jedes Wort, das er aussprach.

      »Hören Sie, Herr Kommissar, ich will Ihnen etwas Wichtiges sagen, und ich rate Ihnen, es zu berücksichtigen, wenn Sie wollen, dass wir uns verstehen. Mimile lässt sich nicht so leicht für dumm verkaufen! Mimile, das bin ich. So hat man mich genannt, als ich erst einen einzigen Schlepper hatte, und manche Schleusenwärter in der Haute-Marne kennen mich bis heute nur unter diesem Namen. Verstehen Sie mich? Ich bin genauso schlau wie Sie. Und in dieser Geschichte bin ich es, der zahlt! Ich bin es, der angegriffen wurde! Und ich bin es, der Sie hat kommen lassen!«

      Maigret zuckte mit keiner Wimper, aber innerlich freute er sich: Zum ersten Mal seit Langem saß er jemandem gegenüber, dessen Bekanntschaft zu machen sich wirklich lohnte.

      »Trinken Sie. Nehmen Sie eine Zigarre. Stecken Sie sich auch ein paar in die Tasche. Ich bitte darum! Machen Sie Ihre Arbeit, aber keine fiesen Tricks. Als die Leute von der Staatsanwaltschaft gestern bei mir waren, spazierte auch ein Gockel von Untersuchungsrichter hier herum, mit seinen cremefarbenen Handschuhen, als hätte er Angst, sich zu beschmutzen. Bitte sehr! Da habe ich ihm gesagt, dass er den Hut abnehmen und das Rauchen unterlassen soll, während ich ihm meinen Rauch ins Gesicht gepustet habe. Verstehen Sie? So – und nun höre ich Ihnen zu.«

      »Jetzt habe ich eine Frage an Sie. Bleiben Sie bei Ihrer Anzeige? Ja? Und liegt Ihnen wirklich etwas daran, dass ich den Schuldigen finde?«

      Über Ducraus Lippen huschte ein Lächeln. Statt die Frage zu beantworten, murmelte er:

      »Und weiter?«

      »Das ist alles. Wir haben noch Zeit.«

      »Haben Sie mir sonst nichts zu sagen?«

      »Nein, nichts.«

      Maigret stand auf und stellte sich, in die Sonne blinzelnd, ans offene Fenster.

      »Mathilde! Mathilde!«, rief Ducrau. »Erstens, versuchen Sie doch beim nächsten Mal sofort zu kommen, wenn ich rufe. Zweitens, binden Sie sich eine saubere Schürze um. Und jetzt holen Sie mir eine Flasche Champagner. Eine von den acht Flaschen hinten links.«

      »Ich trinke keinen Champagner«, sagte Maigret, als das Dienstmädchen gegangen war.

      »Den werden Sie trinken. Es ist ein Brut nature 1897. Der Besitzer der größten Kellerei in Reims hat ihn mir geschickt.«

      Er war milder geworden, zeigte sogar den Hauch eines Gefühls, wenn auch kaum wahrnehmbar.

      »Was betrachten Sie?«

      »Gassins Schiff.«

      »Wissen Sie, Gassin ist ein alter Kumpel von mir, der einzige, der mich noch duzt! Wir haben unsere ersten Fahrten zusammen gemacht. Ich habe ihm eins meiner Schiffe anvertraut, das vor allem nach Belgien fährt.«

      »Er hat eine hübsche Tochter.«

      Es war eigentlich mehr ein Eindruck, denn aus der Entfernung konnte Maigret kaum mehr als eine Silhouette erkennen. Trotzdem war er sicher, dass die junge Frau hübsch war. Eine schlichte Erscheinung, aber trotzdem. Ein schwarzes Kleid, eine weiße Schürze und nackte Füße in Holzpantinen.

      Ducrau antwortete nicht, und nach einem Moment des Schweigens sagte er, als würde er bald die Geduld verlieren:

      »Also, legen Sie los, fragen Sie! Die Dame oben, das Dienstmädchen und so weiter! Ich warte …«

      Die Küchentür öffnete sich einen Spaltbreit. Madame Ducrau blieb auf der Schwelle stehen, hüstelte und fragte:

      »Soll er auf Eis serviert werden?«

      Wütend entgegnete er:

      »Warum lässt du den Champagner nicht gleich in Reims holen?«

      Sie verschwand wortlos, und die Tür blieb halb offen, während Ducrau fortfuhr:

      »Also, ich habe im zweiten Stock genau über diesem Zimmer noch eine Frau einquartiert. Sie heißt Rose und war Animierdame im Maxim’s.«

      Er senkte die Stimme nicht, im Gegenteil. Seine Frau sollte es hören. In der Küche klirrten Gläser. Das Mädchen kam in einer sauberen Schürze und mit einem Tablett herein.

      »Wenn Sie noch weitere Einzelheiten wissen wollen: Ich gebe ihr monatlich zweitausend Franc und bezahle ihre Kleidung. Aber sie näht sich fast alles selbst. Ist gut so, stellen Sie alles hin und verschwinden Sie … Übernehmen Sie es, die Flasche zu entkorken, Herr Kommissar?«

      Maigret hatte sich inzwischen an den Lärm gewöhnt. Er hörte den Krach des Steinbrechers nicht mehr und auch nicht die Geräusche von der Straße, in die sich das Brummen zweier dicker Fliegen im Zimmer mischte.

      »Wir sprachen von vorgestern. Meine Tochter und ihr idiotischer Ehemann haben hier zu Abend gegessen, und ich bin wie immer nach dem Dessert gegangen. Ich kann Nervensägen nicht ausstehen, und mein Schwiegersohn ist eine Nervensäge. Auf Ihr Wohl!«

      Er schnalzte mit der Zunge und stieß einen Seufzer aus.

      »Das ist alles. Es war vielleicht zehn Uhr. Ich bin den Gehweg entlanggegangen und habe bei Catherine, der das Tanzlokal ein Stück weiter unten gehört, einen Schnaps getrunken. Dann bin ich weitergegangen, bis zur Straßenecke dort hinten, wo die Straßenlampe steht. Ich trinke lieber mit den Mädchen da ein Bier als mit meinem Schwiegersohn.«

      »Haben Sie, als Sie das Haus verlassen haben, nicht bemerkt, dass Ihnen jemand gefolgt ist?«

      »Ich habe überhaupt nichts bemerkt.«

      »Welche Richtung haben Sie eingeschlagen?«

      »Keine Ahnung.«

      Das war deutlich. Die Stimme wurde wieder aggressiv. Ducrau verschluckte sich nach einem zu großen Schluck Champagner, hustete und spuckte auf den verblichenen Teppich.

      Im ärztlichen Bericht hieß es, die Verletzung am Rücken sei nur oberflächlich, der Reeder habe nicht länger als drei oder vier Minuten im Wasser gelegen und sei vielleicht ein- oder zweimal aufgetaucht.

      »Sie verdächtigen natürlich niemanden?«

      »Ich


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