Maigret und die Schleuse Nr. 1. Georges Simenon

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Maigret und die Schleuse Nr. 1 - Georges  Simenon


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prangte ein blaues Emailschild mit der Aufschrift Entreprises Émile Ducrau.

      An über den Schiffen gespannten Leinen hing Wäsche zum Trocknen, und auf der Toison d’Or kippte eine blonde junge Frau Wasser über das Deck.

      Wieder fuhr eine Straßenbahn der Linie 13 vorbei, dann noch eine zweite, bis sich Maigret schweißgebadet und mit von der ersten Aprilsonne glühender Haut etwas unentschlossen dem hohen Haus zuwandte. Er blickte durch die Scheiben der Loge, konnte aber keine Concierge entdecken. Auf der Treppe lag ein abgewetzter dunkelroter Läufer. Die Stufen waren poliert, die Wände marmoriert gestrichen. Der Treppenabsatz mit seinen beiden dunklen Türen und den blank geputzten Messingknäufen roch nach Staub, nach Biederkeit und Mittelmaß. Aus dem Innenhof fiel schräg ein Sonnenstrahl durch irgendein Oberlicht und tauchte das Treppenhaus in ein goldenes Licht.

      Maigret klingelte. Nach dem zweiten Mal hörte er drinnen Geräusche, aber es vergingen fünf Minuten, bis die Tür geöffnet wurde.

      »Ich möchte zu Monsieur Ducrau.«

      »Da sind Sie richtig. Kommen Sie rein.«

      Die Hausangestellte hatte ein rotes Gesicht und machte einen aufgeregten Eindruck, und ohne eigentlich zu wissen, warum, musste Maigret bei ihrem Anblick lächeln. Sie war eine rundliche junge Frau, ansprechend, jedenfalls von hinten betrachtet, denn das Gesicht mit den groben, unregelmäßigen Zügen enttäuschte dann.

      »Wen darf ich melden?«

      »Die Kriminalpolizei.«

      Sie machte zwei Schritte auf die Tür zu und musste sich bücken, um ihren Strumpf hochzuziehen. Dann ging sie zwei Schritte weiter, glaubte sich vom Türflügel verdeckt, befestigte schnell den Strumpfhalter und zupfte den Unterrock zurecht. Maigret schmunzelte noch mehr. Im Nebenzimmer wurde geflüstert, dann erschien die Hausangestellte wieder.

      »Bitte, treten Sie ein.«

      Maigrets Lächeln hatte nicht nur mit der Sonne zu tun. Es kam von innen und breitete sich über sein Gesicht. Schon beim Betreten des Vorzimmers, fast schon auf der Fußmatte, hatte er geahnt, was hier vor sich gegangen war, und nun war er ganz sicher.

      »Monsieur Ducrau?«, fragte er.

      Seine Augen lachten. Sein Mund verzog sich unwillkürlich zu einem Feixen, und von diesem Moment an schien die Wahrheit zwischen den beiden Männern eingestanden. Ducrau sah das Dienstmädchen an, dann den Besucher und schließlich seinen roten Samtsessel. Daraufhin strich er sich, obwohl es gar nicht nötig war, die nach hinten gekämmten Haare glatt und lächelte ebenfalls, geschmeichelt, ein wenig verlegen, aber doch zufrieden.

      Drei Fenster funkelten in der Sonne. Durch eines, das weit offen stand, drangen die Geräusche der Straße und der Lärm des Steinbrechers so laut herein, dass Maigret, als er zu sprechen begann, kaum sein eigenes Wort verstand.

      Émile Ducrau hatte sich mit einem Seufzer des Behagens wieder in seinen Sessel fallen lassen. Er wirkte noch etwas mitgenommen. Von dem Geschehen mit dem Dienstmädchen standen ihm noch einige Schweißperlen auf der Stirn, und sein Atem ging schneller. Auch die Vertreter der Staatsanwaltschaft hatten den Mann tags zuvor im Sessel sitzend angetroffen – zu ihrer Verblüffung, denn sie hatten erwartet, ihn sterbenselend in seinem Bett vorzufinden.

      Er trug Pantoffeln und unter seiner alten Jacke ein Nachthemd mit rotgesticktem Kragen. Die gleiche nachlässige Biederkeit fand sich in allen Einzelheiten des Wohnzimmers wieder, in den beliebigen, dreißig oder vierzig Jahre alten Möbeln, den schwarz und gold gerahmten Fotografien von Schleppern und dem Rollschreibtisch in der Ecke.

      »Sie also wurden mit dem Fall beauftragt?«

      Sein Lächeln verblasste. Ducrau wurde wieder zu dem ernsten Mann mit streng forschendem Blick und einem aggressiven Unterton in der Stimme.

      »Ich nehme an, Sie haben sich schon Ihr eigenes Bild von der Geschichte gemacht? Nein? Nun, umso besser. Allerdings wundert es mich, bei einem Polizisten!«

      Er verhielt sich nicht absichtlich unangenehm, es war seine Natur. Manchmal verzog er das Gesicht. Vermutlich schmerzte ihn seine Verletzung im Rücken.

      »Trinken Sie etwas! Mathilde! Mathilde! Mathilde, Herrgott noch mal!«

      Und als das Dienstmädchen, mit seifigen Händen, endlich erschien:

      »Bringen Sie Weißwein. Von dem guten!«

      Sein massiger Körper füllte den Sessel ganz aus, und weil er die Füße auf ein besticktes Kissen hochgelegt hatte, wirkten die Beine kürzer, als sie waren.

      »Also, was hat man Ihnen erzählt?«

      Er hatte die Gewohnheit, beim Sprechen schnelle Blicke durchs Fenster auf die Schleuse zu werfen, und plötzlich brummte er:

      »Meine Güte! Die lassen tatsächlich einen von Poliet et Chausson überholen!«

      Maigret sah, wie ein beladener Kahn mit gelbem Anstrich langsam in die Schleusenkammer einfuhr. Ihm folgte ein weiterer Lastkahn, der mit einem blauen Dreieck gekennzeichnet war. Drei oder vier Leute gestikulierten wild und schienen sich gegenseitig zu beschimpfen.

      »Alle Schiffe mit blauen Dreiecken gehören mir«, erklärte Ducrau. Dem Mädchen, das wieder hereinkam, zeigte er einen Stuhl.

      »Stellen Sie Flasche und Gläser da drauf. Hier geht es ungezwungen zu, Herr Kommissar. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Ich wüsste gerne, was man sich über den Fall erzählt.«

      Hinter seiner scheinbaren Gutmütigkeit versteckte sich eine gewisse Bosheit, die immer deutlicher wurde, je länger er Maigret ansah, vielleicht, weil der Kommissar ebenso breit und schwer war wie er, allerdings größer, und weil sein Schweigen in dieser Wohnung wirkte wie ein mächtiger, unverrückbarer Steinblock.

      »Der Bericht ist mir heute Morgen vorgelegt worden«, sagte er.

      »Und haben Sie ihn gelesen?«

      Die Eingangstür öffnete sich, jemand kam durch den Vorraum und betrat das Zimmer. Es war eine magere, trübselig aussehende Frau um die fünfzig. Sie hatte ein Einkaufsnetz in der Hand und entschuldigte sich:

      »Pardon, ich wusste nicht …«

      Maigret hatte sich schon erhoben.

      »Madame Ducrau, nehme ich an? Es freut mich, Sie kennenzulernen.«

      Sie begrüßte ihn verlegen und zog sich rasch wieder zurück. Man hörte sie mit dem Dienstmädchen sprechen, und Maigret lächelte erneut, denn er stellte sich die Einzelheiten der morgendlichen Szene nun noch deutlicher vor.

      »Meine Frau hat es nie geschafft, sich den Haushalt abzugewöhnen«, murmelte Ducrau. »Sie könnte sich zehn Hausangestellte leisten, wenn sie wollte, aber sie geht lieber selbst zum Markt.«

      »Sie haben, nehme ich an, als Führer eines Schleppkahns angefangen?«

      »Ich habe so angefangen, wie jeder hier anfängt: im Kesselraum. Die Kiste hieß L’Aigle. Sie wurde mir übergeben, als ich die Tochter des Besitzers geheiratet habe. Sie haben sie eben gesehen. Inzwischen ist die Aigle-Serie auf vierundzwanzig Stück angewachsen. Allein hier im Hafenbecken liegen zwei, die heute nach Dizy rauffahren, und fünf sind von dort zu uns unterwegs. Alle Lotsen in den beiden Bistros da unten arbeiten für mich. Ich habe schon achtzehn Kähne dazugekauft, Fleutschiffe und zwei Schwimmbagger.«

      Seine Augen verengten sich, bis sie nur noch Maigrets Augen im Blick hatten.

      »Ist es das, was Sie wissen wollten?«

      Und Richtung Tür brüllte er:

      »Ruhe da drüben!«

      Es galt den beiden Frauen, deren Gemurmel ins Zimmer drang.

      »Auf Ihr Wohl! Man hat Ihnen sicher gesagt, dass ich eine Belohnung von zwanzigtausend Franc ausgesetzt habe, wenn die Polizei meinen Angreifer findet. Ich nehme an, dass man mir darum einen besonders guten Mann geschickt hat. Was beobachten Sie da?«

      »Nichts Besonderes. Den Kanal, die Schleuse,


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