Dombey und Sohn. Charles Dickens
Читать онлайн книгу.mit der Hand auf den Tisch schlug, »wenn ich auf der Straße draußen den ganzen Tag lang alle Minuten Scharen von Leuten am Laden hin und her gehen sehe, so fühle ich mich halb versucht, hinauszueilen, den nächsten besten am Kragen zu packen, hereinzubringen und ihn zu zwingen, daß er für fünfzig Pfund in bar – Instrumente kaufe. Was guckt Ihr zur Türe herein?« fuhr Walter gegen einen alten Herrn mit gepudertem Kopf fort, der ihn natürlich nicht hören konnte, wie er so dastand und interessiert ein Schiffsteleskop musterte. »Davon haben wir nichts, und ich könnt' das selber besorgen. Kommt herein und kauft es!«
Mittlerweile hatte der alte Herr seine Neugierde befriedigt und ging ruhig weiter.
»Da geht er!« sagte Walter. »So machen es alle. Aber, Onkel – he, Onkel Sol« – denn der alte Mann war in Gedanken verloren und hatte auf die erste Anrede nicht geantwortet. »Ihr müßt nicht kleinmütig werden. Seid nicht niedergeschlagen, Onkel. Wenn einmal Aufträge kommen, so werden sie in solcher Menge eintreffen, daß Ihr nicht imstande sein werdet, sie zu besorgen.«
»Übers Sorgen bin ich hinaus, wann sie auch kommen mögen, mein Junge«, entgegnete Solomon Gills. »Man wird nicht wieder in diesen Laden kommen, bis ich nicht mehr drinnen bin.«
»Onkel, aber! – Das dürft Ihr nicht sagen!« drängte Walter. »Nein, das dürft Ihr nicht!«
Der alte Sol bemühte sich, eine heiterere Miene anzunehmen, und lächelte, so gut es gehen wollte, über den Tisch hinüber dem Knaben zu.
»In der Sache liegt durchaus nichts, als der gewöhnliche Gang – ist es nicht so, Onkel?« entgegnete Walter, indem er seine Ellbogen auf das Teebrett stützte und sich vorbeugte, um mit dem Alten vertraulicher reden zu können. »Seid offen gegen mich, Onkel, und sprecht Euch unverhohlen aus.«
»Nein, nein, nein«, entgegnete der alte Sol. »Ungewöhnliches? Gewiß nicht. Was sollte auch Ungewöhnliches darin liegen?«
Walter antwortete mit einem ungläubigen Kopfschütteln.
»Das ist es eben, was ich wissen möchte«, sagte er. »Und Ihr fragt mich? Ich will Euch was sagen, Onkel, wenn ich Euch so sehen muß, tut es mir eigentlich leid, daß ich bei Euch bin.«
Der alte Sol machte unwillkürlich große Augen.
»Ja. Obgleich niemand je glücklicher war als ich, wenn ich mich bei Euch befand, so tut es mir doch leid, bei Euch zu leben, wenn ich sehen muß, daß Ihr etwas auf dem Herzen habt.«
»Ich weiß, ich bin in solchen Zeiten ein bißchen langweilig«, bemerkte Solomon, indem er demütig seine Hände rieb.
»Ich meine es so, Onkel Sol«, fuhr Walter fort, und bog sich noch weiter vor, um ihn auf die Schulter zu klopfen, »ich fühle dann, daß Ihr, statt hier zu sitzen und mir Tee einzugießen, ein nettes Frauchen an der Seite haben solltet – Ihr wißt, eine behagliche, treffliche, nette alte Dame, die gerade zu Euch paßte, Euch zu behandeln wüßte und Euch wohlgemut erhielte. Ich bin zwar stets gegen Euch – wie ich es auch verpflichtet war – ein liebevoller Neffe gewesen. Aber ein Neffe bleibt eben nur ein Neffe, und ich kann Euch eine solche Gesellschaft nicht ersetzen, wenn Ihr niedergeschlagen und traurig seid, obschon ich gewiß weiß, daß ich meinen letzten Heller hergeben wollte, wenn ich Euch damit aufheitern könnte. Deshalb sage ich wieder, wenn ich Euch mit so schwerem Herzen sehen muß, es tut mir sehr leid, daß Ihr nichts Besseres um Euch habt, als einen unruhigen, rauhen, jungen Burschen, der Euch zwar gerne trösten möchte, Onkel, aber nicht weiß, wie er es angreifen soll – der nicht die Art dazu hat«, fügte Walter bei, indem er noch weiter herüberlangte, um seinem Onkel die Hand zu drücken.
»Wally, mein lieber Junge«, sagte Solomon, »und wenn die nette kleine alte Dame schon vor fünfundvierzig Jahren in diesem Stübchen ihren Platz gehabt hätte, so wäre ich doch nicht imstande gewesen, sie mehr zu lieben, als dich.«
»Ich weiß das, Onkel Sol«, entgegnete Walter. »Gott segne Euch dafür, ich weiß es. Aber Ihr brauchtet nicht die ganze Last unbequemer Geheimnisse allein zu tragen, wenn Ihr eine Frau hättet: denn sie würde wissen, wie sie Euch Erleichterung verschaffen muß, und das ist durch mich nicht der Fall.«
»O, wohl, wohl«, erwiderte der Instrumentenmacher.
»Nun denn, heraus damit, Onkel Sol!« versetzte Walter schmeichelnd. »Sprecht, was habt Ihr auf dem Herzen?«
Solomon Gills beharrte darauf, daß es nichts sei, und blieb dabei so entschlossen, daß der Neffe keine andere Wahl hatte, als zu tun, daß er ihm glaube.
»Ich kann weiter nichts sagen, Onkel Sol, als daß, wenn etwas da ist« – –
»Aber es ist nichts da«, entgegnete Sol.
»Nun gut«, erwiderte Walter. »Dann habe ich nichts mehr zu sagen, und das ist ein Glück: denn ich muß jetzt ans Geschäft gehen. Wenn ich einen Ausgang zu machen habe, will ich gelegentlich Euch sprechen, um zu sehen, was Ihr treibt, Onkel. Und vergeßt nicht, Onkel, ich werde Euch nie wieder glauben und Euch nie mehr etwas von Mr. Carker dem Jüngeren erzählen, wenn ich finde, daß Ihr mich getäuscht habt.«
Solomon Gills forderte ihn lächelnd heraus, er solle ihn einmal über etwas der Art zu ertappen suchen, und Walter, der in seinen Gedanken alle Arten unmögliche Mittel erwog, wie er Geld erwerben und den hölzernen Midshipman in eine unabhängige Stellung versetzen könne, begab sich mit weit schwermütigerem Gesicht, als man sonst an ihm gewöhnt war, nach dem Geschäftslokal von Dombey und Sohn.
Dort lebte zu jener Zeit um die Ecke – in der äußeren Bischofstorstraße – ein gewisser Brogley, beeidigter Makler und Taxator, der einen Laden hielt, in dem alle Arten alter Möbel in schauerlichstem Gewirr und im seltsamsten Beieinander zur Schau standen. Dutzende von Stühlen hingen an Wäscheständern und hielten sich nur mit Not an den Schultern der Seitenbretter fest, die ihrerseits auf den Kehrseiten von Tischen standen, wobei letztere mit ihren gymnastisch aufwärts gestellten Beinen die Platten anderer Tische unterstützten. Porzellanservice, Weingläser und Flaschen waren in der Regel auf dem Boden einer vierpfostigen Bettstatt ausgebreitet, und der gemütlichen Gesellschaft schloß sich ein halb Dutzend Schürhaken nebst einer Flurlampe an. Eine Garnitur Fenstervorhänge ohne die dazu gehörigen Fenster hüllten anmutig eine Barrikade von Kommoden ein, die mit allerlei Gefäßen beladen waren, während ein heimatloser Herdfries, von seinem natürlichen Gefährten, dem Kamin, getrennt, in seiner Bedrängnis dem verschmitzten Ostwind Trotz bot und in melancholischem Akkord mit den schrillen Klagen eines Pianos zitterte, das alle Tage eine Saite springen ließ und in seinem klimpernden, verrückten Gehirn eine matte Resonanz zu dem Straßenlärm gab. An regungslosen Uhren, die nie einen Zeiger bewegten und ebenso unfähig schienen, erfolgreich aufgezogen zu werden, wie die pekuniären Angelegenheiten ihrer früheren Eigentümer, befand sich stets eine große Auswahl in Mr. Brogleys Laden. Mancherlei Spiegel, die zufälligerweise das gemischte Vergnügen verschiedenartiger Lichtbrechung boten, zeigten dem Auge eine unendliche Perspektive von Bankerott und Verderben.
Mr. Brogley selbst war ein triefäugiger, rotgesichtiger, kraushaariger Mann, sonst von stämmiger Figur und fröhlicher Gemütsart – denn die Leute wie Marius, die auf den Trümmern der Karthagos anderer Leute sitzen, haben gut lachen. Er war schon einigemal in Solomons Laden gewesen, um sich über einige Artikel zu erkundigen, die in das Geschäft des Instrumentenmachers einschlugen, und Walter kannte ihn hinreichend, um ihn, wenn sie sich in den Straßen begegneten, zu grüßen. Da dies jedoch die ganze Ausdehnung der Bekanntschaft zwischen dem Trödler und Solomon Gills war, so fühlte sich Walter nicht wenig überrascht, als er seinem Versprechen gemäß im Laufe des Vormittags zurückkam und Mr. Brogley, der seine Hände in den Taschen stecken und seinen Hut hinter der Tür aufgehangen hatte, in dem hinteren Stübchen sitzend fand.
»Nun, Onkel Sol«, sagte Walter. Der alte Mann saß mit einer Jammermiene an der andern Seite des Tisches und hatte – welch ein Wunder – die Brille vor den Augen, statt auf der Stirn. »Was ist mit Euch los?«
Solomon schüttelte den Kopf und winkte mit der einen Hand