Dombey und Sohn. Charles Dickens

Читать онлайн книгу.

Dombey und Sohn - Charles Dickens


Скачать книгу
lange Spanne.«

      »Dies hängt von den Umständen ab«, entgegnete Mr. Dombey. »Jedenfalls ist mein Sohn sechs Jahre, und leider besteht kein Zweifel, daß er in seinen Studien hinter vielen Kindern seines Alters weit zurück ist – seiner Jugend, sollte ich vielmehr sagen«, fügte Mr. Dombey in rascher Beantwortung eines schlauen Zwinkerns, das er in dem frostigen Auge der alten Dame zu bemerken glaubte, bei: »denn dies ist ein passenderer Ausdruck. Statt aber seinesgleichen nachzustehen, Mrs. Pipchin, sollte mein Sohn ihnen vielmehr voraus sein – weit voraus. Er hat eine große Höhe zu ersteigen, und in der Laufbahn, die meinem Sohne bevorsteht, ist kein Wandel möglich. Seine Lebensrichtung war schon klar vorbereitet und festgestellt, eh' er ins Dasein trat. Die Erziehung eines solchen jungen Gentleman darf nicht verzögert werden – darf nicht unvollkommen bleiben. Man muß immer und mit allem Fleiße daran gehen, Mrs. Pipchin.«

      »Gut, Sir«, versetzte Mrs. Pipchin, »ich kann nichts dagegen sagen.«

      »Darum habe ich mich auch einer so verständigen Person anvertraut, Mrs. Pipchin«, versetzte Mr. Dombey beifällig.

      »Man spricht viel Unsinn – wenn's nicht etwa gar noch etwas Ärgeres ist – von zu großer Anstrengung junger Menschen in ihrem zarten Alter, von zu vielen Versuchungen und dergleichen, Sir«, fuhr Mrs. Pipchin fort, indem sie ungeduldig ihre Hakennase rieb. »Zu meiner Zeit dachte man nie daran, und man könnte es auch jetzt unterlassen. Meine Ansicht ist, ihnen nichts zu schenken.«

      »Meine gute Madame«, erwiderte Mr. Dombey, »Ihr erfreut Euch nicht unverdient Eures Rufes. Glaubt mir, Mrs. Pipchin, daß ich mit Eurem trefflichen Erziehungsverfahren mehr als zufrieden bin, und daß es mir die größte Freude machen wird, Sie zu empfehlen, wo immer mein geringes Wissen« – Mr. Dombeys Stolz, als er seine eigene Bedeutsamkeit herabzusetzen sich anstellte, überstieg alle Grenzen – »von einigem Nutzen sein kann. Ich habe an Doktor Blimber gedacht, Mrs. Pipchin.«

      »Mein Nachbar, Sir?« versetzte Mrs. Pipchin. »Ich halte die Anstalt des Doktors für ganz ausgezeichnet. Wie ich höre, ist die Leitung sehr streng, und man muß lernen vom Morgen bis in die Nacht.«

      »Auch ist sie sehr teuer«, fügte Mr. Dombey bei.

      »Ja, sehr teuer, Sir«, erwiderte Mrs. Pipchin, sich an diese Tatsache haltend, als hätte sie bei Umgehung derselben das Hauptverdienst des Instituts weggelassen.

      »Ich habe schon mit dem Doktor Rücksprache genommen, Mrs. Pipchin«, sagte Mr. Dombey, indem er seinen Stuhl vorsichtig ein wenig näher ans Feuer rückte, »und er ist der Meinung, Paul sei keineswegs zu jung. Er nannte mir einige Knaben, die im gleichen Alter schon Griechisch können. Wenn mich in Beziehung auf diesen Wechsel eine kleine Unruhe quält, Mrs. Pipchin, so liegt der Grund nicht hierin. Da mein Sohn seine Mutter nicht kannte, so hat er allmählich viel – zu viel – von seiner Liebe auf seine Schwester übertragen. Ob ihre Trennung –«

      Mr. Dombey sprach nicht weiter, sondern blieb stumm sitzen.

      »Papperlapapp!« rief Mrs. Pipchin, ihre schwarzen Bombasinschöße auseinanderschlagend und den ganzen Werwolf, der in ihr stak, entfaltend. »Wenn's ihr nicht ansteht, Mr. Dombey, so muß man ihr's eintränken.«

      Die gute Dame entschuldigte sich gleich darauf, daß sie eine so gemeine Redewendung brauche, fügte aber – und das war vollkommen der Wahrheit gemäß – bei, daß sie so mit den Kindern zu sprechen pflege.

      Mr. Dombey wartete, bis sich an Mrs. Pipchin das Ungestüm, das Kopfschütteln und das Niederzürnen auf eine Legion von Bitherstones und Pankeys gelegt hatte; dann sagte er bloß ruhig, aber zurechtweisend:

      »Er, meine gute Madame, er.«

      Mrs. Pipchins System würde so ziemlich dieselbe Heilmethode für jede Unruhe bei Paul in Anwendung gebracht haben; da übrigens das harte graue Auge scharf genug war, um zu bemerken, daß das Rezept, wie sehr Mr. Dombey auch dessen Wirksamkeit im Falle der Tochter anerkennen mochte, kein souveränes Mittel für den Sohn war, so erörterte sie den folgenden Punkt und stellte die Behauptung auf, daß der Wechsel, die neue Gesellschaft und die andere Lebensweise, die er bei Doktor Blimber führen würde, in Vereinigung mit den dort gepflegten Studien ihn sehr bald von diesem Gegenstande abbringen müßten. Dieses stand mit Mr. Dombeys eigenem Hoffen und Glauben in völligem Einklang, weshalb denn auch in den Augen dieses Gentleman die Einsicht der Mrs. Pipchin nur um so höher stand, und da letztere zu gleicher Zeit den Verlust ihres lieben kleinen Freundes beklagte – keine allzugroße Erschütterung für sie, da sie einen ähnlichen Ausgang längst erwartet und von Anfang an sich's nicht anders gedacht hatte, als daß er etwa drei Monate bei ihr bleiben werde – so bildete sich bei Mr. Dombey eine ebenso gute Meinung über die Uneigennützigkeit der Dame. Es schien deutlich genug, daß er diese Sache sorgfältig erwogen hatte; denn der Plan, welchen er der Werwölfin mitteilte, ging darauf hinaus, Paul nur für das erste halbe Jahr als einen Wochenpensionär in die Anstalt des Doktors zu schicken. Während dieser Zeit sollte Florence in dem Kastell bleiben, damit sie an Sonnabenden von ihrem Bruder besucht werden könne. Hierdurch werde er allmählich entwöhnt, meinte Mr. Dombey – möglicherweise im Hinblick auf einen früheren Anlaß, bei welchem die Entwöhnung sehr plötzlich vor sich gegangen war. Mr. Dombey schloß diese Besprechung, indem er gegen Mrs. Pipchin die Hoffnung aussprach, sie möge stets seinen Sohn in der Zeit seiner Studien zu Brighton überwachen. Nachdem er nun Paul geküßt, Florence die Hand gegeben, Master Bitherstone in seinem Staatskragen gesehen und Miß Pankey durch Tätscheln ihres Kopfes zum Weinen gebracht hatte – sie war nämlich in dieser Gegend ungemein empfindlich, weil Mrs, Pipchin dieselbe gleich einem Fasse mit ihren Fingerknöcheln zu untersuchen pflegte – zog er sich nach seinem Hotel zum Diner zurück, fest entschlossen, daß Paul, der nun alt und kräftig genug sei, eifrig die Schule besuchen solle, welche imstande war, ihn für die Lage zu befähigen, in welcher er einst glänzen sollte. Es war ausgemacht, daß er sofort in Doktor Blimbers Anstalt eintrete.

      So oft ein junger Gentleman von Doktor Blimber zur Hand genommen wurde, konnte er eines tüchtigen Drucks versichert sein. Der Doktor übernahm den Unterricht von nur zehn jungen Gentlemen, hatte aber im niedrigsten Anschlag stets eine Gelehrsamkeit für Hunderte in Bereitschaft, und es bildete das Amt und den Genuß seines Lebens, damit die unglücklichen zehn übermäßig zu stopfen.

      Doktor Blimbers Institut war in der Tat ein großes Treibhaus, in welchem der Treibapparat sich in steter Tätigkeit befand. Die Knaben blühten insgesamt vor ihrer Zeit. Man sah hier geistige Brockelerbsen um Weihnachten, und intellektueller Spargel war das ganze Jahr über zu finden. Mathematische Stachelbeeren – und zwar sehr saure – ließen sich zu allen Jahreszeiten blicken unter Doktor Blimbers Führung, und zwar an ganz frischen, noch wurzellosen Stöcklingen. Alle Arten von griechischen und lateinischen Gemüsen gediehen an den dürrsten Zweigen von Jungen selbst unter den frostigsten Umständen. Die Natur spielte dabei durchaus keine Rolle. Gleichviel, wofür auch ein junger Gentleman nach seinen Anlagen bestimmt sein mochte – Doktor Blimber zwang ihn in einer oder der anderen Weise, sich nach seinen idealen Mustern zu bilden.

      Das war alles sehr schön und geistreich; aber das Treibhaussystem brachte die gewöhnlichen nachteiligen Folgen mit sich. Die frühreifen Erzeugnisse hatten nicht den rechten Geschmack und hielten sich auch nicht gut. Außerdem hörte ein junger Gentleman mit einer geschwollenen Nase und einem ungemein großen Kopfe – der älteste von den zehn, welcher bereits »alles durchgemacht hatte« – eines Tages plötzlich auf zu blühen, und blieb nur noch als ein bloßer Strunk in der Anstalt. Auch raunten sich die Leute zu, der Doktor habe es mit dem jungen Toots übermacht, und als bei diesem der Backenbart zu sprossen begann, sei ihm das Gehirn auf die Neige gegangen.

      Nun, jedenfalls war der junge Toots da. Er besaß die rauheste aller Stimmen und die mißtönendste von allen Geistesrichtungen. In seinem Hemd waren stets Nadeln mit funkelnden Steinen, und in seiner Westentasche hielt er einen Ring verborgen, den er heimlich an den kleinen Finger steckte, wenn die Zöglinge spazierengingen. Er hatte die Gewohnheit, bei dem Anblick eines jeden kleinen Mädchens, das nicht die entfernteste Ahnung von seinem Dasein hatte, in Liebesverzückungen zu geraten, und nahm sich, wenn er nach Schlafengehenszeit aus seinem drei Treppen hohen linken Eckstübchen durch das Eisengitter des


Скачать книгу