Dombey und Sohn. Charles Dickens
Читать онлайн книгу.und fuhr fort zu wiederholen: Wie – geht – es mei – nem – klei – nen – Freund, wie – geht – es – mei – nem – klei – nen – Freund?
»Ganz wohl, ich danke Ihnen, Sir«, erwiderte Paul, der Uhr wie dem Doktor antwortend.
»Ha!« sagte der Doktor Blimber. »Sollen wir einen Mann aus ihm machen?«
»Hörst du, Paul?« fügte Mr. Dombey hinzu.
Paul blieb stumm.
»Sollen wir einen Mann aus ihm machen?« wiederholte der Doktor nochmals.
»Ich möchte lieber ein Kind bleiben«, erwiderte Paul.
»Der Tausend!« sagte der Doktor. »Warum?«
Das Kind blickte, wie es so am Tische saß, mit einem sonderbaren Zug unterdrückter Bewegung in seinem Gesicht nach ihm hin und klopfte mit der einen Hand stolz auf sein Knie, als hätte es die aufsteigenden Tränen bezwungen, die andere Hand aber irrte inzwischen ein wenig weiter ab – noch weiter von ihm weg, bis sie Florences Hals erreichte. ›Dies ist das Warum‹ schien seine Gebärde zu sagen; aber dann war es mit dem festen Blick vorbei – die zuckenden Wimpern wurden ruhiger, und reichliche Tränen quollen dazwischen hervor.
»Mrs. Pipchin«, sagte sein Vater vorwurfsvoll, »es tut mir in der Tat leid, das zu sehen.«
»Tretet weg von ihm, Mr. Dombey«, bemerkte die Matrone.
»Macht nichts«, sagte der Doktor mit einem milden Kopfnicken, um Mrs. Pipchin zurückzuhalten. »Macht nichts. Wir werden bald neue Sorgen und neue Eindrücke an die Stelle der alten zu pflanzen wissen, Mr. Dombey. Ihr wünscht also, mein Freund solle lernen – –«
»Alles, alles, Doktor«, entgegnete Mr. Dombey fest.
»Ja«, sagte der Doktor und schien mit seinen halbgeschlossenen Augen, mit seinem gewöhnlichen Lächeln Paul zu mustern, als hätte er irgendein seltenes kleines Tier vor sich, das ausgestopft werden sollte. »Ja, ganz recht. Ha! wir werden unserem kleinen Freund eine umfassende Bildung mitteilen, und ich kann wohl behaupten, daß es mit ihm rasch vorwärts gehen wird. Ja, das wage ich zu behaupten. Ganz jungfräulicher Boden, habt Ihr, glaube ich, gesagt, Mr. Dombey?«
»Mit Ausnahme einiger gewöhnlicher Vorbereitungen zu Hause und von seiten dieser Dame«, erwiderte Mr. Dombey mit einem Kopfnicken auf Mrs. Pipchin, die gerade ihrer ganzen Haltung eine große Starrheit verlieh und trotzig anfing zu schnauben, im Fall der Doktor sie herabzuwürdigen versuchen sollte. »Mit solchen Ausnahmen hat sich Paul bis jetzt noch gar keinem Studium zugewendet.«
Doktor Blimber neigte in milder Toleranz gegen eine unbedeutende Wilddieberei, wie die der Mrs. Pipchin sein konnte, das Haupt und entgegnete, es freue ihn, solches zu hören, da es weit befriedigender sei, mit dem Grundbau den Anfang zu machen. Und abermals schielte er nach Paul hin, als wollte er ihm nur gar zu gern das griechische Alphabet abfragen.
»Dieser Umstand, Doktor Blimber«, fuhr Mr. Dombey fort, indem er nach seinem kleinen Sohn hinblickte, »und die Unterredung, die ich bereits mit Euch zu halten das Vergnügen hatte, macht in der Tat jede weitere Aufklärung, folglich auch jeden weiteren Anspruch an Eurer wertvollen Zeit so unnötig, daß –«
»Nun, Miß Dombey!« sagte die essigscharfe Pipchin.
»Erlaubt mir«, bemerkte der Doktor – »nur einen Augenblick. Ich möchte gern Mrs. Blimber und meine Tochter vorstellen, die mit dem häuslichen Leben unseres jungen Pilgers auf dem Parnaß in nahe Beziehung treten werden. Mrs. Blimber«, denn die Dame, die vielleicht gewartet hatte, trat jetzt ganz gelegen ein und brachte ihre Tochter, jene schöne Totengräberin in der Brille, mit sich, »Mr. Dombey: meine Tochter Cornelia, Mr. Dombey. Mr. Dombey, meine Liebe«, fuhr der Doktor gegen seine Gattin fort, »hat zu uns das Vertrauen – siehst du unsern kleinen Freund?«
Mrs. Blimber hatte in einem Anfall von Höflichkeit, der Mr Dombey galt, nichts gesehen, denn sie wich rücklings gegen den kleinen Freund hin und gefährdete durch dieses Manöver sehr seinen Sitz auf dem Tisch. Auf diesen Wink aber wandte sie sich um, um seine klassischen und intellektuellen Lineamente zu bewundern: dann drehte sie sich mit einem Seufzer wieder gegen Mr. Dombey und sagte, sie beneide seinen lieben Sohn.
»Wie die Biene, Sir«, sagte Mrs. Blimber mit aufwärts geschlagenen Augen, »die sich umhertreibt in einem Garten mit den herrlichsten Blumen, um daselbst zum erstenmal die Süßigkeiten zu kosten: Virgil, Horaz, Ovid, Terenz, Plautus, Cicero. Welch eine Welt von Honig haben wir hier. Das mag merkwürdig erscheinen, Mr. Dombey, von einer Frau – aber von einer Frau eines solchen Gatten –«
»Pst, pst!« machte der Doktor Blimber. »Pfui! Mr. Dombey wird Nachsicht haben mit der Parteilichkeit einer Gattin«, versetzte Mr. Blimber mit einem ermutigenden Lächeln.
»Durchaus nicht«, antwortete Mr. Dombey, seine Worte vermutlich auf die Parteilichkeit, nicht aber auf die Nachsicht beziehend.
»Und vielleicht erscheint es ebenso merkwürdig an einer Person, die zugleich Mutter ist«, sprach Mrs. Blimber weiter.
»Und solch eine Mutter«, entgegnete Mr. Dombey, sich ob dieser verwirrten Idee, als müsse er Cornelia ein Kompliment machen, vorbeugend.
»Aber in der Tat«, fuhr Mrs. Blimber fort, »ich denke, wenn ich Cicero gekannt hätte, wenn ich seine Freundin und mit ihm in seiner Abgeschiedenheit in Tusculum gewesen wäre – in jenem herrlichen Tusculum – so könnte ich mein Haupt zufrieden ins Grab legen.«
Ein gelehrter Enthusiasmus ist manchmal ansteckend, daß Mr. Dombey halb glaubte, es könne ihr Ernst sein, und sogar Mrs. Pipchin, die, wie wir bereits gesehen haben, in der Regel nicht sehr fügsamen Charakters war, stieß einen leichten Laut aus, mitten inne schwebend zwischen einem Stöhnen und einem Seufzer, als wolle sie damit andeuten, nichts als Cicero hätte ihr nach dem Fehlschlagen der peruanischen Minen einen bleibenden Trost gewähren können; dieser aber wäre in der Tat eine wahre Davysche Sicherheitslampe.
Cornelia sah durch ihre Brille nach Mr. Dombey hin, als hätte sie gute Lust, mit ihm aus der berührten Autorität einige philologische Nüsse zu knacken. Wenn sie aber wirklich einen derartigen Gedanken unterhielt, so wurde seine Ausführung durch ein Pochen an der Tür des Zimmers unterdrückt.
»Was ist das«, fragte der Doktor. »O, herein, Toots – herein. Mr. Dombey, Sir.« Toots verneigte sich. »Welch ein schönes Zusammentreffen«, fuhr Doktor Blimber fort. »Hier haben wir den Anfang und da« Ende – das Alpha und das Omega. Unser ältester Knabe, Mr. Dombey.«
Der Doktor hatte wohl allen Grund, ihn so zu nennen, denn er war mindestens um einen Kopf und um eine Schulter höher als alle übrigen. Toots errötete sehr, als er diesem Fremden gegenüber stand, und kicherte vor sich hin.
»Ein Zuwachs zu unserem kleinen Portikus, Toots«, sagte der Doktor. »Mr. Dombeys Sohn.«
Der junge Toots errötete abermals, und da er aus dem feierlichen Schweigen, welches jetzt herrschte, entnahm, man erwarte von ihm eine Erwiderung, so sagte er zu Paul: »Wie geht's Euch?« Das geschah aber mit so tiefer Stimme und in so schwerfälliger Weise, daß man wohl kaum in größeres Staunen hätte geraten können, wenn auf einmal ein Lamm zu brüllen angefangen haben würde.
»Wenn Ihr so gut sein wollt, Toots, so könnt Ihr Mr. Feeder bedeuten«, sagte der Doktor, »er solle für einige Elementarbücher sorgen und Mr. Dombeys Sohn einen bequemen Sitz zum Studieren anweisen. Meine Liebe, ich glaube, Mr. Dombey hat die Dormitorien noch nicht gesehen.«
»Wenn Mr. Dombey mich die Treppe hinaufbegleiten will«, versetzte Mrs. Blimber, »so wäre es mir eine große Ehre, ihm die Domänen des Schlafgottes zu zeigen.«
Mit diesen Worten schritt Mrs. Blimber, eine Dame von auffallender Leutseligkeit, deren Drahtpuppenfigur eine Haube von himmelblauem Stoffe krönte, voran und führte Mr. Dombey die Treppe hinauf. Cornelia war gleichfalls von der Partie, und Mrs. Pipchin folgte nach, unterwegs sich scharf nach ihrem Feinde, dem Bedienten, umsehend.
Während sie fort waren, blieb Paul,