David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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Lon­don-Brücke – und mich im­mer auf die Stein­bän­ke setz­te und die vor­über­ge­hen­den Leu­te be­ob­ach­te­te, oder über die Ba­lus­tra­de auf das in der Son­ne glit­zern­de Was­ser schau­te. Hier traf ich öf­ter den Wais­ling und er­zähl­te ihm ei­ni­ge er­staun­li­che Ge­schich­ten von den Werf­ten und vom Tower, von de­nen ich wei­ter nichts sa­gen kann, als dass ich hof­fe, ich habe sie selbst ge­glaubt. Abends be­such­te ich meis­tens wie­der das Ge­fäng­nis, ging mit Mr. Mi­ca­w­ber auf dem Hofe auf und ab, spiel­te mit Mrs. Mi­ca­w­ber Ca­si­no und hör­te ih­ren Re­mi­nis­zen­zen an Papa und Mama zu. Ob Mr. Murd­sto­ne wuss­te, wo ich mich be­fand, kann ich nicht sa­gen. Ich er­zähl­te nie et­was bei Murd­sto­ne & Grin­by.

      Ob­gleich Mr. Mi­ca­w­bers An­ge­le­gen­hei­ten jetzt über die Kri­se hin­aus wa­ren, so schie­nen sie doch noch sehr ver­wi­ckelt zu sein we­gen ei­nes ge­wis­sen Kon­trak­tes, von dem ich im­mer sehr viel hör­te, und der wahr­schein­lich eine frü­he­re Ver­ein­ba­rung mit den Gläu­bi­gern ge­we­sen sein mag. Vi­el­leicht war es auch ei­nes je­ner ge­wis­sen Teu­fel­s­pak­te auf Per­ga­ment, die ein­mal vor Zei­ten in Deutsch­land so ver­brei­tet ge­we­sen sein sol­len. End­lich schi­en die­ses Do­ku­ment ir­gend­wie aus dem Wege ge­räumt wor­den zu sein, we­nigs­tens hör­te es auf, den Stein des An­sto­ßes zu bil­den, und Mrs. Mi­ca­w­ber teil­te mir mit, dass »ihre Fa­mi­lie« be­schlos­sen habe, Mr. Mi­ca­w­ber müs­se sich un­ter den Schutz des Bank­rott­ge­set­zes stel­len, was sei­ne Be­frei­ung in etwa sechs Wo­chen in Aus­sicht rücken wür­de.

      »Und dann«, sag­te Mr. Mi­ca­w­ber, »wer­de ich mit Got­tes Hil­fe in der Welt wie­der vor­wärts­kom­men und ein ganz neu­es Le­ben be­gin­nen, wenn – die große Ver­än­de­rung ein­tritt.«

      Ich darf nicht zu be­rich­ten ver­säu­men, dass Mr. Mi­ca­w­ber auch eine Pe­ti­ti­on an das Un­ter­haus ein­reich­te, und dar­in um eine Ab­än­de­rung der Schuld­haft­ge­set­ze bat. –

      Es gab einen Klub im Ge­fäng­nis, in dem er als Gent­le­man in großem An­se­hen stand. Er hat­te die Grun­di­dee zu sei­ner Pe­ti­ti­on dem Klub be­kannt­ge­ge­ben, und die­ser hat­te sie ge­bil­ligt. Da­rauf mach­te sich Mr. Mi­ca­w­ber, der au­ßer­or­dent­lich gut­her­zig war und in al­len An­ge­le­gen­hei­ten, nur in sei­nen eig­nen nicht, un­ge­mein tä­tig war und sich glück­lich fühl­te, wenn er et­was tun konn­te, was ihm nicht den ge­rings­ten Nut­zen ein­brach­te, über die Pe­ti­ti­on her, fass­te sie ab, schrieb sie auf einen un­ge­heu­ren Bo­gen Pa­pier, brei­te­te sie auf dem Tisch aus und setz­te die Zeit fest, wo der gan­ze Klub und alle Ge­fan­ge­nen, die dazu Lust hät­ten, her­auf­kom­men und sie un­ter­zeich­nen soll­ten.

      Als ich von der be­vor­ste­hen­den Fei­er­lich­keit hör­te, fühl­te ich ein so leb­haf­tes In­ter­es­se, je­den ein­zel­nen her­auf­kom­men zu se­hen, dass ich mir bei Murd­sto­ne & Grin­by eine Stun­de Ur­laub er­wirk­te und in ei­ner Ecke des Zim­mers Pos­ten fass­te.

      Die Ober­häup­ter des Klubs stan­den in dem klei­nen Zim­mer her­um und »Ka­pi­tän Hop­kins«, der sich zu Ehren des Fes­tes ge­wa­schen hat­te, stand ne­ben Mr. Mi­ca­w­ber be­reit, die Pe­ti­ti­on vor­zu­le­sen. Dann wur­de die Tür ge­öff­net und in lan­gen Rei­hen ka­men die üb­ri­gen Be­woh­ner des Ge­fäng­nis­ses her­ein. Meh­re­re war­te­ten drau­ßen, wäh­rend im­mer ei­ner vor­trat, un­ter­schrieb und wie­der hin­aus­ging. Je­den ein­zel­nen frag­te »Ka­pi­tän Hop­kins«: »Ha­ben Sie es ge­le­sen? – Nein! – Soll ich es Ih­nen vor­le­sen?« Wenn der Be­tref­fen­de wi­der­stands­los ge­nug war, auch nur den Schein ei­ner Nei­gung, es zu hö­ren, an den Tag zu le­gen, las »Ka­pi­tän Hop­kins« mit lau­ter so­no­rer Stim­me Wort für Wort vor. Wenn es zwan­zig­tau­send Leu­te hät­ten hö­ren wol­len, ei­ner nach dem an­de­ren, der Ka­pi­tän wür­de es zwan­zig­tau­send­mal vor­ge­le­sen ha­ben. Ich weiß noch, mit wel­chem Wohl­be­ha­gen er ge­wis­se Phra­sen, wie: »Die im Par­la­ment ver­sam­mel­ten Ver­tre­ter des Volks«, oder »die Bitt­stel­ler na­hen sich de­mü­tigst Ihrem hoch­an­sehn­li­chen Hau­se«, »Eu­rer huld­rei­chen Ma­je­stät un­glück­li­che Un­ter­ta­nen«, zer­kau­te, als ob die­se Wor­te in sei­nem Mun­de zu et­was Rea­lem von köst­li­chem Ge­schma­cke wür­den, wäh­rend Mr. Mi­ca­w­ber mit ein biss­chen Au­to­re­nei­tel­keit und nicht all­zu stren­gem Blick die ei­ser­nen Spit­zen des ge­gen­über­lie­gen­den Ge­fäng­nis­git­ters be­trach­te­te.

      Mr. Mi­ca­w­bers ers­te Bitt­schrift wur­de güns­tig er­le­digt, und das Ge­richt ord­ne­te zu mei­ner großen Freu­de sei­ne Frei­las­sung an. Sei­ne Gläu­bi­ger zeig­ten sich nicht un­ver­söhn­lich, und Mrs. Mi­ca­w­ber er­zähl­te mir, dass selbst der ra­che­dürs­ten­de Schus­ter vor Ge­richt er­klärt habe, er hege wei­ter kei­nen Groll, wün­sche aber be­zahlt zu sein, wenn man ihm Geld schul­de. Er habe ge­sagt, er glau­be, das sei mensch­lich.

      Mr. Mi­ca­w­ber kehr­te nach Kings-Bench zu­rück, als sein Fall er­le­digt war, denn es muss­ten noch ei­ni­ge Kos­ten be­zahlt und ei­ni­ge For­ma­li­tä­ten er­füllt wer­den, ehe er frei­ge­las­sen wur­de. Der Klub emp­fing ihn mit Be­geis­te­rung und ver­an­stal­te­te an die­sem Abend ihm zu Ehren eine mu­si­ka­li­sche Fei­er, wäh­rend Mrs. Mi­ca­w­ber und ich uns pri­va­tim an ei­nem Lamms­bra­ten er­freu­ten, um­ge­ben von der schla­fen­den Fa­mi­lie.

      »Bei die­ser Ge­le­gen­heit will ich mit Ih­nen, Mas­ter Cop­per­field«, sag­te Mrs. Mi­ca­w­ber, »mit ei­nem fri­schen Glas Flip – wir hat­ten schon ei­ni­ge ge­trun­ken – auf das Wohl von Papa und Mama trin­ken.«

      »Sind sie tot, Ma­da­me?« frag­te ich, nach­dem ich mit mei­nem Wein­glas an­ge­sto­ßen hat­te.

      »Mama schied aus dem Le­ben, be­vor Mr. Mi­ca­w­bers Drang­sa­le be­gan­nen oder we­nigs­tens noch nicht so schlimm wa­ren. Papa leb­te noch, um meh­re­re Male für Mr. Mi­ca­w­ber Bürg­schaft zu leis­ten, und hauch­te dann sei­nen Geist aus, be­weint von ei­nem zahl­rei­chen Kreis.«

      Mrs. Mi­ca­w­ber schüt­tel­te den Kopf und ließ eine Trä­ne auf den Zwil­ling, der ge­ra­de bei der Hand war, fal­len.

      Da ich schwer­lich eine güns­ti­ge­re Ge­le­gen­heit zu der Fra­ge, die mir sehr am Her­zen lag, fin­den konn­te, sag­te ich zu Mrs. Mi­ca­w­ber:

      »Darf ich fra­gen, Ma’am, was Sie und Mr. Mi­ca­w­ber zu tun ge­den­ken, wenn Ihr Herr Ge­mahl aus sei­nen Ver­le­gen­hei­ten her­aus und wie­der in Frei­heit ist? Ha­ben Sie schon einen Ent­schluss ge­fasst?«

      »Mei­ne Fa­mi­lie«, sag­te Mrs. Mi­ca­w­ber, die die­se Wor­te im­mer mit ei­ner großen Ges­te aus­sprach, ob­gleich ich nie her­aus­be­kom­men konn­te, wer ei­gent­lich dar­un­ter zu ver­ste­hen sei, »mei­ne Fa­mi­lie ist der Mei­nung, dass Mr. Mi­ca­w­ber Lon­don den Rücken keh­ren und sei­ne Ta­len­te in der Pro­vinz ver­wer­ten sol­le. Mr. Mi­ca­w­ber ist ein Mann von großem Ta­lent, Mas­ter Cop­per­field!«

      Ich sag­te, dass ich dar­an nicht zweifle.

      »Von großem Ta­lent«, wie­der­hol­te Mrs. Mi­ca­w­ber. »Mei­ne Fa­mi­lie ist der Mei­nung, dass mit ein we­nig Für­spra­che für einen Mann von sei­nen Fä­hig­kei­ten et­was


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