David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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und die Rou­leaux wa­ren her­ab­ge­las­sen, um die Nach­barn zu täu­schen. Der Säug­ling ge­hör­te zu ei­nem Zwil­lings­paar und wäh­rend mei­ner gan­zen Be­kannt­schaft mit der Fa­mi­lie sah ich nie­mals die Mut­ter ohne einen der bei­den an der Brust. Ei­ner von bei­den hat­te im­mer Hun­ger.

      Noch zwei an­de­re Kin­der wa­ren da. Mas­ter Mi­ca­w­ber, un­ge­fähr vier Jah­re, und Miss Mi­ca­w­ber, etwa drei alt. Dazu kam noch ein jun­ges, dun­kel­häu­ti­ges Dienst­mäd­chen, das be­stän­dig schnauf­te und, wie sie es nann­te, ein »Wais­ling«, aus dem be­nach­bar­ten St.-Lu­kas-Ar­men­hau­se stamm­te. Mein Zim­mer sah un­ter dem Da­che nach dem Hof hin­aus, war klein, mit ei­nem weiß­blau­en Sem­mel­mus­ter be­malt und sehr dürf­tig mö­bliert.

      »Ich hät­te nie ge­dacht«, sag­te Mrs. Mi­ca­w­ber, als sie mit den bei­den Zwil­lin­gen hin­auf­ging, um mir das Zim­mer zu zei­gen, und sich nie­der­setz­te, um Atem zu schöp­fen, »ich hät­te nie ge­glaubt, ehe ich hei­ra­te­te und noch bei Papa und Mama leb­te, dass ich noch ein­mal an frem­de Leu­te wür­de ver­mie­ten müs­sen. Aber da Mr. Mi­ca­w­ber mo­men­tan in Ver­le­gen­hei­ten ist, müs­sen alle selbst­süch­ti­gen Be­den­ken fal­len.«

      Ich sag­te: »Ja­wohl, Ma­da­me.«

      »Mr. Mi­ca­w­bers Be­dräng­nis­se sind au­gen­blick­lich fast er­drücken­der Art«, fuhr Mrs. Mi­ca­w­ber fort, »und ob es mög­lich sein wird, ihn hin­durch­zu­brin­gen, weiß ich nicht. Als ich noch zu Hau­se bei Papa und Mama leb­te, hät­te ich Pa­pas Lieb­lings­aus­druck Ex­pe­ri­en­tia do­cet kaum so ver­stan­den, wie ich es jetzt tue.«

      Ich weiß nicht recht, ob sie mir sag­te, dass Mr. Mi­ca­w­ber Ma­ri­ne­be­am­ter ge­we­sen war, oder ob ich es mir bloß ein­bil­de­te. Au­gen­blick­lich war er eine Art Platz­rei­sen­der für ver­schie­de­ne Häu­ser, mach­te aber we­nig oder gar kei­ne Ge­schäf­te.

      »Wenn Mr. Mi­ca­w­bers Gläu­bi­ger nicht war­ten wol­len«, sag­te Mr. Mi­ca­w­ber, »müs­sen sie selbst die Fol­gen tra­gen. Je eher sies zu ei­nem Ende brin­gen, de­sto bes­ser. Blut lässt sich aus kei­nem Stein pres­sen, und noch we­ni­ger kann Mr. Mi­ca­w­ber jetzt et­was auf Ab­schlag zah­len, – die Ge­richts­kos­ten gar nicht zu er­wäh­nen.«

      Ich weiß nicht, ob sie mei­ne früh­rei­fe Selbst­stän­dig­keit über mein Al­ter irre mach­te oder ob die An­ge­le­gen­heit sie der­art er­füll­te, dass sie sie so­gar den bei­den Zwil­lin­gen er­zählt ha­ben wür­de, wenn nie­mand an­ders da­ge­we­sen wäre. Je­den­falls schlug sie die­se Ton­art an und re­de­te dar­in wei­ter, so­lan­ge ich sie kann­te.

      Die arme Mrs. Mi­ca­w­ber! Sie habe sich kei­ne Mühe ver­drie­ßen las­sen, sag­te sie; und dar­an zweifle ich nicht. Die Hau­stü­re war halb ver­deckt von ei­ner großen Mes­sing­plat­te mit der Auf­schrift: »Mrs. Mi­ca­w­bers Er­zie­hungs­heim für jun­ge Da­men.« Aber ich er­fuhr nie, dass eine jun­ge Dame Un­ter­richt ge­nom­men hät­te oder an­ge­mel­det wor­den wäre. Die ein­zi­gen Be­su­cher, die ich sah, wa­ren Gläu­bi­ger. Sie pfleg­ten den gan­zen Tag zu kom­men und ei­ni­ge von ih­nen be­nah­men sich furcht­bar wild. Ein Mann mit ei­nem schmut­zi­gen Ge­sich­te, ich glau­be, er war Schus­ter, klemm­te sich je­den Mor­gen schon um sie­ben Uhr früh zur Hau­stü­re her­ein und rief die Trep­pe hin­auf Mr. Mi­ca­w­ber zu: »No, Sie sind noch nicht fort, weiß schon. Wer­den Sie end­lich zah­len? Ver­ste­cken Sie sich nicht. Das ist ge­mein! Ich möch­te nicht so ge­mein sein, wenn ich Sie wäre. Zah­len Sie end­lich, ja? Wer­den Sie nicht end­lich zah­len, was! No?« Da er nie eine Ant­wort be­kam, pfleg­te er sich in sei­ner Wut zu Wor­ten wie Schwind­ler und Räu­ber zu ver­stei­gen, und als auch das nie half, lief er zu­wei­len so­gar auf die Stra­ße hin­aus und brüll­te zu den Fens­tern des zwei­ten Stocks hin­auf, wo sich Mr. Mi­ca­w­ber auf­hielt, wie er wuss­te.

      Bei sol­cher Ge­le­gen­heit pfleg­te Mr. Mi­ca­w­ber vor Är­ger au­ßer sich zu ge­ra­ten und To­des­ge­dan­ken zu be­kom­men, und es kam manch­mal so weit, dass er, wie mir das Schrei­en sei­ner Frau stets ver­riet, mit dem Ra­sier­mes­ser eine Be­we­gung nach sei­nem Hal­se mach­te. Eine hal­be Stun­de spä­ter putz­te er sich je­doch im­mer wie­der mit großer Sorg­falt die Schu­he und ging pfei­fend mit vor­neh­me­rer Mie­ne als je aus.

      Mrs. Mi­ca­w­ber war ähn­lich elas­ti­scher Na­tur. Ich habe sie bei Prä­sen­tie­rung der kö­nig­li­chen Steu­er­ta­xe um drei Uhr in Ohn­macht fal­len se­hen, und schon um vier Uhr ver­zehr­te sie Lamm­ko­te­let­ten und Warm­bier, was von dem Er­lös der im Leih­haus ver­setz­ten zwei Tee­löf­fel an­ge­schafft wor­den war. Ein­mal, als eben eine Exe­ku­ti­on voll­streckt wur­de und ich zu­fäl­lig um sechs Uhr nach Hau­se kam, lag sie mit zersaus­tem Haar, selbst­ver­ständ­lich mit ei­nem Zwil­ling, ohn­mäch­tig ne­ben dem Ka­min. Aber nie habe ich sie lus­ti­ger ge­se­hen als noch am sel­ben Abend bei ei­nem Ko­te­lett am Herd­feu­er, wo sie mir Ge­schich­ten von Papa und Mama und ih­ren Ge­sell­schaf­ten er­zähl­te.

      In die­sem Hau­se und in die­ser Fa­mi­lie ver­brach­te ich mei­ne freie Zeit. Mein Früh­stück, aus ei­nem Pen­ny­brot und ei­nem Schluck Milch be­ste­hend, ver­schaff­te ich mir selbst. Ein zwei­tes Brot und ein Kä­se­rest wa­ren für mich in ei­nem be­son­dern Fach ei­nes Schran­kes auf­ge­ho­ben, wenn ich abends nach Hau­se kam. Das mach­te ein Loch in die sechs oder sie­ben Schil­lin­ge, und ich war den gan­zen Tag über im Ma­ga­zin und muss­te mich eine vol­le Wo­che von dem Gel­de er­hal­ten. Von Mon­tag früh bis Sams­tag abend hat­te ich we­der Rat, Er­mu­ti­gung, Trost, Bei­stand oder Un­ter­stüt­zung von ir­gend­je­mand, so wahr mir Gott hel­fe.

      Ich war so jung und so kin­disch und so we­nig ge­eig­net, – wie hät­te es auch an­ders sein kön­nen – die gan­ze Sor­ge für mei­ne Exis­tenz zu tra­gen, dass ich oft früh, wenn ich zu Murd­sto­ne & Grin­by ging, der Ver­su­chung nicht wi­der­ste­hen konn­te und mir die zum hal­b­en Preis im Fens­ter des Bäckers aus­ge­stell­ten alt­ba­cke­nen Pas­te­ten kauf­te und da­für das Geld aus­gab, das für mein Mit­ta­ges­sen be­stimmt war.

      Wenn ich ein­mal re­gel­recht zu Mit­tag speis­te, kauf­te ich mir eine Rou­la­de und ein Pen­ny­brot oder eine Por­ti­on ro­tes Rind­fleisch für vier Pence oder eine Por­ti­on Käse und Brot und ein Glas Bier in ei­nem elen­den Wirts­haus, un­serm Ge­schäft ge­gen­über, das »der Löwe« hieß.

      Ein­mal, ich er­in­ne­re mich noch, trug ich mein Brot, das ich von zu Hau­se mit­ge­nom­men hat­te, in Pa­pier ge­wi­ckelt wie ein Buch, un­ter dem Arm und ging in ei­nes der be­kann­te­ren Spei­se­häu­ser hin­ter Dr­u­ry Lane und be­stell­te mir eine klei­ne Por­ti­on Rinds­bra­ten. Was sich der Kell­ner beim An­blick der selt­sa­men klei­nen Er­schei­nung, die ganz al­lein her­ein­trat, dach­te, weiß ich nicht, aber er starr­te mich an wäh­rend des gan­zen Es­sens und rief auch den an­de­ren Kell­ner her­bei. Ich gab einen hal­b­en Pen­ny Trink­geld und wünsch­te, er hät­te ihn nicht ge­nom­men.

      Wir hat­ten eine hal­be Stun­de zur Pau­se frei. Wenn ich Geld be­saß, kauf­te ich mir eine hal­be Pin­te zu­sam­men­ge­gos­se­nen Kaf­fee und ein Stück But­ter­brot. Wenn ich keins hat­te, be­trach­te­te ich mir eine Wild­bret­hand­lung in Fleet Street oder lief bis Co­vent Gar­den Mar­ket und starr­te die Ana­nas­se an. Mein Lieb­lings­spa­zier­gang er­streck­te sich bis in die Nähe des Adel­phi-Thea­ters, weil es mit sei­nen dun­keln Bo­gen ein so ge­heim­nis­vol­ler Ort war. Ich sehe mich noch, wie ich ei­nes Abends aus ei­nem die­ser


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