David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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und schon hat­te er es mir vom Hal­se ge­ris­sen und es der Frau zu­ge­wor­fen.

      Das Weib brach in ein Ge­läch­ter aus, als ob sie das für einen Spaß hiel­te und warf es mir wie­der hin und nick­te wie­der und ver­zog ihre Lip­pen zu dem Wor­te: »Fort.«

      Ehe ich noch ge­hor­chen konn­te, riss mir der Kes­sel­fli­cker das Tuch mit sol­cher Ge­walt aus der Hand, dass ich zur Sei­te flog wie eine Fe­der. Dann wand­te er sich mit ei­nem Fluch zu der Frau und schlug sie zu Bo­den. Ich sehe sie jetzt noch vor mir, wie sie rück­lings auf die Stei­ne hin­stürzt und dort liegt, den Hut vom Kopf ge­ris­sen und das Haar ganz weiß vom Staub. Wie ich mich aus der Fer­ne um­schaue, sitzt sie am Stra­ßen­rand und wischt mit dem Zip­fel ih­res Schals das Blut aus dem Ge­sicht, wäh­rend der Kes­sel­fli­cker un­be­küm­mert wei­ter­geht.

      Die­ses Aben­teu­er ent­setz­te mich so, dass ich spä­ter mich im­mer ver­steck­te, wenn ich Leu­te sol­chen Schla­ges kom­men sah und oft ein Stück zu­rück­lau­fen muss­te, was mei­ne Rei­se sehr ver­län­ger­te. Aber in die­sen und an­de­ren Be­dräng­nis­sen auf mei­ner Wan­de­rung hielt mich das Fan­ta­sie­bild von mei­ner Tan­te und mei­ner Mut­ter auf­recht. Nie wich es von mir. Ich sah es zwi­schen den Hop­fen­stan­gen, als ich mich nie­der­leg­te; es stand bei mir früh am Mor­gen und blieb bei mir den gan­zen Tag.

      Es hat sich seit­dem für im­mer mit der son­nig hel­len Stra­ße von Can­ter­bu­ry und sei­nen al­ten Häu­sern und To­ren und sei­ner al­ten grau­en Ka­the­dra­le in mei­ner See­le ver­bun­den.

      Als ich end­lich auf die öden wei­ten Dü­nen bei Do­ver kam, ver­gol­de­te es mir den ein­sa­men An­blick der Ge­gend mit ei­nem Hoff­nungs­strahl, und erst, als ich das große Ziel mei­ner Rei­se er­reicht und am sechs­ten Tag nach mei­ner Flucht wirk­lich den Fuß in die Stadt setz­te, wich es von mir. Dann, – selt­sam ge­nug, – als ich mit zer­ris­se­nen Schu­hen, stau­big, sonn­ver­brannt und nur halb be­klei­det in der so lan­ger­sehn­ten Stadt stand, schi­en es wie ein Traum­ge­sicht zu ver­schwin­den und ließ mich hilf­los und ent­mu­tigt al­lein.

      Ich er­kun­dig­te mich nach mei­ner Tan­te zu­erst bei den Schif­fern und er­hielt die ver­schie­dens­ten Aus­künf­te. Der eine sag­te, sie woh­ne auf dem süd­li­chen Leucht­turm und hät­te sich dort den Ba­cken­bart ver­brannt, ein an­de­rer, sie sei an der großen Boje drau­ßen vor dem Ha­fen an­ge­bun­den, und man kön­ne sie nur bei Stau­was­ser be­su­chen. Ein drit­ter, dass sie we­gen Kin­der­dieb­stahl im Mai­dsto­ne­ker­ker ein­ge­sperrt sei. Ein vier­ter, sie sei wäh­rend des letz­ten Sturms auf ei­nem Be­sen nach Calais ge­rit­ten. Die Drosch­ken­kut­scher, bei de­nen ich mich dann er­kun­dig­te, wa­ren eben­so spa­ßig und we­nig re­spekt­voll, und die La­den­in­ha­ber, de­nen mein Aus­se­hen nicht ge­fiel, ant­wor­te­ten meis­tens, ohne über­haupt mei­ne Fra­ge an­zu­hö­ren, sie hät­ten nichts für mich.

      Ich fühl­te mich un­glück­li­cher und ent­mu­tig­ter als je­mals, seit ich fort­ge­lau­fen. Mein Geld war zu Ende, ich hat­te nichts mehr zu ver­kau­fen, war hung­rig, durs­tig und er­schöpft und schi­en mei­nem Ziel fer­ner zu sein als in Lon­don.

      Der Mor­gen war über mei­nen Nach­fra­gen ver­gan­gen, und ich saß auf den Stu­fen vor ei­nem lee­ren La­den an ei­ner Stra­ßen­e­cke und ging mit mir zu Rate, ob ich nach den an­de­ren Or­ten, die mir Peg­got­ty ge­schrie­ben hat­te, wan­dern soll­te, als ein Drosch­ken­kut­scher vor­bei­fuhr und sei­ne Pfer­de­de­cke ver­lor. Ich reich­te sie ihm auf den Bock, und et­was Gut­mü­ti­ges in dem Ge­sicht des Man­nes er­mu­tig­te mich, ihn zu fra­gen, ob er nicht wis­se, wo Miss Trot­wood woh­ne. Ich hat­te die Fra­ge schon so oft ge­stellt, dass sie mir fast auf den Lip­pen erstarb.

      »Trot­wood?« sag­te er. »Lass mal se­hen. Ich ken­ne doch den Na­men! Alte Dame?«

      »Ja«, sag­te ich, »ziem­lich.«

      »Ziem­lich steif im Rücken«, sag­te er und setz­te sich sehr ge­ra­de.

      »Ja«, sag­te ich, »ich glau­be wohl.«

      »Trägt einen Strick­beu­tel? Strick­beu­tel mit viel Platz drin. Ist mür­risch und fährt einen scharf an?«

      Ich ließ den Mut sin­ken ob die­ser Schil­de­rung, die un­zwei­fel­haft auf mei­ne Tan­te pass­te.

      »Also hör mal«, sag­te er, »wenn du dort hin­auf­gehst«, er wies mit sei­ner Peit­sche nach dem Hü­gel, »und rechts hin­auf­gehst bis zu ein paar Häu­sern am Meer, kannst du Ge­nau­e­res über sie er­fah­ren. Ich glau­be nicht, dass sie et­was gibt. Da ist ein Pen­ny für dich.«

      Ich nahm die Gabe dank­bar an und kauf­te mir Brot da­für. Ich aß es un­ter­wegs und ging in der Rich­tung, bis ich an die Häu­ser kam. Ich trat in einen klei­nen La­den und bat, ob man nicht so gut sein woll­te, mir zu sa­gen, wo Miss Trot­wood woh­ne. Ich wen­de­te mich an einen Mann hin­ter dem La­den­tisch, der eine Tüte Reis für ein Mäd­chen ab­wog, da dreh­te sich die­ses um.

      »Mei­ne Herr­schaft? Was willst du bei ihr?«

      »Ich möch­te mit ihr spre­chen, bit­te.«

      »Das heißt, du willst sie an­bet­teln«, ent­geg­ne­te das Mäd­chen.

      »Nein«, sag­te ich, »wahr­haf­tig nicht.« Dann fiel mir plötz­lich ein, dass ich doch ei­gent­lich zu kei­nem an­de­ren Zweck kam, schwieg ver­wirrt und fühl­te, wie ich rot wur­de.

      Die Zofe mei­ner Tan­te, denn das muss­te sie wohl sein, leg­te den Reis in ein klei­nes Körb­chen und ver­ließ den La­den, mit der Wei­sung, ich sol­le ihr fol­gen, wenn ich wis­sen wol­le, wo Miss Trot­wood woh­ne. Ich war so auf­ge­regt, dass mir die Knie schlot­ter­ten.

      Ich folg­te dem jun­gen Mäd­chen, und wir ka­men sehr bald zu ei­nem sehr hüb­schen Häu­schen mit ent­zücken­den Bo­gen­fens­tern. Da­vor lag ein klei­ner Gar­ten voll Blu­men, sorg­fäl­tig ge­pflegt und herr­lich duf­tend.

      »Hier wohnt Miss Trot­wood«, sag­te das Mäd­chen. »Jetzt weißt dus. Wei­ter kann ich dir nichts sa­gen.«

      Mit die­sen Wor­ten eil­te sie ins Haus, wie um die Verant­wort­lich­keit für mein Er­schei­nen ab­zu­schüt­teln, und ließ mich am Gar­ten­tor ste­hen. Ich sah trost­los auf das Wohn­zim­mer­fens­ter hin, wo ein halb zu­rück­ge­zo­gner Mus­selin­vor­hang, ein großer runder grü­ner Schirm oder Fä­cher auf dem Fens­ter­brett, ein klei­ner Tisch und ein Arm­stuhl mich ah­nen lie­ßen, dass mei­ne Tan­te in die­sem Au­gen­blick in großer Stren­ge dort saß.

      Mei­ne Schu­he be­fan­den sich in ei­nem kläg­li­chen Zu­stand. Die Soh­len wa­ren stück­wei­se los­ge­löst, und das Ober­le­der, bald hier; bald dort ge­platzt, hat­te die Form ei­nes Schu­hes ver­lo­ren. Mein Hut; der mir auch als Nacht­müt­ze ge­dient, war so zer­drückt und ver­bo­gen, dass es jede alte stiel­lo­se Pfan­ne auf ei­nem Mist­hau­fen er­folg­reich mit ihm auf­ge­nom­men hät­te. Mein Hemd und mei­ne Ho­sen, schmut­zig und fle­ckig von Hit­ze, Tau, Gras und dem ken­ti­schen Kalk­bo­den, auf dem ich ge­schla­fen, und au­ßer­dem zer­ris­sen, wä­ren im­stan­de ge­we­sen, eine Vo­gel­scheu­che in mei­ner Tan­te Gar­ten ab­zu­ge­ben.

      So stand ich in der Türe. Mein Haar hat­te, seit ich Lon­don ver­las­sen, we­der Kamm noch Bürs­te ge­se­hen. In Ge­sicht, an Hals und Hän­den hat­ten mich Luft und Son­ne dun­kel­braun ge­brannt. Von Kopf bis zu den Fü­ßen mit Kalk und Staub weiß ge­pu­dert, sah ich aus, als ob ich aus ei­nem Kal­kofen käme. In die­sem Auf­zug, und mei­nes Aus­se­hens


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