Personzentriertes Arbeiten in sozialen Berufen. Petr Ondracek

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Personzentriertes Arbeiten in sozialen Berufen - Petr Ondracek


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die Wünsche, Bedürfnisse und Ansprüche des zu unterstützenden Menschen begriffen/verstanden, ernst genommen und nach Möglichkeiten erfüllt werden sollen. In der Tat ist es einfacher, wenn die Bedingungen dieser Annahme entsprechen. Dies zu erwarten bzw. als eine Voraussetzung zu betrachten ist allerdings illusorisch, denn das entspricht wirklich nicht dem heilpädagogischen Berufsalltag.

      Die personzentrierte Arbeitsweise in realen Bedingungen muss sich folglich daran messen lassen, dass die zu erledigenden Aufgaben trotz bestehender Einschränkungen, Grenzen und Meinungsunterschiede auf eine solche Art und Weise erfüllt werden, die den Anderen das Gesicht wahren lassen und seine Würde nicht in Frage stellen. Also unabhängig von materiellen und organisatorischen Bedingungen zu agieren – die Gestaltung der Kontakte, Kommunikation und Interaktion mit anderen während der Dienstzeit liegt ausschließlich in den Händen der heilpädagogisch tätigen Fachperson.

      Wie oben erwähnt, stellt die Fähigkeit, sich selbst und andere anzunehmen und zu beachten, ein natürliches und entfaltungsfähiges Potential jedes Menschen dar. Im Berufsalltag personzentriert aufzutreten (d. h. bewusst, begründet, gekonnt und reflektiert) ist nicht mehr und nicht weniger als das Ergebnis der Weiterentwicklung und Kultivierung dieses Potentials.

      Wozu soll das denn eigentlich gut sein, im Berufsalltag personzentriert aufzutreten? Die vielen persönlichen Signale der ehrlichen Annahme und Beachtung des Gegenübers (Blickkontakt, Anrede mit Namen, Berührung, Interesse am Befinden, Beteiligungsmöglichkeiten, Entscheidungsspielraum, Lob und Anerkennung, gemeinsame Erlebnisse usw.) wirken positiv auf dessen Selbstwertgefühl und steigern die Erlebensqualität der gemeinsam verbrachten Zeit – sowohl bei dem zu unterstützenden Menschen als auch bei der Fachperson. Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, würde höchstwahrscheinlich das personzentrierte Arbeiten als professionell praktizierte Mitmenschlichkeit bezeichnen.

      Vielleicht lässt sich nun besser verstehen, wieso die eingangs zitierte Mitarbeiterin trotz ihrer anspruchsvollen und schwierigen Arbeit immer noch Freude an ihrem Job hat. Sie arbeitet zwar nicht ganz ohne Belastung und Stress, aber erlebt Tag für Tag eine befriedigende Anzahl von Begegnungen, Entwicklungen und Erfolgen. Sie ist autonom, weil sie in der alltäglichen Kontaktgestaltung selbstbestimmt so handelt, dass sie den zu unterstützenden Menschen etwas menschlich sehr Wesentliches gibt (und sie bekommt zwar nicht immer, aber häufig retour): Respekt und Bestätigung des persönlichen Wertes.

      Exkurs zur Heilpädagogik

      In der Heilpädagogik zeigt sich die Umsetzung der Theorie in die Praxis komplizierter, als man denkt. So verlangt die heilpädagogische Theorie deutlich nach Mitbeteiligung des zu unterstützenden Menschen. Was soll aber die heilpädagogisch tätige Fachperson machen, wenn sie z. B. mit einer Verweigerung des Klienten bei einem unumgänglichen Arztbesuch konfrontiert wird? Sie ist doch dafür verantwortlich, dass die ärztliche Behandlung stattfindet!

      Hier beginnt das Handeln persönlich zu sein. Die Heilpädagogik liefert zwar als eine handlungsorientierte Wissenschaft wichtige Erkenntnisse für das Tun. Allerdings entscheidet über die Art der Aufgabenerfüllung jede heilpädagogisch tätige Fachperson eigenverantwortlich selbst. Sie befindet sich bei dieser Entscheidung an einer wichtigen Grenze. Ausgehend davon, wie sie sich selbst und das Gegenüber wahrnimmt und was ihr persönlich wichtig ist, setzt sie entsprechende Vorgehensweisen ein, um das zu erfüllen, wofür sie bezahlt wird. Zur Verfügung stehen zwei Alternativen:

      image Die Aufgaben kann man sozusagen an dem zu pflegenden Menschen erledigen. Das bedeutet, nach folgendem Grundsatz zu handeln: »Das und jenes muss gemacht werden (bzw. darf nicht passieren). Dafür bin ich verantwortlich, und deshalb wird es so erledigt, wie ich es für richtig halte. Du besitzt weder den erforderlichen Durchblick noch die Fähigkeiten dazu, und deshalb sollst du alles so machen, wie ich es sage!« Diese Vorgehensweise ist Ausdruck einer Einstellung, die primär auf die Erfüllung von Aufgaben bezogen ist.

      image Die Aufgaben kann man jedoch auch mit Berücksichtigung des Gegenübers erledigen. Dies bedeutet, nach folgendem Grundsatz zu handeln: »Das und jenes muss gemacht werden (bzw. darf nicht passieren). Ich bin dafür verantwortlich, nur ist es ohne deine Mitwirkung schwierig zu schaffen. Wie geht es dir damit und wie können wir das umsetzen? Was ist dir wichtig, was könnte es dir erleichtern, was darf ich übernehmen?« Diese Vorgehensweise ist Ausdruck einer personzentrierten Einstellung dem zu unterstützenden Menschen gegenüber.

      Die zweite Vorgehensweise ist eine personzentrierte Art und sie ist schon per se heilpädagogisch relevant: Die Fachperson respektiert die Menschenwürde des zu unterstützenden Menschen (anders gesagt: Sie hält ihn für gleichwürdig mit jedem anderen Menschen, also auch mit sich selbst), ermöglicht ihm eine seinen Möglichkeiten angemessene Beteiligung am Geschehen und trägt somit zum Erhalt bzw. zur Entwicklung und Stabilisierung seines Personseins bei.

      Diese Behauptung wird im weiteren Text nicht nur durch Darstellung und Erörterung von Grundlagen und Zusammenhängen der personzentrierten Arbeitsweise untermauert. Denn die heilpädagogische Unterstützung ist – wie uns die Theorie lehrt – per se schon am Gegenüber orientiert. Es geht nicht darum, ein bestimmtes »normgerechtes Produkt« herzustellen. Die heilpädagogische Unterstützung zielt also nicht auf eine »Reparatur« von nicht bzw. nicht richtig funktionierenden bio-psycho-sozialen Teilbereichen bei Kindern, Heranwachsenden bzw. erwachsenen Menschen, um sie an eine gesellschaftlich geläufige (Erwartungs-)Norm anzupassen.

      Im Gegenteil – wer heilpädagogisch tätig ist, leistet nicht mehr und nicht weniger als einen persönlich-mitmenschlichen und fachkompetenten Beistand, der zum Zwecke des Aushaltens von Unveränderbarem, der Überwindung des Beeinträchtigenden und der Entfaltung des Potentiellen erbracht wird. In diesem Selbstverständnis ist auch die Bezeichnung »heil« begründet: Dem zu unterstützenden Menschen soll weder eine »heile« Welt vorgegaukelt noch soll er von seinen organischen oder sonstigen Störungen »geheilt« (gesund gemacht) werden.

      Diese Art des fachlich-mitmenschlichen Beistands trägt dazu bei, die im Kontext der »normwidrigen« Existenzeigenart entstandenen psychosozialen und gesellschaftlichen Beeinträchtigungen zu überwinden, sie auszugeichen, loszuwerden, um weniger belastet und inmitten der Gesellschaft das Alltagsleben gestalten zu können. Die heilpädagogische Unterstützung wirkt also heil-bringend im Sinne einiger etymologischer Bedeutungen des Substantivs Heil, wie z. B. »etwas, was jemandem das ersehnte Gute bringt; jemandes Wohlergehen; Glückgeborgen«, bzw. des Adjektivs »heil«, wie z. B. »gerettet, vollständig, ganz« (Duden 2019).

      Nicht wenigen Interessenten für eine berufliche Qualifizierung in Heilpädagogik scheint (zunächst) dieses Selbstverständnis unbekannt. Sie fangen die Ausbildung mit der Vorstellung an, einen Heilberuf im medizinischen Sinne erlernen zu wollen. Folglich sind sie bestrebt, den persönlichen »methodischen Werkzeugkoffer« mit wirksamen therapeutischen »Instrumenten« zu füllen.

      Mit der besseren Orientierung in Theorie und Praxis während der Ausbildung hinsichtlich der Quintessenz heilpädagogischer Unterstützung verliert dieser »Werkzeugkoffer« nach und nach seine anfängliche Bedeutung und viele der angehenden Fachleute fangen an, sich in ursprünglicher Bedeutung des Wortes als Therapeuten zu verstehen: Im antiken Griechenland wurde als therapeia das Dienen, der Dienst, die Pflege bezeichnet. Demnach waren die therapeutes Diener und Pfleger (vgl. Dudenredaktion 2013).

      Es geht selbstverständlich nicht darum, dass Heilpädagogen und Heilpädagoginnen als eine Art »Fachdiener« für die zu unterstützenden Menschen tätig sein sollten. Das therapeia-Dienen besteht darin, das Fach- und Know-how-Wissen sowie die berufliche Mitmenschlichkeit der o. g. heil-bringenden »Entbeeinträchtigung« von dessen Lebenslage begründet, gekonnt und reflektiert zu Dienst zu stellen.

      Über heilpädagogisch relevantes Fach- und Know-how-Wissen existiert eine ganze Menge von Publikationen. Wie oben erwähnt, lässt sich die Personzentriertheit ihrem Wesen nach eigentlich als eine theoretisch untermauerte und methodisch ausgestaltete »berufliche Mitmenschlichkeit« betrachten. Diese (zugegebenermaßen)


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