Nikolas Nickleby. Charles Dickens

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Nikolas Nickleby - Charles Dickens


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Squeers sagte dies mit allen Anzeichen heftigsten Seelenkampfes, und da sie überdies krampfhaft nach Luft schnappte, erlaubte sich ihre Freundin keine weitere Widerrede. Sie gingen daher geradewegs auf Nikolas zu, der, die Augen niedergeschlagen, einherschlenderte und der beiden jungen Damen erst ansichtig wurde, als sie bereits ganz in seiner Nähe waren.

      »Guten Morgen«, grüßte er mit einer kühlen Verbeugung und schritt vorüber.

      »Er geht!« ächzte Miss Squeers. »Ich ersticke, Tilda.«

      »Ach, Mr. Nickleby«, rief Miss Price und tat, als beunruhige sie der Zustand ihrer Freundin, während ihr in Wirklichkeit der boshafte Wunsch, zu hören, was Nikolas sagen würde, keine Ruhe ließ, »ach, Mr. Nickleby – Mr. Nickleby!«

      Nikolas kam sofort zurück und fragte einigermaßen verwirrt, womit er den Damen dienen könne.

      »Reden Sie nicht lange«, drängte Miss Price, »sondern unterstützen Sie sie auf der anderen Seite. – Wie ist dir jetzt, liebe Fanny? Schon besser?«

      »Besser«, seufzte Miss Squeers und lehnte ihren rötlichbraunen, mit einem grünen Schleier geschmückten Hut an Nikolas' Schulter. »Ach, diese törichte Schwäche.«

      »Nenne sie nicht töricht, liebe Fanny«, sagte Mathilde Price, deren Augen vor Vergnügen über die Verwirrung des Hilfslehrers strahlten, »du hast keinen Grund, dich ihrer zu schämen. – Es sollten sich vielmehr die schämen, die zu stolz sind, etwas wiedergutzumachen, was sie angestellt haben.«

      »Sie sind, wie ich sehe, willens, mich noch weiter zu necken«, sagte Nikolas lächelnd, »trotzdem ich Ihnen bereits gestern gesagt habe, daß ich mir keiner Schuld bewußt bin.«

      »Hörst du es? Er sagt, er sei sich keiner Schuld bewußt, meine Liebe!« wiederholte die gottlose Miss Price boshaft. »Vielleicht warst du zu eifersüchtig oder zu vorschnell gegen ihn. Er sagt, er sei unschuldig. Ist das nicht Entschuldigung genug?«

      »Es scheint, Sie wollen mich absichtlich falsch verstehen«, fiel ihr Nikolas hastig ins Wort. »Ich bitte Sie wirklich recht sehr, mich bei Ihren Scherzen aus dem Spiel zu lassen. Ich habe wahrhaftig keine Zeit dazu und bin auch nicht in der Laune, in dem gegenwärtigen Augenblicke die Zielscheibe Ihres Witzes abzugeben.«

      »Was wollen Sie damit sagen?« fragte Miss Price mit geheucheltem Erstaunen.

      »Frage ihn nicht, Tilda!« flehte Miss Squeers. »Ich verzeihe ihm.«

      »Um Himmels willen«, rief Nikolas, als der braune Hut abermals auf seine Schulter sank, »die Sache scheint ernsthafter zu werden, als ich vermutete. Erlauben Sie, möchten Sie nicht die Güte haben, mich anzuhören?«

      Mit diesen Worten hob er den braunen Hut in die Höhe. Als er jedoch zu seinem unverhohlenen Erstaunen einem Blicke zärtlichen Vorwurfs von Seiten Miss Squeers' darunter begegnete, wich er bestürzt einige Schritte zurück, um aus dem Bereich seiner schönen Bürde zu kommen.

      »Es tut mir leid, gewiß aufrichtig leid«, stieß er dabei hervor, »daß ich gestern abends zu einer Mißhelligkeit zwischen Ihnen Anlaß gab. Ich habe mir selbst schon die bittersten Vorwürfe darüber gemacht, daß ich so ungeschickt war, dieses Zerwürfnis zu veranlassen, kann aber versichern, daß es unwissentlich und gegen meinen Willen geschah.«

      »Gut, gut, aber das ist gewiß nicht alles, was Sie zu sagen haben«, rief Miss Price, als Nikolas innehielt.

      »Ich fürchte es selber auch«, gab Nikolas mit einem gezwungenen Lächeln und einem Blick auf Miss Squeers zu. »Es ist allerdings höchst peinlich, aber –, gewiß, schon die bloße Andeutung einer solchen Vermutung setzt mich in Verlegenheit – aber, darf ich vielleicht fragen, ob die Dame annimmt, daß ich irgendwie – kurz, glaubt sie, daß ich vielleicht in sie verliebt bin?«

      »Er sitzt köstlich in der Klemme«, frohlockte Miss Squeers, »endlich habe ich ihn soweit. – Antworte für mich, liebe Tilda«, flüsterte sie ihrer Freundin zu.

      »Ob sie das glaubt?« rief Miss Price. »Natürlich glaubt sie es!«

      »Sie glaubt es?« platzte Nikolas heraus mit einem Ungestüm, das der Laie vielleicht einen Augenblick sogar für Entzücken halten konnte.

      »Gewiß«, versicherte Miss Price.

      »Wenn es Mr. Nickleby bezweifelt hat, Tilda«, stammelte Fanny errötend, »so mag er sich beruhigen. – Seine Gefühle werden erwidert –«

      »Um Gottes willen, halten Sie ein!« unterbrach sie Nikolas hastig. »Ich bitte, hören Sie mich an. Es waltet hier offenbar das seltsamste Mißverständnis ob, das man sich nur denken kann. Ich habe das Fräulein kaum ein halbes dutzendmal gesehen. Aber wäre es auch sechzigmal der Fall gewesen oder wenn ich sie noch sechzigtausendmal sehen würde, so würde das für mich gewiß nichts ändern. Es ist mir nicht im entferntesten jemals ein Gedanke, ein Wunsch oder eine Hoffnung in Verbindung mit ihr aufgestiegen, außer höchstens die – ich sage dies gewiß nicht etwa, um ihre Gefühle zu verletzen, sondern um ihr die wahre Beschaffenheit der meinigen zu erklären –, außer höchstens die, diesem Orte eines Tages den Rücken kehren zu können und nie wieder einen Fuß hierherzusetzen oder daran zurückzudenken, – ja nicht einmal anders daran zurückdenken zu dürfen als mit Abscheu und Entrüstung.«

      Nach dieser wohl nicht mehr mißzuverstehenden offenherzigen Erklärung, die sich mit dem ganzen Ungestüm eines empörten und aufgeregten Herzens Bahn brach, verbeugte sich Nikolas leicht und entfernte sich, ohne eine Erwiderung abzuwarten. Miss Squeers war geradezu vernichtet. Ihr Ärger, ihr Zorn, ihre Wut und die rasche Aufeinanderfolge bitterster leidenschaftlicher Gefühle, die ihr Innerstes durchwühlten, spotteten einfach jeder Beschreibung. Zurückgewiesen von einem Hilfslehrer, den man durch eine Zeitungsannonce und gegen ein Jahresgehalt von fünf Pfund, zahlbar in unbestimmten Raten, aufgelesen hatte und hinsichtlich Kost und Wohnung ganz wie die Zöglinge selbst hielt! – Und dies noch obendrein in Gegenwart eines unreifen Gelbschnabels von Müllerstochter, die ihre achtzehn Jahre zählte und sich in drei Wochen mit einem Manne verheiraten sollte, der sie auf den Knien um ihr Jawort angefleht! Ersticken hätte Fanny Squeers mögen bei dem Gedanken an eine solche Demütigung.

      Aber ungeachtet des Sturmes in ihrem Innern blieb ihr doch das eine klar, daß sie Nikolas mit der ganzen Engherzigkeit und Erbärmlichkeit eines Abkömmlings des Hauses Squeers haßte und verabscheute. Auch blieb ihr noch ein Trost übrig, nämlich, daß sie ja jede Stunde des Tages seinen Stolz verwunden und ihn durch kleine Gehässigkeiten, Kränkungen und Verkürzungen verletzen konnte – um so leichter, als diese von einem so feinfühligen Manne wie Nikolas doppelt bitter empfunden werden mußten. Durch diese Aussicht innerlich gestärkt, suchte Miss Squeers die Sache zu ihrem Vorteile zu drehen, indem sie zu ihrer Freundin bemerkte, Mr. Nickleby sei ein so wunderlicher Mensch und von so unüberlegtem Wesen, daß sie glaube, es sei wirklich das beste, ihn ganz aufzugeben. Und damit trennten sich die beiden jungen Damen.

      »Er soll sich hüten«, knirschte sie aufgebracht, als sie wieder in ihrem Zimmer war und ihren Gefühlen durch einen Ausfall auf Phib ein wenig Erleichterung verschafft hatte. »Wenn die Mama zurückkommt, werde ich sie schon gegen ihn aufhetzen.«

      Das war wohl kaum mehr nötig. Der arme Nikolas wurde auch sowieso, abgesehen von der schlechten Kost, der schmutzigen Wohnung und dem grausigen Elend, dessen Zeuge er unablässig sein mußte, mit jeder Art Herabwürdigung, die Bosheit und der niedrigste Haß zu ersinnen vermochte, behandelt.

      Aber das war noch nicht alles. Es wurde noch ein anderes, tiefer einschneidendes Peinigungssystem erdacht, das ihn fast zur Verzweiflung brachte.

      Der arme Smike nämlich folgte ihm, seit er im Schulzimmer so freundlich mit ihm gesprochen, in unermüdlicher Dienstbeflissenheit fast wie ein Hund nach, suchte ihm jeden kleinen Wunsch an den Augen abzulesen und fühlte sich glücklich, wenn er nur in seiner Nähe war. Stundenlang konnte er neben ihm sitzen und ihm stumm ins Gesicht sehen, während gar ein Wort aus Nikolas' Mund seine kummervollen Züge erhellte und ihn selig machte. Er war ein ganz anderes Wesen jetzt, denn sein Leben hatte einen Zweck bekommen – nämlich den, der einzigen Person, die ihn, wenn nicht gerade mit


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