Nikolas Nickleby. Charles Dickens

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Nikolas Nickleby - Charles Dickens


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murmelten eine ängstliche Verneinung, nur eine helle Kinderstimme ließ laut werden, was sich heimlich alle dachten:

      »Ich glaube, Sir, Smike ist weggelaufen.«

      »Ha«, rief Squeers und wendete sich schnell um, »wer hat das gesagt?«

      »Tomkins, Sir«, rief ein Chor von Stimmen.

      Augenblicklich stürzte sich Squeers in den Haufen und erwischte einen winzigen Jungen, der noch im Hemdchen dastand, am Schopf.

      »Du meinst also, er sei weggelaufen. Was, Bürschchen?«

      »Ja, Sir«, hauchte das Kind.

      »Und welchen Grund, Bürschchen«, knirschte Squeers und packte den Jungen fest am Arm, »welchen Grund hast du zu der frechen Annahme, daß ein Knabe aus meiner Anstalt fortlaufen sollte? Nun? Sprich!«

      Der arme Junge erhob statt der Antwort ein Jammergeschrei, und Mr. Squeers schlug so lange auf ihn ein, bis er ihm, sich vor Schmerz windend, förmlich aus den Händen kugelte.

      »So«, keuchte Mr. Squeers, »ist vielleicht noch einer unter euch der Meinung, daß Smike weggelaufen ist?«

      Natürlich meldete sich niemand. Bloß Nikolas legte seinen Abscheu so offen, wie er es durch Blicke nur vermochte, an den Tag.

      »Nun, Nickleby? Vielleicht sind Sie der Meinung, daß er weggelaufen ist?«

      »Es scheint mir sogar äußerst wahrscheinlich«, versetzte Nikolas ruhig.

      »Ah, Sie halten es also für höchst wahrscheinlich?« höhnte Squeers. »Vielleicht wissen Sie es sogar gewiß?«

      »Ich weiß nichts der Art.«

      »Er hat Ihnen also nicht gesagt, daß er fortlaufen wollte; oder?«

      »Er sagte mir nichts. Und ich bin sehr froh darüber, da es sonst meine Pflicht gewesen wäre, Sie beizeiten davon zu verständigen.«

      »Was Ihnen ohne Zweifel verteufelt schwer angekommen wäre«, spöttelte Squeers.

      »Allerdings«, erwiderte Nikolas, »Sie wissen sich meine Gefühle sehr richtig zu deuten.«

      Mrs. Squeers hatte alles unten an der Treppe mit angehört, aber jetzt ging ihr die Geduld aus. Hastig warf sie sich ihre Nachtjacke um und erschien auf dem Schauplatz.

      »Also, was gibt's denn hier eigentlich?« schrie sie, während die Zöglinge rechts und links zurückwichen, um ihr die Mühe zu ersparen, sich mit den Ellbogen einen Weg zu bahnen.

      »Wir sprechen gerade darüber«, erklärte Squeers, »daß Smike nirgends zu finden ist.«

      »Das weiß ich. – Siehst du, das kommt davon, wenn man sich ein Schock von hochnäsigen Gehilfen ins Haus zieht, die einem dann die jungen Hunde rebellisch machen! Nun, junger Herr, werden Sie vielleicht die Güte haben, sich mit den Bengeln in die Schulstube hinunterzuscheren? Und rühren Sie sich dort gefälligst nicht von der Stelle, bis Sie die Erlaubnis dazu haben, oder wir könnten in einer Weise aneinandergeraten, bei der Ihre Schönheit ein wenig Not leiden dürfte, soviel Sie sich auch darauf einbilden mögen, das versichere ich Ihnen.«

      »Wirklich?« sagte Nikolas lächelnd.

      »Ja, wirklich. Und noch einmal wirklich, Mosjö Gelbschnabel«, schrie die aufgeregte Dame, »und wenn es auf mich ankäme, so würden Sie keine Stunde länger im Hause sein.«

      »Wenn's auf mich ankäme, wahrhaftig auch nicht«, sagte Nikolas. »Kommt, Kinder.«

      »Ja, kommt Kinder«, äffte Mrs. Squeers nach. »Und nehmt euch Smike zum Vorbild, wenn ihr die Courage dazu habt. Ihr werdet schon sehen, wie's ihm ergeht, wenn er wieder hier ist.«

      »Wenn ich ihn erwischen sollte, so will ich ihm das Fell gerben, bis es ihm in Fetzen herunterhängt«, knirschte der Schulmeister.

      »Wenn du ihn erwischen solltest?« erwiderte Mrs. Squeers verächtlich. »Als ob daran auch nur der geringste Zweifel wäre! – Aber jetzt marsch fort mit euch!«

      Im Nu war der Schlafsaal leer und das würdige Ehepaar allein.

      »Fort ist er, darüber ist kein Zweifel«, brummte Mrs. Squeers.

      »Das Mädchen hat alles durchsucht. – Er muß nach York zu gegangen sein, und zwar auf einer der Landstraßen.«

      »Woher weißt du denn das?«

      »Dummkopf«, entgegnete Mrs. Squeers verdrießlich, »er hat doch kein Geld bei sich.«

      »Er hat meines Wissens in seinem ganzen Leben noch nie einen Penny gesehen«, bestätigte der Pädagog.

      »Nun, und etwas zum Essen hat er auch nicht mitgenommen, dafür kann ich stehen. Ha, ha, ha.«

      »Ha, ha, ha«, stimmte Squeers mit ein.

      »Er muß sich also durch Betteln forthelfen, und das kann er nirgends als auf den Landstraßen.«

      »Das ist wahr«, rief Mr. Squeers und klatschte freudig erregt in die Hände.

      »Selbstverständlich ist's so. Aber dir wäre das natürlich im Leben nicht eingefallen, wenn ich's nicht gesagt hätte. – Also hörst du, du nimmst jetzt den Einspänner und fährst den einen Weg ab, während ich Swalows Wagen ausborge und den anderen absuche. Wir brauchen dann nur die Augen offenzuhalten und bei den Leuten nachzufragen, so muß er notgedrungen dir oder mir in die Hände fallen.«

      Der Plan war augenscheinlich vorzüglich.

      In aller Eile nahm das würdige Paar noch ein kräftiges Frühstück ein, und dann brach Mr. Squeers racheschnaubend mit seinem Einspänner auf. Bald darauf schlug auch Mrs. Squeers, in einen weißen Kapuzenmantel und ein halbes Dutzend warme Tücher gehüllt, in einem anderen Gefährt die zweite Richtung ein. Fürsorglich, wie immer, nahm sie einen tüchtigen Knüttel, einige feste Stricke und einen stämmigen Arbeiter mit, um ja mit Smike fertig zu werden, wenn sie ihn finden sollte.

      Nikolas blieb in einem Sturm von Gefühlen zurück. Er wußte recht gut, daß die Flucht des armen Burschen nur die schmerzlichsten und bedauerlichsten Folgen haben könne, mochte sie nun gelingen oder nicht. Tod aus Mangel an Nahrung und Obdach war doch das Beste, was dem hilflosen Geschöpf, das da allein und ohne Beistand durch eine ihm vollkommen fremde Gegend wanderte, bevorstand. Und zwischen diesem Schicksal und einer glücklichen Rückkehr zu den Fleischtrögen der Yorkshirer Schule war wirklich eine schwere Wahl. Nikolas blutete das Herz, wenn er an die Leiden dachte, die dem armen Smike bevorstehen mußten.

      »Nichts Neues von dem Ausreißer« fragte der Schulmeister, als er am Abend des nächsten Tages unverrichteter Dinge wieder zurückkehrte. Seinem ganzen Ansehen nach hatte er, alter Gewohnheit gemäß, auf der Fahrt des öfteren »seine Beine ausgestreckt«. »Na, ich werde mich dafür schon an irgend jemand anders schadlos zu halten wissen, Nickleby, wenn meine Frau ihn aufstöbert, verlassen Sie sich darauf.«

      »Es ist nicht meine Sache, Sie zu trösten, Sir«, versetzte Nikolas unwirsch. »Die Sache geht mich ganz und gar nichts an.«

      »So?« fuhr Mr. Squeers in drohendem Tone auf, »das wollen wir erst einmal sehen.«

      »Ja, das werden wir sehen«, erwiderte Nikolas.

      »Das Pferd hat sich aufgerieben, und ich habe mir für die Heimfahrt einen Mietgaul nehmen müssen – kostet fünfzehn Schillinge, abgesehen von den übrigen Ausgaben. Wer wird mir die vergüten? Was?«

      Nikolas zuckte die Achseln.

      »Ich sage Ihnen: Einer soll mir's tun«, brüllte Squeers herausfordernd. »Da gibt's nichts zu grinsen, Sie Esel. Packen Sie sich in Ihren Stall. Sie sollten schon längst dort sein. – Marsch hinaus!«

      Nikolas biß sich auf die Lippen und ballte unwillkürlich die Fäuste. Es prickelte ihm bis in die Fingerspitzen, diese Beleidigung zu rächen, aber er hielt sich vor, daß der Mann betrunken war und die Sache nur noch zu einem größeren Verdruß führen mußte, wenn er sich nicht bezwang. Er begnügte sich daher, ihm einen Blick


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